Tierisches Denkvermögen

Erörterung zum Thema Mensch und Tier

von  loslosch

Providentia, maximum bonum condicionis humanae (Seneca, um die Zeitenwende bis 65 n. Chr.; Epistulae morales). Die Vorausschau, größtes Gut menschlicher Lebensbedingung.

Das sagt der antike Philosoph und Rhetoriker mit Leichtigkeit dahin, und der Leser ist geneigt, ihm stumm über die Jahrtausende zuzunicken. Wenn etliche Säugetiere, allen voran die meisten Nager wie der sprichwörtlich gewordene Hamster, aber auch manche Vogelart und nicht zuletzt die Honigbiene, Wintervorräte anlegen, basiert das auf einer (vererbten) Vorausschau. Eichhörnchen verlieren übrigens nicht selten den Überblick, finden ihre Verstecke nicht wieder. Größtes Gut des Menschen, wenn auch Tieren die partielle Vorsorge gelingt? Nein. Es dürfte sich um einen Übersetzungsfehler handeln. Der Superlativ hat im Lateinischen meist zwei Bedeutungen, maximum heißt entweder "größte" oder "äußerst große", hier also "sehr große, äußerst große".

Dankbar für diesen Standard-Übersetzungsfehler spinnen wir den Faden weiter. Größtes Gut menschlicher Lebensbedingung dürfte die Fähigkeit zur Selbstreflexion sein, das Besinnen auf die eigene zeitliche Begrenzung, die Endlichkeit. Können höher entwickelte Säuger Ähnliches leisten? Die vom Menschen selbst entwickelten Messinstrumente, die den angeborenen Sensoren fast aller Tiere weit überlegen sind, finden kein Indiz dafür, dass Tiere über sich selbst und ihre Begrenzung reflektieren können. Natürlich vermag ein zahmer Schimpanse Trauergefühle zu entwickeln, sogar bis zur Verweigerung von Nahrung, wenn der häusliche Artgenosse verstorben ist.

Die Selbstreflexion und nicht das Vorausschauen ist wohl das größte Gut menschlicher Lebensbedingung. Gibt es dazu ein passendes lateinisches Wort? Fehlanzeige, außer in der Umschreibung (cogitare de). Conscientia drückt aus: Bewusstsein, Gewissen. Ein partiell und kurzzeitig schlechtes Gewissen kann schon der ungetreue Haushund haben, der die Wurst seines Herrchens stibitzt hat und ihn auffällig freudig begrüßt oder aber - je nach Charakter des Hundes - sich winselnd wegduckt, mit dem sicheren Gespür, dass man ihm, dem Rückfalltäter, alsbald auf die Schliche kommt.

Die Fähigkeit zur Selbstreflexion zeichnet allein den Menschen aus. Jenes wahrhaft höchste Gut kann zugleich auch schwere Bürde sein.

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Kommentare zu diesem Text

Helix (39)
(19.03.16)
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 loslosch meinte dazu am 19.03.16:
ein witziger link.

wusstest du, dass 18 monate alte babys in zugespitzten situationen ironie erfassen können? ich habs erlebt. der kleine quengelte rum. ich zeigte ihm sein lieblings-bilderbuch mit kuh-muh, ziege-bäh usw. die abgebildete wiege war einstudiert als kindergeschrei, das er gern imitierte. auf diese zeigte ich, ein signal, dass er jetzt schreien SOLL.

für paar sekunden verstummte er. dann schlug er wild auf die wiege ein.
janna (66)
(19.03.16)
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 loslosch antwortete darauf am 19.03.16:
man spricht ja sogar von der kindlichen naivität. (die gespielte, leicht durchschaubare von kv-trollen ist hier nicht gemeint!)

 niemand schrieb daraufhin am 19.03.16:
Frühkindliche Naivität beschert uns auch dieses Unbesorgte, jedoch dauert es nicht zu lange. Einmal in den Gedankenstrudel gekommen und es gibt kein Entfliehen mehr
und keinen Schalter zum umlegen. LG Irene
@ Janna
ich habe meine Tiere auch oft beneidet
LG Irene

 loslosch äußerte darauf am 19.03.16:
auf die öff. frage von nibiru, ob ich haustiere hätte, gab ich zurück: außer kerbtieren keine.

diese insekten haben vllt. feine sensoren, die sich kaum alle aufspüren lassen. aber alles zu weit weg vom denkvermögen. dafür haben sie ein grandioses reaktionsvermögen. lo

 idioma (19.03.16)
"Die Fähigkeit zur Selbstreflexion zeichnet allein den Menschen aus. Jenes wahrhaft höchste Gut kann zugleich auch schwere Bürde sein."

Wie soll man´s nennen , wenn der zu reflektierende Stoff immer dünner und die Formulierung immer minder und das Lesen zur Bürde wird ?

idi

 loslosch ergänzte dazu am 19.03.16:
warum hast du dir das angetan? si tacuisses ...

 TrekanBelluvitsh (20.03.16)
Trauergefühle entwickeln - nach Beobachtung - z.B. auch frei lebende Elefanten und Löwen. Wenn man der Evolutionslehre folgt, muss man den Tieren in unterschiedlichen Abstufungen "Gefühle" und "Denken" zusprechen, sonst hätte die Spezis Mensch such nicht derart entwickeln können. Und wenn die Tiere es bisher nicht weiter gebracht haben, muss man sich die Frage stellen, ob sich auf einem Planeten zwei intelligente Spezis, die in den gleichen Habitaten Zuhause sind, entwickeln können, oder ob die "Schnellere" nicht alleine durch ihre Existenz die zweite daran hindert, sich fortzuentwickeln. Auf der anderen Seite haben wir ja noch ein paar Millionen Jahre ...

Und zu Seneca: Selten irrt der Mensch so sehr, wie bei der Vorausschau. Unsere überdimensionierten und darum höchst wartungsanfällige Abwassersysteme sind ein gutes Beispiel dafür.
(Kommentar korrigiert am 20.03.2016)

 loslosch meinte dazu am 20.03.16:
zwei intelligente spezies auf einem planeten.

darüber habe ich oft nachgedacht. die "farbenlehre" der menschenrassen (weiß, gelb, schwarz, braun, rot) und die darauf aufgebauten konflike zeigen mir, dass das nicht funktioniert.

würden die haustiere über die zig jahrtausende durch menschliche betreuung an intelligenz zunehmen, wäre die viehzucht eines fernen tages am ende. das gegenteil ist aber der fall: hege und pflege mindern die außenreize für eine bewusstseinsentwicklung.
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