Mittels Bio-Blogging im Internet zu einem Mann ohne Eigenschaften werden.02

Essay zum Thema Literatur

von  toltec-head

Bloggen als tägliches Ritual, um nicht das sein zu müssen, was man empfindet und denkt, sondern um zu einer lebenden Materie zu werden, die sich offenbart. Silizium werden. Leidenschaftlich und zugleich teilnahmslos seine Empfindungen und Gedanken bloggen. Seinen Alltag vertexten und anderen zum Fraß vorwerfen, um seinem Leben indifferent gegenüberzutreten. So wie der Mann ohne Eigenschaften aus Eigenschaften ohne Mann, besteht der Blogger seiner Empfindungen und Gedanken aus Blogs ohne Empfindungen und Gedanken. Nichts liegt dem wahren Blogger so fern wie die Literatur alten Stils, also Schreiben als subjektives Sentimentalisieren. Diese Literatur alten Stils funktioniert in Blog-Form nicht. Funktioniert vor allem in Anbetracht der vielen bloggenden subjektiven Sentimentalisten nicht. Aber gerade deswegen lohnt das Bloggen ja: Weil so viele Blogger als subjektive Sentimentalisten schreiben, merkt man beim Schreiben, dass das so wohl nicht mehr geht. Was viele Buchautoren in ihrem stillen Kämmerlein nicht merken, weil sie die vielen Blogger ja nicht sehen.

Es ist wirklich so: Um zu erleben, dass heute Menschen gar nichts mehr privat erleben, dass nicht nur wir selbst keine Eigenschaften mehr haben, sondern auch die Welt um uns herum, muss man zum Blogger und Bloggern werden. Und wenn einer heute so wie der heilige Franziskus zu den Vögeln Bruder sagen wollte, dann dürfte er es sich nicht bloß so angenehm machen, sondern müsste sich entschließen, auch ein Blogger und Bloggern zu sein. Und er müsste seinen Sonnenhymnus nicht subjektiv sentimentalisierend als Gedicht verfassen, sondern als Blog unter Blogs. Und dann würde er merken, dass heute ein Gedicht zu schreiben genauso hässlich ist, wie im Wald einen Vogel nachzuahmen. Und dass es noch viel hässlicher ist, wie in einem dicken Buch mit vielen Seiten ein Gespinst aus Personen und Handlungen zu weben. Denn das heißt, nicht nur den Vogel sondern den ganzen Wald nachahmen.

Als Blogger unter Bloggern muss man sich von jeglicher Literatur alten Stils verabschieden. Die Literatur alten Stils ist als fauler, heute fadenscheiniger Pakt zwischen einem Autor und einem Leser, sich von der übrigen Welt hervorzuheben, genau so ein verachtenswürdiger Egoismus zu zwein wie die romantische Liebe. Dergleichen Späße sollte man getrost dem auf den Köder beißenden Leben überlassen. Der Blogger schließt mit niemandem einen Pakt, er schmeißt sich nur zum Fraß vor. Für den Blogger ist Schreiben kein subjektives Sentimentalisieren. Der Blogger schreibt, um gerade das nicht zu sein: auf den Köder beißendes Leben. Und er schreibt auch nicht, um für andere Köder zu sein. Er ist nichts als das: nackter Fraß.

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text

JakobJanus (35)
(01.12.13)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 toltec-head meinte dazu am 01.12.13:
PeterGreenaway hat vor 17 Stunden einen Link eingestellt, was 34 Personen gefällt:

 externer Link
(Antwort korrigiert am 01.12.2013)
JakobJanus (35) antwortete darauf am 01.12.13:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Nimbus (38)
(01.12.13)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 toltec-head schrieb daraufhin am 01.12.13:
Versuch´s doch auch mal mit Bio-Bloggen. Ich finde, wenn du Geschichten spinnst, sind die oft ein wenig sentimental. Deine Wirklichkeit ist wohlmöglich interessanter.
Nimbus (38) äußerte darauf am 01.12.13:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram