Kung Fu

Bericht zum Thema Begegnung

von  Graeculus

Schüler gibt es auch auf dem Gymnasium, die mit dem abstrakten Denken und dem klaren Schreiben nicht zurechtkommen. Ich habe viele davon kennenglernt, und manche von ihnen waren sympathische, freundliche, keineswegs faule Menschen.

Einer von ihnen betrieb mit großer Leidenschaft Kung Fu. Bei unseren Gesprächen, in denen ich überwiegend der Zuhörer war, erklärte er mir die Wichtigkeit, am Beginn der Ausbildung zunächst die Klopper auszusortieren, die Kampfsport lernen wollten, um bei Freund und Feind gefürchtet zu sein. Nein, meinte der Schüler, als erstes müsse man lernen, abseits der sportlichen Wettkämpfe jedem physischen Konflikt aus dem Wege zu gehen, solange es irgendwie möglich sei.

Vor dem Abitur mußte er wegen seiner schlechten Noten – außer in Sport - die Schule verlassen. Später ist er Kung-Fu-Weltmeister in einer speziellen Disziplin geworden, Europameister obendrein, und hat danach eine erfolgreiche Kung-Fu-Schule gegründet. In deren Planungsphase erklärte er mir, wie schwer es sei, einen geeigneten Ort für eine solche Schule zu finden. „Warum?“, fragte ich, „eine derartige Schule kann man doch an jedem beliebigen Ort gründen.“ „Nein“, entgegnete er mir, „dort, wo ich wohne, hat mein Meister seine Schule, und es gehört sich nicht, daß man zu ihm in Konkurrenz tritt.“ Das sei eine Sache des Respekts.

Ein anderer Schüler, der sich ebenfalls für Kung Fu begeisterte und mich über seine Erfolge informierte, erzählte mir, er habe bei einem Urlaub in der Türkei einen Passanten, der sich eine respektlose Bemerkung gegenüber seiner Mutter erlaubt habe, an den Haaren gepackt, ihm mit großer Wucht den Kopf hinunter- und gleichzeitig blitzschnell das eigene Knie hochgerissen. Die Nase dieses Mannes, so berichtete mir der Schüler mit sichtlicher Genugtuung, sei danach nur noch Brei gewesen.

Das Abitur hat er problemlos bestanden, dieser Schüler.


Anmerkung von Graeculus:

https://sportakademie-richter.de/sigung-jens-richter-2/ [aufgerufen am 29.11.2020]

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (30.11.20)
Der Unterschied zwischen einem klugen (der Erste) und einem schlauen (der Zweite) Menschen und ein Beispiel, warum man schlaue Menschen mit Vorsicht betrachten sollte.

 Graeculus meinte dazu am 30.11.20:
Es besteht ein großer Unterschied zwischen diesen beiden Menschen, den man mit Klugheit (Besonnenheit?) und Schlauheit bezeichnen kann. Oder es sind zwei verschiedene Arten von Intelligenz.
Der Letztgenannte ist übrigens Personalberater geworden.

 AndreasG antwortete darauf am 17.12.20:
Für mich hat das nicht viel mit "Schläue", "Klugheit" oder "Intelligenz" zu tun, sondern eher mit "Mentalität" oder "Charakter".
Genau wie "Bildung", sind all diese Begriffe so schlecht definiert, dass sie für jeden Menschen etwas anderes darstellen. Oft wird alles in einen Topf geworfen, aber es kann auch gewaltige Unterschiede geben.
Schulerfolg und/oder beruflicher Erfolg werden außerdem nicht nur mit Fähigkeiten des Intellekts erreicht, sondern durch viele andere Faktoren entscheidend beeinflusst. Es ist leider ein weit verbreiteter und fataler Irrglaube, dass Schulnoten oder die Lohnabrechnung direkt auf die Intelligenz schließen ließen. Sogar sehr viel Bildung und einschneidende Erfahrungen tropfen an so manch einem Menschen ab ohne eine Spur im Charakter zu hinterlassen.

 Graeculus schrieb daraufhin am 18.12.20:
Eine (positive oder negative) Korrelation zwischen Schulerfolg und beruflichem Erfolg gibt es wohl nicht; auf ihre Art waren bzw. sind beide hier erwähnten Schüler beruflich erfolgreich.
Eine Korrelation zwischen schulischem Erfolg und Charakter (der sich ja auch später noch entwickeln kann) gibt es vermutlich ebensowenig.

Was ich als Lehrer aber doch beurteilen konnte, war die Fähigkeit - zum Zeitpunkt ihrer Feststellung! -, logisch denken und klar formulieren zu können; deren Fehlen war für die Schullaufbahn schädlich, und zwar in folgender Weise:

Ein Schüler konnte (und jetzt spreche in einmal knapp & pauschalisierend) sein:
- klug oder dumm
- fleißig oder faul
- angepaßt oder aufsässig
In einer dieser drei Hinsichten konnte er sich ein Defizit erlauben und dennoch das Abitur bestehen; bei zweien hingegen wurde es schwierig. Klugheit allein reichte nicht, wenn sie mit Faulheit und Aufsässigkeit zusammentraf. Dummheit (mangelnde Begabung in intellektueller Hinsicht) konnte man durch Fleiß und Angepaßtheit kompensieren. Und so weiter.

Die Aufsässigkeit erinnert mich an einen Schüler, der noch in der Stufe 13 durch ein Einsatz eines Furzkissens im Unterricht nervte; da er obendrein faul, wenn auch sehr klug und begabt war, hatten wir große Mühe, ihn nach zwei "Ehrenrunden" doch noch durchs Abitur zu bringen. Keine Ahnung, was aus ihm geworden ist. Zur Abiturfeier haben wir allen Schülern seiner Stufe eine Blume, ihm aber einen Kaktus geschenkt.

 Graeculus äußerte darauf am 18.12.20:
Meine Sympathie gehört übrigens dem ersten Schüler in meiner Anekdote; aber das merkt man sicher.

 AndreasG ergänzte dazu am 18.12.20:
Immerhin zwei Deiner drei Kategorien sind von außen beeinflusst (bzw. beeinflussbar), so eine Sichtweise habe ich selten von Lehrerseite erleben dürfen.

Einen starken Einfluss hatte nach meinem Erleben auch:
- Selbstsicherheit (bei Mädchen in den Naturwissenschaften ein Problem, aber auch für alle bei mündlichen Prüfungen und Referaten ein wichtiges Thema)
- Sprachvermögen (nicht nur bei Fremdsprachlern, sondern auch vom Bildungsstand der Eltern abhängig)
- Vorbildung (sehr abhängig vom Elternhaus)
- Förderung und Unterstützung (etwa durch die Eltern)
- Pubertät (sie beutelt den einen mehr, den anderen weniger)
- Interesse am Unterrichtsstoff (zuviel kann unter Umständen den Noten schaden, zu wenig schadet auf jeden Fall ... dieser Punkt gilt übrigens auch für Lehrer)
- Charisma (denn LehrerInnen sind auch nur Menschen und wenn die Chemie nicht stimmt ...)

Für "klug oder dumm" fände ich "begabt oder unbegabt" besser, denn es kann ja von Fach zu Fach wechseln.

 Graeculus meinte dazu am 19.12.20:
Stimmt, den möglichen Einfluß von außen habe ich wohl stillschweigend vorausgesetzt, jedenfalls nicht reflektiert. Mein Modell ist stark vereinfacht.
Die verwendeten Begriffe sind diskussionsbedürftig und auch verbesserbar. Mit "klug oder dumm" meinte ich die Art von Intelligenz, die in meinen Fächern relevant ist; "begabt oder unbegabt" ist weiter gefaßt und berücksichtigt dann auch Fächer wie Kunst, Musik und Sport.

Pubertät ist ein ganz wichtiger Faktor, vor allem in der Mittelstufe. Da haben viele junge Leute ganz andere Interessen als die Französische Revolution.

Von der Seite des Lehrers habe ich mir mal eine ähnlich holzschnittartige Regel einfallen lassen: Ein Lehrer darf alles mögliche sein, aber niemals uninteressant (dann will man bei ihm nichts lernen) und niemals unklar (dann kann man bei ihm nichts lernen).

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