Wiener Originale

Text

von  Mondscheinsonate

Zu dem Bedeutesten zählen sicher der Dom zu St.Stephan (liebevoll der "Steffl" genannt), die Karlskirche, der Wiener Prater mit seinem Riesenrad und Lusthaus, die Wiener Oper, die Hofburg, das Kunst- und Naturhistorische (spiegelverkehrte Bauten!), das Schloss Schönbrunn, die Wiener Philharmoniker, die Wiener Sängerknaben und die Manner Schnitten. Aber, wir Wiener liebten unsere internen Sehenswürdigkeiten ebenso wie die genannten, das waren Luzia Lucia Westerguard und ihr Mann, sowie der "General" Wilhelm Zaillenthal, wobei bei letzterem weiß man eigentlich gar nicht wirklich, was er tatsächlich gemacht hatte, er war da und das war Fakt. Man munkelt, er war Totengräber.

Luzia spielte im hohen Alter noch Saxophon vor der Pestsäule Am Graben und ihr Mann verkaufte zuerst Essiggurken im Prater und später Zuckerstangen im Stadtpark. Beide waren immer da, jahrein, jahraus, aber früher waren sie mit dem Zirkus unterwegs. 

Der Mann trat sogar 1927 im Madison Square Garden als Boxer auf, beide waren aber Artisten. 

Irgendwann war er nicht mehr da und sie spielte weiter Saxophon, um sich das Leben leisten zu können und nach 2006 war sie nicht mehr da, die Wiener waren wirklich traurig. 

Dann hatten wir den "General", der stets Lodenkleidung trug und eine Lederhose, sowie im Winter dicke graue Wollsocken. Seine Jacke war vollbehängt mit Orden und auf dem Kopf trug er einen Hut mit Gamsbart. Der "General" hielt stets einen Wanderstock in der Hand, mit dem er jungen Frauen und Mädchen unter den Rock fuhr. Er lief ihnen direkt nach. Die Polizei machte nie etwas, weil er sichtlich verrückt war (da sieht man, welche Zeiten früher waren!). Ein unangenehmer Zeitgenosse, schimpfte immer, beschimpfte, man ging ihm aus dem Weg. Eigentlich war er ein Sandler (ein Obdachloser). Und als er nicht mehr da war, hatten wir ihn auch ganz schnell verdrängt. Jedoch, er gehörte zum Graben und Stephansplatz, das schon. 

Die Hawelkas, er, der Leopold und sie, die Josefa, führten das traditionsreiche Schriftsteller- und Künstlerkaffeehaus Hawelka, man kennt den "Nackerten vom Hawelka" von Georg Danzer. Dort gingen die Größen der Szene ein und aus, später mehr die Touristen und jungen Leute. Ergatterte man einen heißbegehrten Platz im Hawelka, kam der, bereits schwer betagte Leopold auf einen zu und stellte böhmische Buchteln, zubereitet von der Josefa, auf den Tisch. (Wehe, man aß sie nicht!) Wenig freundlich fragte er nach dem Wunsch, kellnerierte noch fast bis zu seinem Tod. Das Hawelka gibt es noch immer, aber der (bissige)Wiener Charme ist weg. 

Auf der Rotenturmstraße saß stets ein blinder Rumäne mit Blindenschleife und Mantel aus den 1950 Jahren in grau - meliert sowie Russenmütze im Rollstuhl und spielte auf einer kleinen Bontempi Orgel immer dasselbe. Dies von 10 - 20 Uhr, den ganzen Tag dasselbe Lied. Darauf war Verlass. Abends stand er vom Rollstuhl auf, klappte ihn zusammen und ging. Wer er war und wo er wohnte, das wusste niemand. Aber er war immer da und das war kurios, im Sommer nie. 
Eines Tages kam er nie wieder.
Und auch Waluliso, der Ludwig Weinberger, der von der Liebe und der sauberen Umwelt predigte, dort am Stephansplatz in seiner Toga und dem Lorbeerkranz am Kopf. Stets hatte er ein Apferl in der Hand und in der anderen einen Stab. Er war der erste Grüne überhaupt, das kann man so sagen. Waluliso bedeutet Wasser, Luft, Licht und Sonne, er war nett, wenngleich wohl in seiner eigenen Welt. Als Waluliso 1996 starb, war das ein schwarzer Tag, denn wir liebten ihn wirklich und das kann man heute noch sehen, denn die kleine Brücke auf der Donauinsel wurde nach ihm benannt. Er liebte nämlich das FKK baden und war oft dort im FKK - Bereich. 
Ja, irgendwann starben sie alle und es zogen die großen Ketten in die Stadt, sollten mit ihren großen Stores Glanz und Geld bringen, aber sie brachten nur Unpersönliches und Einheitsbrei. Vor diesen Geschäften steht kein Selbstdarsteller mehr, den man lieben oder hassen könnte, nur mehr Securities in schwarzen Anzügen, die grimmig dreinsehen. Die Seele verschwand.




Anmerkung von Mondscheinsonate:

https://de.wikipedia.org/wiki/Waluliso

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Kommentare zu diesem Text


 franky (03.03.24, 10:56)
Hi liebe Cori 

"Ja, irgendwann starben sie alle und es zogen die großen Einkaufsketten in die Stadt, sollten mit ihren großen Stores Glanz und Geld bringen, aber sie brachten
nur Einheitsbrei." 
Da hast Du vollkommen Recht mit Deiner Aussage. 

Sonntagsgrüße fliegen zu Dir nach Wien 

von Franky 

 uwesch (03.03.24, 14:12)
Ha, du beschäftigst dich auch mit einer Großstadt, so wie ich mit meinen letzten Texten zur Zeit mit Hamburg, wo ich lange gelebt habe.
Wien habe ich vor sehr langer Zeit auch mal kurz besucht, aber Dein Text streut ganz neue Eindrücke, denn ich war damals noch ziemlich jung.
LG Uwe

 Graeculus (04.03.24, 17:43)
Nichts mehr in dieser Art? Tummeln die sich jetzt alle im Internet?

Auf der Königsallee (Kö) in Düsseldorf gab es früher die Jungen, die sich ein Taschengeld erbettelten bzw. erarbeiteten, d.h. ein Rad schlugen und dann die Passanten ansprachen: "Eene Penning für de Radschläjer!"

https://de.wikipedia.org/wiki/D%C3%BCsseldorfer_Radschl%C3%A4ger

Einst ein Wahrzeichen der Stadt, gibt es heute nicht mehr, so wenig wie den Pfennig.

Kommentar geändert am 04.03.2024 um 17:44 Uhr

 Mondscheinsonate meinte dazu am 05.03.24 um 17:55:
Gar nichts mehr.
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