Vollidioten

Text

von  Mondscheinsonate

Während ich Torbergs Novelle "Mein ist die Rache" lese, denke ich, wie man so ein unfassbares Leid, in einem Konzentrationslager gewesen zu sein, hier ein fiktives, ich denke an reale, überstehen konnte, ja, geistig überleben, danach noch ein glückliches Leben führen konnte, so zerbrochen wie man war, so gedemütigt, geschändet, erniedrigt, als Nicht- Mensch gesehen wurde, Menschen verloren hat, daneben stand als Menschen umgebracht wurden, ja, ermordet, wie konnte man danach noch ein "ganz normales" Leben führen?

Das erste Mal stellte ich mir diese Frage mit 14 Jahren als ich die kartenspielenden Großeltern meiner Freundin beobachtete. Das Einzige, das der Großvater wirklich streng einhielt, das war sich dreimal täglich zu rasieren, denn frisch rasiert sah man kräftiger, gesünder und jünger aus, wurde nicht sofort vergast und es konnte noch so heiß sein, er trug immer ein langärmeliges Hemd, um seine tätowierte Nummer zu verstecken. 

Die Großmutter trug immer einen auffallend roten Lippenstift und auch ein Hemd, nie gestreift, über dem Badeanzug.
Ich fragte nie, das war mir instinktiv zu indiskret.
Gestern sprach ich mit der älteren Nachbarin über den gesellschaftlichen Wandel, ich meinte, dass sich die Gesellschaft seit den Lockdowns und überhaupt Corona verändert hätte, sie ist aggressiver geworden und gestörter. Das bejahte sie, meinte aber, dass es alle paar Jahrzehnte einen gesellschaftlichen Wandel gibt, sie sei alt, hat schon viel gesehen. Darüber musste ich lange nachdenken, weil es stimmte, was sie gesagt hat. 
Derart dumme und verweichlichte Vollidioten verglichen diese Zeit, nämlich unsere, mit dem Nationalsozialismus, gingen mit Davidsternen auf Demos und zogen somit auch die hinein, die um ihre Existenz bangten, es wurde zur reinen Farce. Man wurde in seinen Grundrechten eingeschränkt, viele fühlten sich derart eingesperrt, dass sie durchdrehten, aber sonst war Telefon, Fernseher, Internet da, man konnte einkaufen gehen und mit mulmigen Gefühl auch um den Häuserblock. Schrecklich, so schrecklich, dass viele danach nie wieder sie selbst waren. Das Verrückte rückte in den Vordergrund und breitete sich in Aggression und Menschenhass aus. 

All das war "harmlos" gegen das, was die friedlich kartenspielenden Großeltern erlebt hatten und dennoch gab und gibt es Vollidioten, die kollektiven Mord mit Partyverbot in Verbindung brachten. 

Das ist eigentlich unfassbar und wird bis heute totgeschwiegen wie krank ein Teil unserer Gesellschaft eigentlich wirklich ist. Da geht es nicht um "Wie ungerecht war das alles?" (Das ist ein ganz anderes Thema), sondern einzig und allein um den Teil dummer Menschen an sich, die nie wieder sie selbst wurden und den neuen "Gesellschaftlichen Wandel" einläuteten. 

Ich hätte sie fragen sollen, die friedlich kartenspielenden, zufrieden lebenden Großeltern, nicht Frankl lesen oder unzählige Berichte, nein, ich hätte meine Lieblingsmenschen fragen sollen, wie sie mit dem unvorstellbaren Leid umgegangen sind? Allein der Gedanke lässt mich erschaudern. 


Leid, echtem Leid, nicht Selbstmitleid wegen Langeweile.  



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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (28.03.24, 11:58)
Interessanter Schriftartwechsel.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 28.03.24 um 13:59:
Das macht das System selbst, wenn man absetzt und wieder kopiert.
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