Die Zerstörung Jerusalems

Groteske zum Thema Glaube

von  loslosch

Amen dico vobis, non relinquetur hic lapis super lapidem, qui non destruatur (Evangelist Lukas, 1. Jh. n. Chr.). Amen, ich sage euch, kein Stein wird hier auf dem anderen bleiben, kein Stein, der nicht niedergerissen würde.

Nach der Glaubensverkündung christlicher Kirchen soll Jesus, der nach einhelliger Überlieferung anno 33 moderner Zeitrechnung am Kreuz starb, mithin 37 Jahre vor der Zerstörung Jerusalems durch die Römer, ebendiese Zerstörung prophezeit haben. So der Evangelist Lukas, der vermutlich zwischen 80 und 85 n. Chr. diese "Weissagung" Jesu niedergeschrieben hat, also etliche Jahre nach dem prognostizierten Ereignis. Der theologisch Gebildete spricht hier von einem Vaticinium ex eventu (Weissagung vom Ereignis her). Da die Schilderung des Evangelisten über den geweissagten Ablauf der Zerstörung in einigen Punkten vom historisch Gesicherten abweicht, schließen einige fromme Bibelforscher auf die Echtheit der Weissagung Jesu. Eine erstaunliche Naivität.

O sancta simplicitas soll der Reformator Jan Hus gerufen haben, als er im späten Mittelalter auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde.

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(22.09.15)
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 loslosch meinte dazu am 22.09.15:
bei wiki gefunden: "Für einen Skandal sorgte der Professor für Evangelische Theologie kurz vor seiner Emeritierung mit der Aussage, nie aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten und immer Katholik gewesen zu sein."

bergers datierungen sind nicht unumstritten: "... mehrere Inkonsistenzen bei Bergers Datierungs-Angaben" hat graf-stuhlhofer entdeckt. die datierung von lukas auf 65 bis 71 ist delikat; denn die zerstörung jerusalems war 70 n. chr. laut wiki datiert berger das lukas-evangelium auf 66 n. chr. oder früher. berger hat sicherlich sprach- und textkritisch verdienste erworben. aber seine historiker-verdienste erscheinen zweifelhaft.

 Dieter Wal antwortete darauf am 22.09.15:
Bergers Datierungen sind sehr umstritten. Seine zahlreichen theologischen Bücher für Laien dagegen unumstritten absolut lesenswert. Sein von seiner Frau übersetztes "NT und Frühchristliche Schriften" ist ein ungeheures Schatzkästlein sonst nur schwer zugänglicher Schiften um das NT.

"Da die Schilderung des Evangelisten über den geweissagten Ablauf der Zerstörung in einigen Punkten vom historisch Gesicherten abweicht, schließen einige fromme Bibelforscher auf die Echtheit der Weissagung Jesu. Eine erstaunliche Naivität."

Die Überlegung ist schlicht. Hätte man die Weissagungen nachträglich verfasst, wären sie den hist. Gegebenheiten besser angepasst worden.

H. Heine hat das 3. Reich vorhergesagt. Weil es vorher gedruckt war, zweifelt kein Mensch daran. ("Es wird ein Stück aufgeführt werden in Deutschland, wogegen die französische Revolution nur wie eine harmlose Idylle erscheinen möchte.ff" »Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland«, 1793, Drittes Buch, Schlusspassage.)
(Antwort korrigiert am 22.09.2015)

 loslosch schrieb daraufhin am 22.09.15:
tucholsky hat den großen weltkrieg vorhergesagt. das war plausibel, zumindest. was wurde nicht alles schon vorhergesagt? wer viel prophezeit, hat gelegentlich recht! naiv ist, die abweichungen in details als beleg für die echtheit der prognose zu nehmen!! ein evangelist WILL überzeugen.

 Dieter Wal äußerte darauf am 22.09.15:
Damals die Zerstörung Jerusalems vorherzusagen, war wohl eher keine Hexerei und auch nicht unbedingt ein Beweis dafür, dass Jesus über bessere Qualitäten als Nostradamus als Prognostiker verfügt hätte, sondern einfach eine Voraussage, die sehr wahrscheinlich gewesen sein dürfte. Werd mir jetzt bitte bloß nicht fromm, loslosch. Ich les immer wieder die mich ansonsten nicht besonders interessierende Schrift von Heine, gerade weil mich die Prophezeihung am Ende so fasziniert. Und auch die Evangelien haben für mich einen eher größeren Wert, weil auch so stimmungs- und kraftvolle Passagen wie die von dir erwähnte enthalten sind.
Graeculus (69) ergänzte dazu am 22.09.15:
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 Dieter Wal meinte dazu am 22.09.15:
@ loslosch: Falls du ein hochgradig spannendes und sprachlich absolut brillant geschriebenes Buch über die Geschichte der christlichen Theologie lesen möchtest, in dem im Detail textkritische Inhalte und wahre Theologische Schlachten im Lauf der Jahrhunderte, nicht zuetzt vom Zeitaler der Aufklärung her geschildert werden, empfehle ich wärmstens Albert Schweitzers "Geschichte der Leben Jesu-Forschung".

 Dieter Wal meinte dazu am 22.09.15:
 Hier Bergers unglaublich zahlreiche Publikationen. Mir ist noch keins begegnet, das nicht lesenwert war. Erlebte ihn einmal mit Küng zusammen. Fand beide sehr beeindruckend. Total vergeistigt.

 loslosch meinte dazu am 22.09.15:
quelle siehe oben, von graecu erwähnt. früher hat mich küng interessiert ...

 Dieter Wal meinte dazu am 23.09.15:
Dieses NT ist für mich die wohl wichtigste theol. Publikation der letzten beiden Jahrzehnte.

 TrekanBelluvitsh (22.09.15)
Na ja, zu dieser Zeit die Zerstörung einer Stadt vorherzusagen, das war ja nun wirklich keine Kunst.

 loslosch meinte dazu am 22.09.15:
aber es ist eine kunst, die eigenen weisheiten mit schleifchen zu verpacken.

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 22.09.15:
Wobei dem Nazarener ja viel untergeschoben wird. Man bekommt den Eindruck, dass er fast so viel gesagt hat wie Goethe.

 loslosch meinte dazu am 22.09.15:
als kind dachte ich kindisch: der redet noch viel zu wenig. da hilft nur noch "jesu tagebücher" im stern ...
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