Giorgia on my mind - Teil 1-2

Drama zum Thema Aufbruch

von  LotharAtzert

Giorgia on my mind – Teil 1

Giorgia lebte in Galati, einer im Osten gelegenen rumänischen Großstadt kurz vor der Grenze zur Republik Moldau. Die Stadt, die am Ende des 2. Weltkrieges von den Russen vollkommen zerstört wurde, wurde in nur wenigen Jahren neu aufgebaut, in altbekannter Plattenbaumanier. Kurzum: häßlich, um nicht zu sagen wenig attraktiv. Letzteres kann über Giorgia nicht gesagt werden, deren Schönheit jedoch ihr einziges Kapital zu sein schien. Sie wollte raus aus der Perspektivlosigkeit des Postkommunismus – es waren die letzten Jahre des Ceaușescu-Regimes, als sie an einem trüben Novembertag zur Welt kam.

 

Wie ich sie „kennen“ lernte, ist kurios. Ich muß das kurz erläutern. Damals war gerade meine zweite Ehe gescheitert und die Wohnung, in welcher ich mit Carmen wohnte, war nach ihrem Auszug für mich alleine unbezahlbar geworden. Hinzu kamen Schulden durch den geliebt-gehassten Teeladen, den ich über ein Jahrzehnt führte, ca. 60.000 DM. Überstürzt nahm ich einen Job an beim größten schwäbischen Motorsägenhersteller Deutschlands, um wenigstens zu überleben. Mein zugegebenermaßen bescheidener Überlebensplan – vom Teekult zur Kettensäge – sah vor, eine möglichst preiswerte Bleibe zu finden, welche sich dann im Mieten eines Wohnwagens auf einem Campingplatz nahe Usingen realisierte, um die Schulden so schnell wie möglich zurückzahlen.

Dummerweise lag zwischen der Kleinstadt im Taunus und meinem Arbeitsplatz in Dieburg eine Entfernung von über 30 km. Hin und zurück 60 km und fünf mal in der Woche kostete das wieder vieles von dem, was ich an Geld einzusparen hoffte. Es kamen ja noch die Kosten von Autoreparaturen hinzu und so suchte ich weiter nach besserem Job und Wohnung. Weil es aber gerade Winter war, bibberte ich vorerst  im Wohnwagen und hatte Schiß, daß mir irgendwann nächtens die Prophangasheizung  um die Ohren fliegen könnte. Doch sie hielt und es war etwas anderes weit fataler: eines Nachts platzte die Wärmflasche. Was für den ersten Moment wohligwarm war, wurde dann schnell wirklich schlimm: die Matratze war ab da nicht mehr benutzbar, würde  schimmeln und so begann ich, auch noch Asket zu werden, schlief ab da nur noch auf dem harten Holzbelag.

 

Es war an einem Samstag, ich kaufte wegen der Anzeigen im nahegelegenen Supermarkt entsprechende Zeitschriften, fand in einer davon zwei Annoncen, die mein Leben verändern sollten: ein nur drei km entfernt lebender Glaskunstmeister (-Bleiverglasung) suchte einen Mitarbeiter und Giorgia aus Galati einen Mann. Galati – da musste ich erst einmal schauen, wo das liegt, aber beim Künstler Bertrand Gastebois, einem gebürtigen Franzosen aus Straßburg, rief ich an, wir vereinbarten einen Termin noch am selben Tag und nach fünf Minuten hatte ich den Job. Zur Feier des Tages, zum Einstand sozusagen, spendierte Bertrand einen Whisky und wir waren noch vor dem ersten Schluck beim Du.

 

Giorgia on my mind – Teil 2

Das Gehalt war formidabel und wo wir schon per Du waren, offenbarte ich ihm meine Wohnsituation. Bertrand versprach, sich umzuhören und tatsächlich, das Schicksal meinte es noch einmal gut, eine hübsche, „teilmöblierte“ Dachwohnung, (was sich zum Glück auf die eingebaute Küche beschränkte), kaum weiter, als 2 km vom neuen Arbeitsplatz fanden unsere gemeinsamen Bemühungen, – und wieder bei sympathischen Vermietern mit illusterem Familienanschluß. Hier gabs  statt Whisky diesmal Marihuana, wobei ich dem Manne versprechen musste, nichts seiner Frau zu erzählen - was eine lösbare, doch unnötige Aufgabe war - sie kannte ihren Pappenheimer, wie sie später einmal nebenbei äußerte, um mich, vergeblich freilich, zu warnen. Der zwölfjährige Sohn erkannte den Freak in mir und stattete mich mit der Zeit mit allen Hits von ZZ Top aus. Dann noch der rostrotbraune Kater, er kam übers Dachfenster und schnurrte, als übte er für die Weltmeisterschaft. Leider wurde er von Katzenfängern gefangen, wir hörten ihn des Nachts schreien, aber bis jemand reagieren konnte, war alles schon zu spät. Furchtbar!

 

Weniger schön war auch der Umstand, daß es sich bei der Arbeit nicht um „echte“ dh. altmeisterliche Bleiverglasung handelte, sondern um eine modernere Variante, wozu Bertrand erklärte: „Die Zeit des giftigen Bleis ist vorbei. Die Kirchenfenster, wie du sie vielleicht vom Straßburger Münster vor Augen hast, -vergiss‘ es, die werden nur noch von wenigen hochdekorierten Professoren bedient. Für uns „Normalsterbliche“ hat die Industrie die Preise ruiniert und bleifreie biegbare Imitationen auf Rollen in verschiedenen Breiten und mit Klebestreifen auf der Rückseite hergestellt, Wir müssen uns anpassen oder aufgeben“. 

Das war nicht schön, aber halt das Übliche, doch längst war ein anderes Bild in meinem Kopf: Giorgia.

Ich schrieb ihr, entschuldigte mich für das schlechte Englisch, schickte den Brief ab und versuchte, alle Erwartungen gering zu halten. Das gelang so leidlich, schließlich hatten wir viel Arbeit und mussten uns ranhalten. Ein deutscher Millionär am Vierwaldstädter See wollte seine Protzbude aufgewertet haben, wozu unsererseits eine Anwesenheit für eine komplette Woche in bzw. nahe Luzern erforderlich war. Dazu brauchte Bertrand noch eine dritte Kraft, deren Name ich vergessen habe. Ein gemütlicher Bär, dessen manische Interessensbekundung der irischen Kelly Family galt, da stießen meine neuen Kenntnisse bezüglich ZZ Top auf recht taube Ohren und so arbeiteten wir zu zweit eher neben-, doch kaum miteinander, während Bertrand, mit dem ich in der Folge noch manchen Whisky trinken sollte, zu vermitteln suchte. Ich mag dieses Getränk überhaupt nicht, aber weil er so ein lieber Mensch war … - eine Ablehnung wäre wie Verrat an der Loyalität gewesen.

Noch während wir in Luzern weilten, direkt am malerischen, absolut sauberen See, weil kein Motorboot drauf schippern darf, wurde der deutsche Millionär in seiner Villa von der Kantonspolizei verhaftet. Er hatte ein Schneeballsystem gegründet, tausende von Anlegern geprellt und wurde international gesucht, während, was ich natürlich noch nicht wusste, in meinem Briefkasten die heißersehnte Antwort von Giorgia wartete.

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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (06.03.24, 17:02)
es waren die letzten Jahre des Ceaușescu-Regimes, als sie an einem trüben Novembertag zur Welt kam.

Die muß dann ja merklich jünger gewesen sein als Du.

Weiß Du, ich frage mich in solchen Konstellationen immer: Was kann die wollen von solch einem alten Knacker wie mir?

 LotharAtzert meinte dazu am 14.03.24 um 14:49:
Daß der Altersunterschied nur bei 20 Jahren lag, haben wir ja inzwischen geklärt. Auf was anderes wollte ich noch hinweisen, auch wenn du es so vielleicht nicht nachvollziehen magst: Entscheidender ist, ob es eine alte „Inkarnation“ ist, oder eher noch eine junge. Wenn da zuviel auseinanderklafft, gibt es keine Möglichkeit zur Annäherung, es sei denn die zwischen Lehrer/in und Schülerin/in.
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