Cicero über direkte Demokratie

Glosse zum Thema Entscheidung

von  loslosch

Si populus plurimum podest, dicitur illa libertas, est vero licentia (Cicero, 106 v. Chr. bis 43 v. Chr.; De re publica). Wenn das Volk über das meiste (im Sinne von höchster Staatsgewalt) verfügt, nennt man es Freiheit, in Wahrheit ist es Zügellosigkeit.

Liest sich zunächst wie eine Streitschrift gegen die Demokratie. Der Parlamentarismus setzt bekanntlich Regeln. Direkte Demokratie wäre, konsequent zu Ende gedacht, ein Totengräber derselben. Der Bürgerentscheid darf nur nach Überwindung von hohen Hürden für Abstimmung und Zustimmung (bei Volksbegehren und Volksentscheid) Einfluss auf die politischen Beschlüsse nehmen. Wäre es anders, würde Deutschland mit hoher Wahrscheinlichkeit schon übermorgen die Todesstrafe wieder einführen. In anderen Industrieländern dürfte es ähnlich sein. (Die USA wären leider kein Testfall.)

Ciceros These erscheint im Ansatz richtig. Die differenzierten Zusammenhänge konnte er noch nicht erkennen. Man denke nur an die "Volksentscheide" der französischen Revolution (ab 1789), die endlosen Straßenaufmärsche und die unsäglichen Revolutionstribunale.

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(28.05.15)
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 loslosch meinte dazu am 28.05.15:
da bin ich kein experte. man müsste sich einlesen in die literatur zu solon (6. jh. v. chr.), dem demokratischen vordenker. er aber befürwortete die timokratie (noch im alten dt. reich gab es unterschiedliches stimmrecht!)

thematisch bietet wohl auch perikles (5. jh. v. chr.) einiges.

ich fühle mich in der schülerrolle ...

 niemand (28.05.15)
Unsere Freiheit ist doch inzwischen zu einer Zügellosigkeit
verkommen. Wenn ich nur an die liebe Polizei denke, welche
Angst vor dem Volk und seinem "no limit" hat, dann könnte ich lachen wenn das nicht zum Weinen wäre. Benimm dich zügellos
und du hast alle auf deiner Seite. Benimm dich einigermaßen
verträglich, anständig, sozial, dann schimpfen dich alle gleich
Idioten oder Spießer. So kann man es auch machen.
LG Irene

 loslosch antwortete darauf am 28.05.15:
daran hat cicero damals nicht gedacht.

verwahrlosungserscheinungen beobachte ich zunehmend. lo

 EkkehartMittelberg (28.05.15)
"Letztlicher Schluss aus dieser Diskussion der Verfassungsformen ist ein Loblied auf die Mischverfassung, welche die positiven Elemente aller Verfassungen vereint. Dies spiegelt sich in der Staatsform der römischen Republik mit Konsuln (Monarchie), Senat (Aristokratie) und Bürgerversammlung (Demokratie) wider, deren Entstehung Cicero im 2. Buch beschreibt." (Wikipedia: De re publica)
Das ist der Weisheit letzter Schluss bei Cicero. Theoretisch klingt das Ideal einer Mischverfassung einleuchtend, aber ich denke, dass heute auch eine Mischverfassung nicht besser gegen licentia schützen würde als eine Demokratie. Cicero idealisiert die monarchische Zeit der Könige in der römischen Geschichte sehr und die Aristokratie nicht viel weniger.

 loslosch schrieb daraufhin am 28.05.15:
daraufhin habe ich mir das staatsformenschema ciceros bei wiki angeschaut und mich wieder an meinen lateinlehrer erinnert. die entgleisungen der tyrannis konnte er nach der hitlerei gut herunterbeten ...

cicero beschrieb das ideal des königtums (caritas), aber das mit octavian aufkommende cäsarentum bekämpfte er instinktiv von beginn an und scheiterte.
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