Sestinische Tragödie

Satire zum Thema Apokalypse

von  AchterZwerg

Manch kahler Ast erscheint leprös, fast weiß,
gemahnt dich an den eignen Scheitel, breit,
wo früher, braungelockt, das Haupthaar wuchs.
Du weißt, du wirst es niemals wiedersehn.
Kein Lenz erblüht ihm, wenn es sich bemüht;
verlegen bürstest du darüber weg.

Auch deine Liebste ist schon lange weg
mit der Armani-Jacke, strahlend weiß,
um formidables Outfit stets bemüht.
Bei dir macht übler Schlendrian sich breit –
wirst Haar und Dame niemals wiedersehn
und nicht, was dir an Leuchtkraft draus erwuchs.

Auch nicht die Glut, die aus der Kälte wuchs
(nach ein paar Jahren blieb sie einfach weg):
Kein Weib, kein Schweiß, kein Leuchtpunkt mehr zu sehn!
Ist es die Zeit, die alles trübt? Selbst Weiß?
Warum macht sich erneut ein Frösteln breit
und nicht der Lenz, der sich um Wärme müht?

Du liest: „Er hat sich redlich stets bemüht“,
die Initialen sind von hohem Wuchs,
zum Ende hin wird‘s eher klein und breit.
Du wischst das mit dem Scheuerlappen weg.
Nach kurzer Zeit erscheint die Schrift im Weiß
der Wand erneut, ist gräulich anzusehn.

Noch einmal in das Grün der Augen sehn,
erahnen, was sich dies zu sagen müht,
in Chromoxyde tauchen alles Weiß ...
Willst diesmal nicht erschrecken vor dem Wuchs
des Fühlens. Ängste lachst du einfach weg,
küsst ihre Hände und ihr Lächeln, breit.

Bist niemals mehr vom Stroh-Rum torkelnd-breit,
und niemals mehr so scheußlich anzusehn,
und auch der Unterhalt bleibt keinmal weg!
Es reicht nicht, zeigst du dich nur halb bemüht,
vielmehr benötigt Liebe steten Wuchs;
nicht ein Verharrn im angegrauten Weiß.

Doch du sitzt hier im kahlen Froste, breit,
und ohne Hoffnung auf ein Wiedersehn:
Das Weib, das Haar, der Frühling bleiben weg.


Anmerkung von AchterZwerg:

Ihr Lieben,
leider weiß ich nicht genau, ob ich euch diese leicht boshafte Sestine bereits früher einmal vorgestellt habe. Falls ja: Gebt Laut; ich lösche dann sofort.
A.Z.

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Kommentare zu diesem Text


 TassoTuwas (13.05.19)
Hallo Zwergi

Am Ende bringst du`s auf den Kern
den großen Schmerz der ältren Herrn
das Blondhaar weg - das ist fatal
was sonst noch weg ist - ist egal !

Liebe Grüße
TT

 AchterZwerg meinte dazu am 13.05.19:
Tassos Trost

Doch bei der späten Damenwelt
ist dies nicht anders. Und es hält
nicht alles wie es einst gewohnt -
bloß *Zwerglein bleiben stets verschont!

* hüstel
Sin (55)
(13.05.19)
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 AchterZwerg antwortete darauf am 13.05.19:
Bei dir, mein lieber Sin,
wird mit Sicherheit alles ganz anders kommen!
Ich, beispielsweise, kenne einen Musiker mit schulterlanger, üppiger Mähne.
Der schaut aus wie ein gealterter Prinz Eisenherz *schmelz.
Leider sieht er mich ja kaum, weil er sich nicht mehr so tief bücken kann ...

Halbtraurige Grüße
A.Z.

Antwort geändert am 13.05.2019 um 14:05 Uhr

 Dieter_Rotmund (13.05.19)
Achso, Du bist ein Wiedergänger? Und welchen Namen warst Du früher hier unterwegs, wenn ich fragen darf?

 AchterZwerg schrieb daraufhin am 13.05.19:
Lieber Dieter,
ich bin das wieder auferstandene Traineelein. :)
Falls deine Freude eher verhalten ausfallen sollte:
Neues Spiel, neues Glück, nä?

Herzliche Grüße
A.Z.

 Dieter_Rotmund äußerte darauf am 13.05.19:
Nun ja, lieber(r) Trainee, die Avatare kommen und gehen hier, die Fluktuation ist hoch. Tatsächlich verbinde ich mit deinem alten Namen nichts, ausser dass er mir bekannt vorkommt, sorry.

 TrekanBelluvitsh (13.05.19)
Das alles ist ein böser Streich der Natur. Das Ziel: die Männer. Da haben es Frauen besser. Ihre Brüste wandern zwar nach unten, aber sie fallen ihnen nicht aus.
:D

 RainerMScholz ergänzte dazu am 17.05.19:
Mir fällt `was aus?!???!!!

 GastIltis (13.05.19)
Ach Atze, was soll man dazu sagen? Ich hatte mich im Februar ja zu Lottas Sestine schon einmal voller Begeisterung geäußert, die ich hier gern wiederhole, und mich dann selbst an solchen Versen (mit Lottas Unterstützung), in dem Fall auch reimlos so wie du versucht, aber ich getraue mich einfach nicht, die Zeilen mit dem Titel „Frühling“ einzustellen, weil ich, im Gegensatz zu dir und eben auch Lotta nicht so ganz überzeugt bin. Nun wird mich die Zeit wohl bald aus dem Rennen werfen und ich kann nur von der Überzeugung leben, etwas Schönes, Tragisches, selten zu Lesendes mit auf den Weg bekommen zu haben. Herzlich grüßt dich jedenfalls Gil.

 AchterZwerg meinte dazu am 14.05.19:
Lieber Gil,
Sestinen fallen eigentlich eher in die Rubrik der Sprachspiele. In dieser Hinsicht ähneln sie den Schüttelreimen.
Wird aber dort der magische Sog durch Reime erzeugt, gilt es in der streng kalkulierten Sestinen-Form, Wörter aus den Verausgängen der vorherigen Verse aufzugreifen. Auch so entsteht der erwünschte Wiedererkennungseffekt.
Es wundert also nicht, dass sich Petrarca (spielerisch) und Grypius (streng, wie immer) damit auseinandergesetzt haben. Letzterer auf herausragende Weise in der "Verleugnung der Welt."
Die Grundform ist häufig variiert worden.
Sie eignet sich gut für ein Lamento, wie ich es hier versucht habe, aber auch für andere Wiederholungen (Wiedergänger?).

Liebe Grüße
A.Z.

 EkkehartMittelberg (13.05.19)
Lieber achtsamer Zwerg,
ich habe diese Sixtine, eine Madonna unter den Sestinen, vorher noch nicht gesehen, aber selbst wenn es so gewesen wäre, hätte ich mich glücklich geschätzt, diese witzige Elegie noch einmal lesen zu dürfen.
Liebe Grüße
Ekki

 AchterZwerg meinte dazu am 14.05.19:
Danke schön, Ekki.

Auch dafür, dass du die dreiste Anspielung auf die sixtinische Madonna heruasgespürt hast.
Als Gegenpart gibt es dann noch das "lamento della ninfa" von Monteverdi.
Mit beiden vergleiche ich mein Werklein nicht wiklich.
Da es sich aber um einen satirischen Text handeln ...

Herzliche Grüße
A.Z.

 toltec-head (14.05.19)
Ein Spiegel.

 AchterZwerg meinte dazu am 14.05.19:
Oh,
mein erster Toltec-Kommentar! - Die gegenwärtige Inkarnation scheint genau die richtige zu sein.
Allerdings wirkt dein "Spiegel" (als Symbol) ein wenig sibyllinisch auf mich ...
Soll ich etwa schon wieder in den Spiegel schauen, so schnucklig, wie ich anzuschauen bin? Klein, doch wohlproportioniert?
Falls du allerdings den Spiegel einer fernen Inselgesellschaft meinen solltest, hat das ganz sicher rein gar nichts mit meiner Intention zu tun,

versichert
der 8. (und guckt treu)
BabySolanas (35) meinte dazu am 16.05.19:
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 AchterZwerg meinte dazu am 16.05.19:
Ach sohohoo!
Man kann Toltecs Frisur unterm Stahlhelm halt nur erahnen.
Kann natürlich auch sein, dass sein ständiges Helmtragen den Schaden erst verusacht hat.
Aber so ist das bei "unseren Jungs" in Afghanistan. - Ein wenig Schwund ist immer.

Extrem ernsthafte Grüße
der 8.

 LottaManguetti (21.11.19)
Eine Coda ist eine Coda ist eine Coda. Nur hier nicht. Für Sestinen gibt es enge Regeln, die man natürlich aufweichen, variieren kann. Allerdings sehe ich hier keinen Anlass dazu, die Coda anders zu behandeln als vorgeschrieben.

Ich werfe mal einen deiner Steine zurück. :D

Kommentar geändert am 21.11.2019 um 08:19 Uhr

 AchterZwerg meinte dazu am 21.11.19:
Hallo Lotta,
ich habe dir vor einiger Zeit bereits ausführlich (!) per PN dargelegt, warum diese Sestine korrekt ist und eben keine Volksliedstrophe, die an Zirrhose leidet. Das nur so zum Vergleich.
Genutzt hats offenbar nichts.
Ist aber nicht schlimm, weil ich mich über solche Dinge lieber unterhalte / streite als über Ein-Satz-Einträge oder indirekte Aufforderungen zum Mobbing.
Eigentlich bin ich so gar wegen dieser Unterhaltungen hier. -
Sie funktionieren leider nicht immer.
Dafür räume ich gern ein, dass es sich bei KV um ein ausgeprochen witziges, zuweilen zum Schreien komisches Forum handelt.
Das ist mir sehr wichtig und entschädigt mich für manches andere. ---

Werfen kann ich übrigens nicht besonders, habe als Schülerin gerade mal 17 m mit einem kleinen Lederball geschafft; bei Steinen wäre es vermutlich noch viel weniger.

Freundliche Grüße
der8.

 LottaManguetti meinte dazu am 21.11.19:
Ich meine ja nur. Da du anderen keine Freiheiten einräumst, wollte ich nachfragen, warum du sie dir genehmigst.
;)
Soviel zu meinem Steinchen.

Coda: (Auszug aus Wikipedia)

An die sechs Strophen schließt sich eine dreizeilige Coda an, in der sämtliche Reimwörter in der ursprünglichen Reihenfolge der ersten Strophe noch einmal (zwei pro Zeile) wiederkehren: drei der sechs Reimworter befinden sich am Ende der drei Verse, die anderen drei innerhalb der Verse.

Mich hatte damals irritiert, warum du darauf bestehst, nur drei Reimwörter (jeweils am Ende jeden Verses) zu verwenden und nicht wie eigentlich üblich alle sechs.
Eine Erklärung bekam ich dafür nicht.

Aber gut. Ich räume gern ein, nicht fehlerfrei zu sein, dachte aber, dass ich dir gestern erklärt hatte, warum ich auf vier Verse (Leberreime) übergegangen war.
Was mich störte, war das wiederholte Nachtreten auch auf Kommentare anderer Beteiligter.
Sowas brauche ich nicht.
Fehler oder "Fehler" hin oder her.

Danke
Lotta

Antwort geändert am 21.11.2019 um 12:59 Uhr

 AchterZwerg meinte dazu am 21.11.19:
Hallo Lotta,
Wikipedia ist zwar nützlich, aber birgt nicht unbedingt die Essenz literaturwissenschaftlicher Kenntnisse. Dort kann (fast) jeder mitarbeiten.
Ich habe dir die Sachlage bereits hinreichend erläutert; zweimal werde ich das nicht tun. Lies dir einfach die Mails noch einmal durch. :)
Falls du an Gedichtformen näher interessiert sein solltest,
besorg dir aus der Unibibliothek das passende Material. - Zwei, drei Standardwerke könntest / solltest du dir kaufen: Wolfgang Kayser: "Das sprachliche Kunstwerk" und Dieter Lamping: "Handbuch Lyrik."

Freundliche Grüße
der8.

 LottaManguetti meinte dazu am 28.11.19:
Wolfgang Kayser "Das sprachliche Kunstwerk"
Francke Verlag Bern und München, 16. Auflage von 1973, S.95

Zitat:

D i e S e s t i n e, eine Erfindung des Provenzalen Arnaut Daniel, besteht aus sechs sechszeiligen Strophen. [...] Auf die sechs Strophen folgt eine Geleitstrophe aus drei Zeilen; jede Zeile enthält zwei der Wörter, und zwar folgt ihre Reihenfolge der ersten Strophe.

Hervorhebung durch mich.

Und nun ists gut damit.
;-)

Antwort geändert am 28.11.2019 um 09:24 Uhr

 AchterZwerg meinte dazu am 28.11.19:
Und wenn man weiter schaut, steht da, dass die ursprüngliche Gedichtform von formfreien (!) Lyrikern immer wieder einmal benutzt wurde (S. 91 Mitte).
Und als solche trete ich hier auf.
Aber: Als Vorschlag zur Güte tausche ich ein Leberragout gegen eine Sestine nach allen Regeln tradierter Kunst.
Ok?

Und nun ist gut damit.

 LottaManguetti meinte dazu am 28.11.19:
Ach ... und nein, das steht in meiner Ausgabe leider nicht. :(

 harzgebirgler (20.03.21)
den reitern der apokalypse
trät' ungern wohl wer auf die schlipse.

lg
harzgebirgler

 AchterZwerg meinte dazu am 20.03.21:
So lange das Haupthaar noch lang genug wallt, kann man die ja notfalls daran zurückreißen,

hofft der8.
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