Wie sieht eine Klausur eigentlich aus?

Text

von  Mondscheinsonate

Vorab, es ist stets ein Geschwafel. Da Unitexte die wenigsten Leser hat (Was will man darunter sich an die Gurgel gehen?), ist dieser Text für die treuen Mitfiebernden, die doch Interesse an der Denkweise anderer aus Fachgebieten haben.

Heute geht es um das Europarecht. Grundsätzlich hatte ich schon letzte Woche schriftliche Fachprüfung in Linz, jedoch morgen nochmals Klausurenkurs, die mache ich, damit ich einen Schein bekomme, ergo: Es geht nur um Credits.

Wie ist eine Klausur aus Europarecht aufgebaut? 80% Theorie, 20% Argumentation. Allerdings kann man mit der Theorie schon gut argumentieren. Vorallem, weil sich diese aus der Rechtsprechung ergibt. 

Nehmen wir den letzten Fall her, kurz umrissen, eine Kontaktlinsen GmbH des Mitgliedstaats A hört auf einer Messe, dass sie hohe Umsätze im Mitgliedstaat B erzielen kann, da es eine hohe Nachfrage nach Kontaktlinsen gibt. Die Kontaktlinsen GmbH vertreibt nun aus dem Mitgliedstaat A aus ihre Linsen über das Internet im Mitgliedstaat B. Zwei Wochen später bekommt sie einen Bescheid aus B, dass sie dies unterlassen möge, resultierend aus dem Gesetz, das zum Schutze der Gesundheit des Verbrauchers vorschreibt, dass Kontaktlinsen nur über Fachgeschäfte vertrieben werden dürfe. 

Hier steckt eine Norm und gleich ein Rechtfertigungsgrund darin. 

Das ist hilfreich.

Die Prüfung beginnt so:

0.Vorfragen

Zunächst ist die Grundfreiheit zu erkennen. Man könnte denken, dass der Vertrieb über das Internet eine Dienstleistung wäre, nämlich eine korrespondierende, jedoch ist die Dienstleistung persönlich, sachlich, nicht von langer Dauer und selbstständig zu verrichten. Hier geht es aber hauptsächlich um die Ware, nämlich die Kontaktlinsen, daher ist die Warenverkehrsfreiheit zu prüfen. (In der Vorfrage muss zunächst abgegrenzt werden!)

Ich spare jetzt die Artikel im AEUV aus.


Hier wird räumlich, sachlich und persönlich abgeklärt.

Räumlich: Die Kontaktlinsen werden von A nach B verschickt. Es liegt ein grenzüberschreitender Sachverhalt dar.

persönlich: Begünstigte sind die Kontaktlinsen, es ist gleichgültig ob diese eine natürliche oder juristische Person versendet. Verpflichteter: MS B.

sachlich: Es geht um Unionsware, die Kontaktlinsen.

Es liegt keine einheitliche Harmonisierung vor. 


II. TATBESTAND

Fraglich ist, ob das Gesetz, das vorschreibt, dass die Kontaktlinsen nur in Fachgeschäften verkauft werden dürfen, nicht tatbestandsmässig iSd Dassonville-Formel ist. Die Dassonville-Formel besagt, dass jede Handelsregelung der Mitgliedsstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern, ist als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung anzusehen.

Diese Formel greift aber zu weit ( Siehe "Ladenöffnungszeiten") und so wurde die Dassonville (die nach einem Urteil benannt wurde) durch die Keck-Rsp. beschränkt, die untergliedert in vertriebsbezogene und produktbezogene Maßnahmen. Produktbezogene Maßnahmen sind jedenfalls diskriminierend, vertriebsbezogene, die diskriminierend wirken, tatsbestandsmässig, die, die unterschiedslos beschränken, nicht.

Und jetzt kommt es auf die Argumentation an, denn auf den ersten Blick wirkt das Verbot des Vertriebs außerhalb der Fachgeschäfte unterschiedslos, weil es für in- sowie ausländische Kontaktlinsen gilt, jedoch haben es dadurch ausländische Kontaktlinsen schwerer, auf den Markt zu kommen und sind nur auf den Fachhandel angewiesen, ob dieser bestellt. Es liegt eine diskriminierende Wirkung dar, die tatbestandsmäßig ist.


II. RECHTFERTIGUNG

Der MS B rechtfertigt die Norm mit der Gesundheit des Verbrauchers. Es liegt ein geschriebener RF-Grund vor. Durch die Cassis-Rsp lässt der EuGH auch ungeschriebene RF-Gründe zu, stellt allerdings stets auf den mündigen Verbraucher ab. "Im Interesse der Allgemeinheit..."

Der Kontaktlinsenträger ist als mündiger Verbraucher einzustufen, der seine Sehstärke kennt und es ist ihm zumutbar, dass er sie sich selbst aussuchen kann und auch Preise vergleichen darf. Das Internet ist dazu das geeignete Mittel.


III. VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT

Hierbei ist zu prüfen, ob die Rechtfertigung des MS B hält.

Diese prüft man mit der GEA-Formel: geeignet, erforderlich und angemessen: Das Verbot des Vertriebs der Kontaktlinsen ist nicht geeignet, um den Verbraucher gesundheitlich zu bewahren, da ein mündiger Mensch keine schlecht sitzenden Linsen länger als einen Tag trägt und er schädigt auch nicht freiwillig seine Augen, das Verbot ist daher nicht erforderlich und angemessen, sondern viel zu eng gefasst. 



Mit dem ist man auf jeden Fall durch, mit Artikeln. Natürlich könnte man noch mehr ausholen. Das tat ich auch bei der Klausur. 

Bei Personenverkehrsfreiheiten kann man nicht mit Dassonville oder Keck argumentieren, allerdings mit der Gebhard-Formel. Die jegliche Form der Diskriminierung verbietet. 

Bei der Kapitalsfreiheit kommt die Besonderheit dazu, dass auch Drittstaaten nicht diskriminiert werden dürfen, desweitern macht es einen Unterschied, ob man nur Aktien kauft, um des Kapitals willen oder ob man riesige Mengen kauft, um Firmenanteile zu ergattern, das fällt dann unter die Niederlassungsfreiheit. 

Auch im Fall Bosman, dem Fußballer, kamen als Verpflichteter die intermediären Gewalten ins Spiel, das sind Vereine, Gewerkschaften, Zusammenschlüsse, die einen Einfluss haben, die eigene Normen, Statuten, sonstiges erlassen können. 

Spannend ist das Europarecht, reines Case Law.


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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (13.12.23, 22:43)
Da dieses Argument:

Der Kontaktlinsenträger ist als mündiger Verbraucher einzustufen, der seine Sehstärke kennt und es ist ihm zumutbar, dass er sie sich selbst aussuchen kann und auch Preise vergleichen darf. Das Internet ist dazu das geeignete Mittel.

diese Begründung:

Gesetz, das zum Schutze der Gesundheit des Verbrauchers vorschreibt, dass Kontaktlinsen nur über Fachgeschäfte vertrieben werden dürfe.

entkräftet, wird also das Gesetz in Mitgliedsstaat B obsolet, d.h. das Europarecht greift in das nationale Recht ein. Kann man das so sagen?

 Mondscheinsonate meinte dazu am 14.12.23 um 05:51:
Das ER steht über nationalem Recht bei den Grundfreiheiten. Alles, was den Binnenmarkt behindert, darf nicht sein. Daher sind Richter des Obersten verpflichtet, bei Gesetzesauslegungen, wo sie unsicher sind, eine Vorlage beim EuGH zu machen. Unterinstanzliche Gerichte können, müssen aber nicht, müssen nur, wenn sie bemerken, dass es definitiv nicht unionsrechtskonform ist.

Antwort geändert am 14.12.2023 um 06:03 Uhr

Antwort geändert am 14.12.2023 um 06:03 Uhr
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