Der melancholische Kaiser

Essay zum Thema Vergangenheit

von  Graeculus

Der Kaiser Hadrian regierte das Römische Reich von 117 bis 138 u.Z.


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Wir erkennen einen Vollbart. Dergleichen war bis dahin in Rom nicht üblich – diese den Philosophen entlehnte Männermode hat Hadrian dort eingeführt. Da er für alles Griechische schwärmte, hat man ihm zudem den Spottnamen Graeculus, der kleine Grieche, gegeben.

Was er der Welt hinterlassen hat, ist beträchtlich. Beginnen wir mit einer kunsthistorischen Kuriosität: Von kaum einem Menschen der Antike gibt es so viele Darstellungen wie von dem im Nil ertrunkenen Jüngling Antinoos, dem lange betrauerten Geliebten Hadrians. Der hat das Reich damit förmlich eingedeckt.


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Bedeutender sind sicherlich die von Hadrian initiierten Bauwerke. Für die Stadt Athen hat er eine Bibliothek und ein neues Stadtviertel gestiftet. Die heute türkische Stadt Edirne geht auf Adrianopel = Hadrianopolis, die Hadriansstadt, zurück. Was wir als Limes, als befestigte Grenzanlage, in Deutschland und Schottland kennen, sind die Reste einer auf Anweisung Hadrians errichteten Befestigung, die damit zusammenhängt, daß er nach der Zeit der großen Eroberungen seines Vorgängers Trajan eine defensive Strategie bevorzugte – und damit den Frieden.

In der Nähe Roms, bei der heutigen Stadt Tivoli, hat er sich eine phantastische Villenanlage, die Villa Hadriani (Hadriansvilla), errichten lassen, deren Teile von den schönsten Reiseeindrücken des vielgereisten Kaisers inspiriert sind. Ihre Reste sind noch immer eine Sehenswürdigkeit, für die der Rombesucher den Ausflug einplanen (und diesen mit der Villa d’Este und ihren staunenswerten Wasserspielen in Tivoli verbinden) sollte.

Und dann erst in der Stadt Rom! Eines der schönsten Bauwerke der Architekturgeschichte ist auf Befehl Hadrians zwar nicht errichtet, aber so umgebaut worden, wie wir es heute kennen: das Pantheon, der Tempel aller Götter. Ein im Umgang leichter, jovialer Mensch war Hadrian nicht, und den Architekten dieses Meisterwerkes hat er aufgrund eines Streites hinrichten lassen.

Auf der anderen Seite des Tiber hat er sich ein Mausoleum errichten lassen, das gemäß einer Rekonstruktion so aussah:


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Die Päpste haben das Gebäude später zu einer Stadtfestung umbauen lassen, in der sie bei Belagerungen häufiger Zuflucht fanden und die sie Engelsburg nannten, eine weitere Sehenswürdigkeit in Rom bis heute. Von Hadrian ist dabei im Innenraum nicht mehr viel geblieben. Aber: In der Nische, in der einst sein Sarkophag oder seine Urne stand, hat man an der Wand eine Tafel mit einem Gedicht angebracht.


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Es ist das letzte Gedicht des Kaisers, nach einer langwierigen und schmerzhaften Krankheit kurz vor seinem Tode verfaßt. In ihm spricht er als Mensch zu uns, als sterblicher Mensch, nicht als vergöttlichter Kaiser.

Seine sprachlich originellen Verse lauten:

Animula vagula blandula,
hospes comesque corporis,
quae nunc abibis in loca
pallidula rigida nudula
nec ut soles dabis iocos.


Das ist schwer, beinahe unmöglich zu übersetzen, denn Hadrian hat Diminutivformen für Adjektive verwendet, was man im Deutschen nicht ernsthaft nachmachen kann. Er spricht seine Seele (anima) an, nennt sie aber Seelchen (animula), die ohne Körper nicht nackt (nuda), sondern „nackterchen“ (nudula) sein werde. Ähnlich wird aus vaga vagula, aus blanda blandula usw. Sieht man davon ab, so kann man den Sinn - ohne die iambischen Trimeter des Originals - folgendermaßen wiedergeben:

Mein Seelchen, freundliches Seelchen du,
so wanderlustig immerzu,
dein Leib war nur dein Gasthaus und nun
sollst du die letzte Reise tun
in jenes Reich,
wo alles so öd‘ und kahl und bleich,
in jene Nacht,
wo keiner mehr deine Späßchen belacht.

[Übertragung von Theodor Birt]

Sit tibi terra levis (Möge dir die Erde leicht sein), Graeculus!


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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (25.04.24, 16:49)
Ähnlichkeiten gibt es ... :D

 Quoth meinte dazu am 25.04.24 um 18:01:
Hier hätte ich mir einen Kommentar von AlmaMarieSchneider gewünscht, der mit Sicherheit begeistert ausgefallen wäre, besonders wegen des Gedichtleins am Schluss!
Sie hat sich ja in noch im Dezember 2022 gern in die Zeit des Alten Roms versenkt, z.B.  hier und  hier .

Antwort geändert am 25.04.2024 um 18:02 Uhr

 Graeculus antwortete darauf am 26.04.24 um 14:10:
Ich erinnere mich und bin mir ebenfalls sicher, daß Alam sich für das Thema dieses Textes interessiert und Sie einen Kommentar dazu geschrieben hätte.
Nun aber können wir nur  gerade für sie - hoffen, daß das, was nach dem Tode kommt, nicht so trübselig ist, wie Hadrian es beschreibt: eine nackte Seele, die nicht einmal mehr scherzen kann.

 Regina (25.04.24, 18:04)
Lesenswerter Ausflug in die Geschichte. 
Hat es einen besonderen Grund, dass du dich nun auch Graeculus nennst?

 Graeculus schrieb daraufhin am 26.04.24 um 14:12:
Der Hadrian ist mir in der Tat sympathisch, und ein Griechlein bin ja auch ich.
Einer meiner Söhne trägt übrigens den Namen Adrian.

Davon abgesehen freut es mich immer, wenn ich Interesse an der Antike wecken kann.

 EkkehartMittelberg (25.04.24, 19:48)
Hallo Graeculus,

ich verweise hier auf ein bezauberndes Werk, das meine Rezeption Hadrians stark beeinflusst hat:

Ich zähmte die Wölfin: Die Erinnerungen des Kaisers Hadrian

[ltr]Ich zähmte die Wölfin: Die Erinnerungen des Kaisers Hadrian ist ein 1951 erschienener  historischer Roman der belgisch-französischen Schriftstellerin  Marguerite Yourcenar (Originaltitel: Mémoires d’Hadrien). Das Buch hat die Form eines in sechs Abschnitte gegliederten langen Briefes, in dem der seinen Tod erwartende römische  Kaiser Hadrian seinem Adoptiv-Enkel und designierten Zweitnachfolger  Mark Aurel seine Erfahrungen, Ansichten und Befindlichkeiten sowie eine Bilanz seines Lebens, Strebens und Wirkens aus privat-persönlicher Sicht vorlegt. Die nicht überlieferten Empfindungen aus Hadrians Innenleben und seine Eindrücke vom Zeitgeschehen schöpfte Yourcenar aus der Einfühlung in die Lebenslagen und imaginierten Reflexionen des Kaisers.
Das in Rezensionen gefeierte, in zahlreiche Sprachen übersetzte und von Literaten wie  Thomas Mann oder  William Styron hoch geschätzte Werk begründete Yourcenars internationale Bekanntheit und ihren Ruf als bedeutende französische Schriftstellerin und Stilistin. Mit ihren, späteren Ausgaben im Anhang beigegebenen, Notizen und Anmerkungen zur Entstehung des Buches beeinflusste Yourcenar auch die Rezeption und Werkinterpretation ihrer Hadrian-Memoiren. Auf Deutsch erschien das Werk erstmals 1953.
[/ltr]

 Graeculus äußerte darauf am 26.04.24 um 14:15:
Ein berühmtes Buch zum Thema.
Als ich das letzte Mal die Hadriansvilla besucht habe - erschreckend lang ist's her -, fand dort gerade eine Ausstellung über Leben und Werk von Marguerite Yourcenar statt. Das war eine Ausstellung am passenden Ort.

Danke, daß Du unsere Leser auf das lesenswerte Buch aufmerksam gemacht hast.

 Mondscheinsonate (25.04.24, 20:22)
Er spricht seine Seele (anima) an, nennt sie aber Seelchen (animula)
Süß.

 tueichler (25.04.24, 22:42)
Korrekt übersetzt bedeutet dies:
Sit tibi terra levis!
Es sitz Dir etwas Erde an der Jeans!

also

Du Schmutzfink

😂😂😂

Kommentar geändert am 25.04.2024 um 22:44 Uhr

 Graeculus ergänzte dazu am 26.04.24 um 14:18:
Situs vi late in isse tabernit.

Na?

Das sind so Scherze, wie sie unser Seelchen nach dem Tode anscheinend nicht mehr treiben kann.

Die Jeans sind aber nicht nach dem lateinischen Wort benannt!

 Graeculus meinte dazu am 27.04.24 um 16:41:
Keine Lust auf die Auflösung von "Situs vi late in isse tabernit"?

 tueichler meinte dazu am 28.04.24 um 06:12:
Hätte ich schon! Jedoch hatte ich in der Schule nicht eine einzige Stunde Latein 😂

 Graeculus meinte dazu am 28.04.24 um 12:47:
Das ist ein Scherzrätsel, für dessen Auflösung man nicht Latein können, sondern nur die Buchstaben etwas anders arrangieren muß:
Sit us vi latein isset aber nit.

 tueichler meinte dazu am 28.04.24 um 23:47:
Da haste mich aber erwischt! Aber mit Kölsch bin ich auch nicht so vertraut. Wieso eigentlich Kölsch? Bist Du nicht eher Schwabe?

 Graeculus meinte dazu am 29.04.24 um 00:00:
Ich wohne bei den Schwaben, stamme jedoch aus dem Rheinland.
Da gibt es hübsche Wortspiele, z.B.: rheinische Gottheit mit einem Buchstaben?

 LotharAtzert (02.05.24, 14:31)
Ist die Karawane weitergezogen?
Jetzt stell dir mal vor, die Wiedergeburt sei wirklich und die Reinkarnation hätte sich weiter entwickelt, also nicht mehr zu seiner alten zurück, sondern als ja Karma stell dir auch noch als wirklich, mithin bewirkend vor, als Sohn eines ... was weiß ich, gebildedten Ehepaares Soundso hervorgegangen und ... hätte er dann den selben Scheiß wiederholt? Das wäre nämlich eine Schicksalsverweigerung, das macht ein große Gestalt nicht, sondern sein Herz nimmt es an, mit allen Konsequenzen.
Dann wäre er ruckzuck beim Buddha - oder nicht? - In dem Fall ist ihm leider nicht mehr zu helfen. ... also in diesem Leben nicht.

Wo doch, praktizierte er den Dharma und gehörte dem Sangha an.
Wo du schon mal beim Vorstellen bist: denk dir einen lächelnden Lothar dazu, der ich, um Himmelswillen, natürlich auch nicht seine Reinkarnation bin, davor sei Hugo. Er hat damals seinen Architekten ermordet, schreibst du, das wird noch üble Auswirkungen haben. Vielleicht aber auch praktiziert er Tschöd auf einem Friedhof, wo man den Dämonen sein Fleisch anbietet und dazu mit der tantrischen Ohrtrommel trommelt. So werden nämlich Morde gesühnt, heißt es.
Die Tschöd-Meister sind echte Freaks, ich sags dir.

 Graeculus meinte dazu am 02.05.24 um 14:48:
Ja, Hadrian hat diesen Architekten töten lassen; außerdem gilt er als Erfinder der Geheimpolizei, d.h. er hat Menschen aushorchen lassen.
Andererseits hat er durch seinen Übergang zu einer defensiven Poltik sicher vielen Soldaten - eigenen wie gegnerischen - den Tod auf dem Schlachtfeld erspart, den sie unter seinem Vorgänger Trajan erlitten hätten.
Wie wird das eigentlich bei der Wiedergeburt verrechnet?, habe ich mich schon oft gefragt. Kein Mensch ist doch nur ein Mörder bzw. ganz und gar schlecht.

Mörder kommen zu den Dämonen, das habe ich schon aus dem tibetischen Orakelspiel gelernt, über das ich vor einiger Zeit geschrieben habe. Aber wohin kommen die Mörder, die andererseits liebevolle Väter, Tierliebhaber oder großzügige Kunstmäzene waren?

Die Menschen sind charakterlich so schillernd, aber die Wiedergeburt scheint immer so eindeutig und spezifisch zu sein.

 LotharAtzert meinte dazu am 02.05.24 um 15:15:
Wie wird das eigentlich bei der Wiedergeburt verrechnet?, habe ich mich schon oft gefragt.
das macht die KI. Jede Rechenaufgabe hat auch eine Lösung.
Aber wohin kommen die Mörder, die andererseits liebevolle Väter, Tierliebhaber oder großzügige Kunstmäzene waren?
Jeder kommt an den Ort, der ihm entspricht, oder zusteht und zu wissen wohin ich komme, nutzt dir rein garnichts. wie es auch mich nichts angeht, wo deine Vergangenheit dich hinführt, auf daß du vollendest, was du begonnen hast.

Solche Sätze hab ich früher gesucht - vergeblich, sonst würde ich sie heute vermutlich nicht schreiben.

 Graeculus meinte dazu am 02.05.24 um 16:29:
Wenn es acht Höllenzustände gibt (um mal eine Zahl zu nennen), und die Menschen zehn Millionen Charakterzustände einnehmen können, lauter Mischzustände, dann sehe ich dafür keine Lösung. Da mag ich auch nicht einfach glauben, daß das "irgendwie" schon aufgeht.

Wo speziell Du hinkommst (oder ich), das steht auf einem anderen Blatt. Sollte es sich ergeben, daß wir als Rauschmittelkonsumenten in derselben Hölle landen, können wir ja einander ermutigend zurufen: Halt durch, Alter, es ist nur auf Zeit!

 Graeculus meinte dazu am 02.05.24 um 16:31:
Der Hadrian müßte ja aus seiner schon wieder raussein. Muß mal darauf achten, wenn mir jemand bei Netto auf die Schulter klopft und "Salve, Graecule" sagt.

 LotharAtzert meinte dazu am 02.05.24 um 20:42:
Du faßt die Wiedergeburt als einen Zustand auf, aus dem es kein Entrinnen gibt? Das halte ich für falsch. Die mit gemischtem Karma werden als Mensch wiedergeboren und am einen Tag passiert etwas, am andern etwas anderes; mal gut, mal unangenehhm, mal schicksalhaft, mal langweilig usw.. Es ist doch nicht so, daß du in einem Zwangskorsett zur Welt kommst. Es sei denn, du betrachtest das Körperliche als ein solches.
Und nach der Münchner Rhythmenlehre kann man sehen, wann was und warum passiert. Das muß niemand glauben, da können wir viel ruhiger arbeiten, wenns keiner glaubt.
Jetzt fängts Spiel gegen Hadrians Rom an. Das gönn ich mir doch glatt.

 LotharAtzert meinte dazu am 03.05.24 um 13:16:
Vielleicht könnten wir uns soweit annähern:
1. Es kann sich nicht auswirken, was nicht verursacht ist.
2. Die Wirkung kann sich unmittelbar, aber auch sehr lange nach der Verursachung auswirken.
3. Menschen sind vergesslich. Das impliziert, daß sich viele nicht, oder nicht mehr an die Ursache erinnern, selbst dann nicht, wenn es vor kurzem geschah.
4. Um wieviel weniger können sie es, wenn etwas Jahrzehnte und weiter zurückliegt.
Das wäre doch mal ein Anfang.

Daß Melancholie zum Tierkreiszeichen Steinbock gehört, sagte ich sicher früher schon. Von Hadrian gibt es wahrscheinlich keine Geburtszeit, oder?

Antwort geändert am 03.05.2024 um 13:20 Uhr
Aha, 24. Januar 76 in der Nähe von Sevilla. ein Wassermann ... Entschuldige die vielen Änderungen.

Antwort geändert am 03.05.2024 um 13:28 Uhr

Antwort geändert am 03.05.2024 um 13:29 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 04.05.24 um 16:08:
Allen vier Aussagen stimme ich zu und füge noch eine fünfte hinzu: Die Schlüsse von der Wirkung auf die Ursache (etwas ist soundso, weil ...) sind unsicher, sind Vermutungen, weil nicht ausgeschlossen werden kann, daß in diesem Falle eine andere Ursache die gleiche Wirkung hervorruft.

Das (etwas simple) Beispiel im Studium war immer: Die Straße ist naß. Also hat es geregnet? Das muß nicht sein, denn dafür kann es auch eine andere Erklärung geben.

 Graeculus meinte dazu am 04.05.24 um 16:10:
Die mit gemischtem Karma werden als Mensch wiedergeboren und am einen Tag passiert etwas, am andern etwas anderes; mal gut, mal unangenehm, mal schicksalhaft, mal langweilig usw.

Das würde passen. Und da wir ja alle irgendwie gemischt bzw. grau, nicht einfach schwarz oder weiß, sind ...
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