11 - In einem richtigen Leben

Erzählung zum Thema Beziehung

von  Moja

Zwei Wochen vergingen, bis Tariq anrief und um ein letztes Treffen bat. Es wäre sehr wichtig für ihn, betonte er.
Ein paar Tage nach dem Telefonat, traf Elke sich mit Tariq. Er hatte einen Treffpunkt in der U-Bahn ausgemacht, auf dem Bahnsteig, wo gewissermaßen alles begonnen hatte.
Elke fuhr zu der Station, stieg aus und suchte den Bahnsteig nach ihm ab. Er war schon da, als sie ankam. Sie begrüßte ihn mit einem zaghaften Lächeln. Er sah gut aus in seinem olivfarbenen Hemd. Sanft strich sie ihm über die frisch geschnittenen Haare, kurz erschien ein schmerzhaftes Lächeln auf seinem Gesicht. Sie hatte sein Geschenk und sein Wörterbuch dabei. Er lehnte ihr Geschenk ab, auch das Wörterbuch nahm er nicht an.
Er begann sie mit Vorwürfen zu überschütten, sie hätte alles kaputt gemacht, er würde ihr nie verzeihen, dass sie ihn an seinem Geburtstag versetzt und mit einer SMS abgefertigt hätte.
Bestürzt entschuldigte sie sich noch einmal. In der Annahme, das Thema wäre für ihn erledigt gewesen, hatte sie ihn nicht mehr darauf angesprochen. Sie hatte ihn angerufen, sagte sie, bevor sie ihm eine SMS schickte.
„Wann?“, fragte er. Dann suchte er fieberhaft in seiner Tasche, fand einen Kassenzettel und hielt ihn hoch.
Servietten, Kerzen, eine lange Liste, las Elke.
Gekränkt tippte er auf die Uhrzeit. Er war einkaufen gewesen.
Plötzlich ahnte sie einen Augenblick, was er dachte. Verblüfft sah sie ihn an. Er hatte stundenlang auf sie gewartet.
Jetzt starrte er sie an, für ihn war es eine Ungeheuerlichkeit, dass sie nicht gekommen war.
Die Stadt, in der er lebte, tat ihr nicht gut, dachte sie, schlimmer noch, überwältigte sie mit Gefühlen aus ihrer Vergangenheit, löste bei ihr Panikanfälle aus. Wie sollte sie ihm erklären, was sie selbst nicht wusste? Dann fragte sie behutsam nach, wie er den Geburtstag verbracht hatte.
Er verlor kein Wort darüber.
Es war alles gesagt.
Die Entfernung zwischen ihnen wuchs mit jedem Moment. Wie von weitem sah sie ihn stehen, seine schlanke Gestalt, das verschlossene Gesicht, dann spürte sie die unerschütterliche Festigkeit, die von ihm ausging und einen stechenden Schmerz, den bitteren Beigeschmack des Bedauerns. Sie stieg in den Zug. Und drehte sich nicht um.

(Auszug) - Fortsetzung folgt -

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (13.10.20)
Liebe Moja, Sympathie oder Antipathie des Lesers mit Figuren sagen nichts über die Qualität einer Erzählung aus, Deine ist sprachlich auf einem hohen Niveau. Ich würde nirgends anders formulieren. Das ist entscheidend. Es ist also eine zu vernachlässigende Bemerkung, wenn ich sage, dass mir die Wehleidigkeit von Tariq auf die Nerven geht.
Liebe Grüße
Ekki

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 13.10.20:
Ich bin ganz d'accord mit Ekkehard.
Und hoffe, dass sich die Hauptfigur der Erzählung emanzipiert und sich nicht in eine Opferrolle rangiert. Das würde ich nicht lesen wollen, solche Depri-Stories gibt es schon mehr als genug.

 Moja antwortete darauf am 14.10.20:
Lieber Ekki, im Vertrauen, mir geht Tariq auch auf die Nerven. Aber vor allem: Frau lernt wenig dazu - beobachte ich immer wieder.

Du meinst also, und Dieter auch, ich kann den Text so lassen. Wenn Ihr das sagt, dann bedeutet mir das viel.

Hoffentlich enttäuscht Dich das Ende nicht, Dieter. Zumindest EINE FRAU habe ich aus ihrer scheinbar aussichtslosen Lage befreit, das wäre mir sonst gegen den Strich gegangen. Im wirklichen Leben verläuft der Prozess meist weniger günstig meiner Erfahrung nach.

Herzlichen Dank für das geduldige Lesen und die Rückmeldung.
Liebe Grüße,
Moja

Antwort geändert am 14.10.2020 um 11:18 Uhr

 franky (13.10.20)
Hi liebe Moja

Gutes Theater in einem Aufzug, der Ubahnbahnsteig als Kulisse ist treffend.
Mir gefällt deine perfekte Art zu schreiben.

Liebe Grüße von Franky

 Moja schrieb daraufhin am 14.10.20:
Der Zug scheint längst abgefahren, Station für Station schiebt sich vorbei, aber heute folgt das Ende.

Herzlichen Dank für Dein fettes Lob, lieber Franky!

Liebe Grüße,
Moja

 Regina (13.10.20)
Wir fühlen es mit, was die Prot. erlebt und sind genauso genervt wie sie.

 Moja äußerte darauf am 14.10.20:
Oh weh, liebe Regina, wie sehr ich doch Eure Nerven strapaziere. Heute zum letzten Mal, das Ende ist schon drin.

Aufatmende Grüße von
Moja

 AchterZwerg (14.10.20)
Den letzten Abschnitt finde ich besonders gelungen.

Wegen der Prota bin ich - fortsetzungsbedingt - ein wenig "bange."
Tariq wird diese Form der Zurückweisung nicht hinnehmen, lieber negativ als gar nicht wahrgenommen werden wollen, wie die Erfahrung lehrt.
Solche (im Grunde lächerlichen) Dramen werden täglich inszeniert. Und nicht nur in der arabischen Kultur. Sie fußen m. E. auf tradiertem patriarchaischen Gedankengut, das leider noch immer nicht überwunden ist.

Liebe Grüße
der8.

 Moja ergänzte dazu am 14.10.20:
Du siehst das ganz richtig voraus, lieber 8., so schnell gibt der Mann nicht auf in seiner Selbstherrlichkeit.
Ein altes Phänomen, da stimme ich Dir zu, hier allerdings verschärft durch das Fehlen eines gültigen dauerhaften Aufenthaltsstatus.

Mit Teil 12 erlöse ich Euch heute von meinen zwielichtigen Gestalten und bedanke für so viel Geduld und Aufmerksamkeit.

Liebe Grüße,
Moja

 TassoTuwas (14.10.20)
Hallo Moja,
ich bewundere, wie es dir immer wieder gelingt, die Gefühle dieser jungen Frau so hautnah zu schildern, dass es unmöglich ist
sich dieser Zerrissenheit zu entziehen!
Herzliche Grüße
TT

 Moja meinte dazu am 14.10.20:
Während ich Tag für Tag am See entlanglaufe, spazieren die Gedanken durch meine Erfahrungen, diese Geschichten passieren andauernd um mich herum. Beim Laufen gewinne ich Klarheit, komme nach Hause und schreibe weiter.

Heute habe ich die Geschichte beendet und eben den letzten Teil eingestellt.

Hab vielen Dank,
herzlich grüßt,
Moja
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