Wie ich bei Liebeslyrik böse erwischt wurde

Dokumentarstück zum Thema Frieden

von  eiskimo

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Dass ich den französischen Liedermacher Francis Cabrel sehr schätze, habe ich in diesem Forum schon mehrfach einfließen lassen. Denn Cabrel übersetzt Themen in „chanson“, die man da nicht unbedingt erwartet: Zum Beispiel was ein Stier sieht, wenn er bei einer Corrida vorgeführt wird, mit welchen Gedanken die Mutter zweier Halbwüchsiger in Marseille ihren Job als Zimmermädchen macht oder welche Verzweiflung junge Männer in Afrika antreibt, um sich mit Nichts in der Tasche nach Europa aufzumachen.

Jetzt hat Cabrel, der aus dem Lot-et-Garonne (Südwest-Frankreich) stammt, ein Chanson gemacht über die Troubadoure, bei ihm „Rockstars du Moyen Age“ genannt.  „Trobadors“ , das waren Autoren und Sänger mittelalterlicher Lieder, die bei Hofe zur Laute oder Harfe sehr einfache Gedichte intonierten. Thema war meist die Liebe:  die unerfüllte, sehnsuchtstvolle Liebe des Barden zu einer Dame höheren Standes, verheiratet – kurz unerreichbar; eine rein platonisch Liebe und von daher politisch absolut harmlos.

Was literarisch daran aber revolutionär war: Diese Liedermacher sangen nicht auf Latein, in der Sprache der Elite, sondern auf Provenzalisch, in der Sprache des Volkes.

Cabrel singt Teile seines Chansons daher in dieser „langue d´ oc“, also nicht auf Französisch. Er verweist auf die Stars von damals, einen Bernard de Ventadour, Bertran de Born und vor allem Jaufré Rudel.  Cabrels Thema ist natürlich die Liebe, die – so sagt er - auch achthundert Jahre später noch die gleiche sei, und die Melodie dieses Chansons mutet auch mittelalterlich an.

Soweit, so harmlos. Nur machte ich den Fehler, mir die von Cabrel genannten Trobadors („trovères“) näher anzuschauen. Und damit wurde es dann doch politisch.

Denn Rudel lebte zu Zeiten des II. Kreuzzuges 1147, und von seinen Liedern ist eines von besonderer Bedeutung: Lancquan li Jorn. Dieses nämlich soll Vorbild  gewesen sein für Walther von der Vogelweide und dessen „Palästinalied“.

Palästina? Spätestens hiermit wird aus Liebeslyrik plötzlich politischer Sprengstoff. Denn Walther lässt sein lyrisches Ich tatsächlich an einem Kreuzzug ins Heilige Land teilnehmen, und welche Rolle muss der Schauplatz Palästina dabei spielen?  Brisanter Zankapfel zu sein zwischen Juden, Christen und Heiden.

Nein, es ist nicht von Muslimen die Rede. Heiden. Ich zitiere die 11. Strophe, die  propagandistisch den höheren Anspruch der Christen zum Ausdruck bringen soll:

 Christen, Juden und Heiden
behaupten, dass dies ihr Erbe sei.
Gott müsste es gerecht entscheiden,
durch die drei seiner Namen.
Die ganze Welt bekriegt sich hier.
Wir sind mit unserer Bitte im Recht,
und daher ist es Recht, dass er sie uns gewähre
.

„Die ganze Welt bekriegt sich hier…“ Makaber, dass Palästina auch im frühen Mittelalter schon Objekt religiöser Eiferer war. Makaber, dass mich ein scheinbar harmloses Chanson plötzlich „so böse erwischt“.  Denn von da den Blick auf die aktuelle Situation zu richten….

Nein, dann lieber noch den Musiker Jordi Savall zu Wort kommen lassen, der ausgewiesener Kenner der Troubadour-Geschichte ist. Was er sagt, mag weltenfern sein, aber es passt  viel besser zu Francis Cabrel und seinen romantischen  „Rockstars del Media d´Atge“:

Ein Troubadour ist ein Mensch, der das Talent hat, Emotion, Kunst und Geistigkeit mit schönen Gedanken und schöner Musik zusammenzubringen. Er ist ein Mensch, der anderen Leuten Freude bringen kann, der andere Leute träumen lässt mit seinem Gesang, mit seine Musik. Und ich denke, das ist die erste Botschaft für Frieden heute, weil ein Troubadour bringt im Grunde genommen Friede in die Herzen von alle Menschen, die ihn hören."

 

 




Anmerkung von eiskimo:

Möge Jordi Savall doch Recht behalten!

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (01.11.23, 11:15)
Ein Text mit viel Hintergrund. Oft ist das scheinbar Unpolitische politisch.

LG
Ekki

 eiskimo meinte dazu am 01.11.23 um 11:48:
Ja, es holt einen immer wieder ein.
Danke, lieber Ekki, auch für die Wertschätzung dieses Textes bzw. eines sehr emitionsträchtigen Themas.
Eiskimo

 AchterZwerg (01.11.23, 16:23)
Lieber Eiskimo,
ich saachma so: sehr gut recherchiert und dargebracht.

Mögen die Troubadoure und du niemals aussterben! :)

Herzlichst
der8.

 eiskimo antwortete darauf am 01.11.23 um 17:46:
Und mögen uns keine Kreuzzüge mehr in die Quere kommen. Anbetungswürdige Frauen gerne...
LG
Eiskimo

 Verlo (02.12.23, 07:21)
eiskimo, kann man die Siedlungspolitik Israels als Fortsetzung der Kreuzzüge ansehen?

 eiskimo schrieb daraufhin am 03.12.23 um 13:39:
Es sind völlig andere Akteure, es ist eine völlig andere Interessenlage, es wird heute auch weltweit ganz anders beobachtet - ich würde da keinen solchen Begriff für nehmen...

 Verlo äußerte darauf am 03.12.23 um 17:14:
eiskimo, selbst bei den Kreuzzügen wechselten die Akteure, allein schon wegen des beschränkten Lebensalters.

Gemeinsam ist: eine Gruppe von Menschen beansprucht Land, weil dort angeblich einer ihre Heiligen gestorben ist, aber dieses Land ist bereits Generationen zuvor Land einer anderen Gruppe von Menschen.

Von dem das Problem ausgeht, ist eindeutig.

Übrigens: in Palästina hat es nie Heiden gegeben.

 Verlo ergänzte dazu am 03.12.23 um 17:35:
Die Radikalen der ersten Gruppe beanspruchen das Land vom Euphrat bis zum Nil.

Und sehen sich durch Gott im Recht, Menschen anderen Glaubens zu vertreiben.

Zum Glück hat sich die andere Gruppe nicht provozieren lassen.

Nun kann jeder, der sehen will, sehen, von wem das Problem ausgegangen ist.

 Dieter_Rotmund (02.12.23, 12:04)
Atge?

 eiskimo meinte dazu am 03.12.23 um 13:40:
Das ist Provenzalisch für Age...

 S4SCH4 (03.12.23, 14:05)
Spannender Zwist und mir stellt sich die Frage ob es sich gelohnt hat, das politische Motiv, gegen den üblichen Liebesschmaus- zumindest zeitweilig- einzutauschen bzw. es miteinander zu verbinden?

Unklar blieb mir beim lesen des Textes, ob der von Dir zitierte Textauszug (11.Strophe), das "Lancquan li Jorn" oder Vogelweides Stück ist?

Wie dem auch sei, mir bleibt hier bei allen, mir auch gut recherchierten Infos, als zentrales Thema doch die Weiberei stehen. Das man sich exotische Dirnen wünschte und dies mit dem Wunsch eigener Ritterlichkeit mischte, brachte eben zu Zeiten der Kreuzzüge, nicht eben zufällig, genau dorthin: ins heilig bekriegte Land.

vg

Kommentar geändert am 03.12.2023 um 14:07 Uhr
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