Nur die totale Verschwulung der Welt kann uns noch retten.03

Experimenteller Text zum Thema Literatur

von  toltec-head

28. Der_Professor  11.Nov.2012 - 04:09

Aber Schluss mit Billy´s Butt und Moby´s Dick, zurück zum gentrifizierten Jetztzeit-Schwulentum von Joachim Helfer.

Helfer ist mit al-Daif auf Lesereise. Und in Berlin möchte er ihm sämtliche Sehenswürdigkeiten der großen Museen zeigen. Al-Daif interessieren die nicht. Alte Gemälde habe er schon mal in Florenz gesehen. Al-Daif möchte tun, was er in Beirut praktisch täglich tut: Sich in ein Literatenlokal begeben und mit Kollegen palavern. Das geht schlecht, denn Deutsch kann er nicht, Englisch hat er sehr bruchstückhaft gelernt, sie unterhalten sich auf Französisch. In Berlin gibt es aber erstens dieses Literatencafé nicht (mehr), wo man sie alle trifft, zweitens können Berliner Literaten nicht fließend auf Französisch.

Al-Daif behauptet, mehrfach in seinem Leben sei er von Schwulen, westlichen wie libanesischen, angemacht worden, weil er so behaart sei. Auch seine Hände seien behaart, einen Schnurrbart, was das Größte für viele Schwule sei, habe er nicht. Und er erzählt, ein Stein sei ihm vom Herz gefallen, als sein Sohn mit 14 ein Mädchen nach Hause brachte und mit ihr in seinem Zimmer ungestört bleiben wollte. Weil der Junge in Frankreich aufgewachsen sei, habe er gefürchtet, er könne entweder drogensüchtig oder schwul werden.

Helfer möchte von al-Daif hören, dass es in der arabischen Welt eine fortdauernde Tradition der Knaben- und Jünglingsliebe gibt, die nicht unter die Verächtlichkeit gegenüber dem, was Araber für schwul halten, falle. Al-Daif möchte nicht reden. Also redet Helfer und sagt nicht Neues: Was der Araber mit schwul meine und ablehne, sei Weiblichkeit am Mann. Dahinter stecke die durchgehende Unterdrückung der Frau. Die einzigen, die al-Daif als Schwule aufgefallen seien, wären tuntige, passive Schwule gewesen, die sich danach gedrängt hätten, von behaarten Männern gefickt zu werden. Was er ignoriere, sei, dass es normal männliche Schwule gebe, die in Beirut in der Regel verheiratet seien, sexuell nach Ihresgleichen bzw. Jünglingen Ausschau hielten, wo sie eher aktiv wären.

Helfer über Türkenboys in Berlin: „Wer Ick fick dich als den absoluten Triumph über den absolut erniedrigten Gegner phantasiert, drückt damit eben nicht nur seine Wut auf eine Gesellschaft aus, die täglich ihn fickt, sondern auch, was er von fickbaren Menschen hält: nämlich nichts.“

Er weiß Bescheid. Aber viel gefickt mit jungen Türken scheint er nicht zu haben. Da wären ihm die vielen Passiven doch aufgefallen.
 
29. -THUNDERBOLT- 12.Nov.2012-10:20

Es bleibt im Übrigen sehr die Frage, wer beim Ficken überhaupt wen fickt. Szene aus Fargo, wo der eine Klein-Gangster zum anderen im Auto das Gefickt-Werden preist und nach einer Blende siehst du wie zwei Prostituierte auf ihnen rumreiten.

30. Der_Professor  12.Nov.2012 - 20:09

Nein viel gefickt mit jungen Türken hat Helfer nicht. Wir erfahren, dass er als Jugendlicher Sex mit (älteren) Frauen hatte, mit 19 hat er in Frankreichferien einen fast 40 Jahre älteren Schwulen kennen gelernt, mit dem er seit 20 Jahren zusammenlebt. Helfer 39, N. kurz vor 70. Beide seit Beginn der Neunziger in einem Haus im Osten, das im Zuge der Enteignungsbereinigungen dem Freund rückerstattet wurde. 

Eines Abends erzählt Helfer al-Daif nach einem Besuch der Aida in der Neuen Oper Berlin bei einem Glas Wein, dass er von einem jungen Mann träume, der für ihn das sein könnte, was er selbst für N. gewesen sei. Diesem würde er all seine Liebe und Zuneigung geben, so wie N. es getan habe. Und er sei sich sicher, dass die Vorsehung, die unser Universum steuere, ihm dabei helfen werde, seinen Traumjüngling zu finden, ja er zweifle in keiner Weise daran, weil er ihn lieben wolle und ihm alles zu geben bereit sei, was er in Herz und Seele besitze.

Oh je. Die Verschwulung der Welt - soll das etwa sein, dass, wenn Heteros es nicht mehr packen wie ein Herz und eine Seele sich monogam zu lieben über Jahrzehnte, die Schwulen es an ihrer Stelle tun?

Ich weiß nicht, ich habe anscheinend nicht unbedingt „das Buch für mich” zu meiner Lektüre gewählt.

31. -THUNDERBOLT- 13.Nov.2012 - 09:07

Hier der glückliche "Familienvater" mit seinen beiden Töchtern an Weihnachten:

http://www.joachim-helfer.de/weihnachten.jpg

Zum Vergleich ein berühmtes Foto von Hubert Fichte:
http://www.datum.at/fileadmin/bilder/artikelbilder/fichte.jpg

Hält man die beiden Fotographien nebeneinander, kommt man schnell in´s Philosophieren, was mit der Literatur in den letzten 30 Jahren geschehen ist, nämlich etwas furchtbares: eine Refamilisierung, eine Reduktion auf das Aufbauschen seiner eigenen kleinen privaten Affairen mit Mama und Papa und der "großen" Liebe. Die Welt bleibt draußen oder ist nur insofern interessant als sie diese kleinen Affairen in irgendeiner Weise spiegelt.

Das Foto von Fichte zeigt sehr gut, worum es in seiner Literatur stattdessen ging: Sprengung des Subjekts. Von den eigenen kleinen Geschichten wegkommen. Sich Öffnen gegenüber einer unheimlichen Welt, die gerade NICHT ein Spiegel unserer Privatheit ist. Sexualität als Sprengsatz und nicht als familienfördernde Maßnahme.

Wie läßt sich diese Infantilisierung der Literatur der letzten 30 Jahre erklären? Sicherlich hat, was schwule Literatur angeht, AIDS eine große Rolle gespielt. Aber ich würde behaupten, dass sich in der Hetero-Literatur ähnliches abgespielt hat - auch hier die Renaissance der "großen" Familiensagas. Und AIDS hat bei den Heteros eigentlich nie eine so große Rolle gespielt. Vielleicht muss man sagen, es gibt einfach reiche und arme Zeiten. Die Zeit von Fichte war reich.

Wir aber leben in sehr armen Zeiten - in einer Wüste.

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Kommentare zu diesem Text

Patroklos (36)
(28.06.14)
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parkfüralteprofs (57) meinte dazu am 29.06.14:
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Patroklos (36) antwortete darauf am 29.06.14:
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parkfüralteprofs (57) schrieb daraufhin am 30.06.14:
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