Alles paletti

Text

von  Mondscheinsonate

Nun, während ich notgedrungen den Kriegsgeräuschen zuhöre, in meiner Nähe ist der Schießplatz des Bundesheeres, vermischt mit den Sägegeräuschen eines Nachbarns, was auch immer er macht (kürzlich wurden Leichenteile in der Nähe gefunden, was weiß man schon wirklich), auf den Fisch im Rohr warte, ja, ich gehöre zu denen, die die Verpackung achtlos wegschmeißen, um sie danach wieder herauszuholen, weil ich keinen blassen Schimmer habe, wie lange sowas im Ofen bleiben muss, fülle ich den Antrag für die Gerichtspraxis aus, dies mit Freude, Schmerz und Wehmut. Freude, weil bald alles vorbei ist, abzüglich der Sommerferien, nur noch sechs Monate, Schmerz, weil man man während der Gerichtspraxis so wenig verdient, dass man daneben noch arbeiten muss, was 7-19h bedeutet, sonst kann man sich das Leben nicht leisten und Wehmut, weil es bald vorbei ist. Mein Studium gehört zu den vier Schwersten, die Frage, ob man  stolz darauf sei, ist somit obsolet. 

Ich erinnere mich noch an den Anfang, frischgebackene Maturantin, damals 40 Jahre, fanden wir Frischlinge uns in der Fachhochschule in Villach ein. Die Professoren redeten uns schon von der ersten Sekunde mit "Herr oder Frau Kollege/Kollegin" an, wir wurden bereits Zunftmitglieder, mussten aber auch hören, der Professor für Zivilrecht stand vorne und zeigte über 300 Studenten mit dem ausgestreckten Finger, dass er weiß, dass von den stolzen 300 nur 50 übrig bleiben werden im ersten Studienabschnitt und es nur die Elite schaffen wird, das sind aus diesem Saal maximal 20. Er sollte Recht behalten, nach den ersten Klausuren verkauften Dutzende alle (!) Bücher, die wir brauchten (nennt sich Medienkoffer) und meldeten sich im Forum ab, verabschiedeten sich. Von meinem Jahrgang sind nur noch 27 übrig. 

Ich unterstehe dann einem zugeteilten Richter/einer Richterin, nenne sie Rat, schreibe diktierte Urteile, sitze bei Verhandlungen neben dem Rat und werde beurteilt, wandere ins Strafgericht, Verwaltungsgericht, Bezirks- und Landesgericht, durchwandere Instanzen, nur der VfGH und OGH bleiben mir verschlossen, die Höchstgerichte sind für "Lehrlinge" tabu, das denke ich, während ich meinen Wunschbezirk bezüglich des Bezirsgerichts eintrage.

Der Professor stand vorne und beäugte alle ganz genau, amüsierte sich über freudestrahlenden, vor stolz strozenden Gesichter, wandte sich ab, kurz nur, redete weiter, sagte, dass wir nicht glauben sollen, irgendjemand würde uns irgendwas schenken, wer das glaubt, der möge heute gleich wieder abfahren, nachhausefahren, er braucht nur die, die wollen und wenn es regnet, stürmt oder schneit  wir haben zu lernen. 

Das tat ich, egal, ob es fast 40 Grad draußen hatte, es hagelte oder düster war, wenn andere im Schwimmbad waren, sich mit einem Liebhaber amüsierten, Parties feierten, saß ich und lernte und es dauerte so lange, das Leben zog an mir vorbei, acht Jahre, doppelt so lange neben Vollzeitarbeit, ich hatte mir das leichter vorgestellt und stets der Kampf gegen die Müdigkeit, unerträglich, ich war dauermüde. 

Und ja, das Demokratieverständnis ist da, so lautet die Definition, dass sie weisungsgebunden ist, aber diese wissen nur Studenten der Rechtswissenschaften, alle Handlungen müssen auf das oberste Organ zurückzuführen sein. 

Schlussendlich musste ich alle Schriftsatzarten, jedes Wort über den Staat und sein System lernen.

Also, auf die richtige Argumentation kommt es an, sagte der Professor, es gibt kein nur noch "Ja" oder "Nein", streichen sie das, es gibt nur noch ein "Es kommt darauf an", ein "Fraglich ist, ob ...", ein "Nach dem Stand der Dinge...", beginnen Sie zu argumentieren! 

Das sagte er. Wir lauschten fasziniert. 

Ich schreibe "Bezirksgericht Floridsdorf, Innere Stadt, Leopoldstadt", lasse den Kugelschreiber sinken, denke nach, heute bekam ich den Startschuss für die Zivilgerichtsverfahrensrechtprüfung. Unsere ZPO (kurz) ist von 1898, Franz Klein konzipierte etwas Geniales: Der Prozess sollte von nun an knapp, kurz und kostengünstig über die Bühne gehen (Utopie!), den Deutschen gefiel das so sehr, dass sie vieles übernahmen, Franz Klein wurde zum Helden des Zivilrechts. Ja, es ist genial konzipiert, muss man schon zugeben, aber 1500 Seiten und Fälle dazu, das ist schon ein wenig übertrieben, bedeutet wieder Tag und Nacht lernen, wie gerade eben, man fängt von vorne an, übt die Fragen mündlich, erzählt sie sich selbst, hat kein Leben mehr. Aber, weil es so schön ist, folgt das Verwaltungsverfahrensrecht und die Strafprozessordnung und das Bürgerliche, das, in sechs Monaten. Fin. Summe: 6.000 Seiten mit Urteilen und Erkenntnissen. Ich beginne mit dem Marathon, atemlos. Der Fisch wurde längst gegessen. 


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Frühere bzw. ältere Kommentare zu diesem Text

Daniel (50)
(24.01.24, 17:41)
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 Mondscheinsonate meinte dazu am 24.01.24 um 18:05:
Nur hohe, Daniel, auch der Schießplatz, aber das ist David gegen Goliath.
Daniel (50) antwortete darauf am 24.01.24 um 20:34:
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 AngelWings schrieb daraufhin am 25.01.24 um 14:03:
Ja, David schießen steht nicht mehr!

 AngelWings äußerte darauf am 25.01.24 um 14:10:
Jetzt Rechte daran, was in Österreich ist. Schütteln Kopf, Frage sich auch. Was ist bloß mit Europa los?

 Dieter_Rotmund (25.01.24, 13:57)
 "Fisch im Rohr":

Zu ungenau. Meinst du diese Iglu-"Schlemmerfilets" in diesen Alu-Schalen? Das ist eine wichtige Frage, weil sich darin unterscheidet, wohin der Text gehen soll...

 Mondscheinsonate ergänzte dazu am 25.01.24 um 16:35:
Man sollt doch keine Werbung machen... 😂
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