Giorgia on my mind - 3-4

Drama zum Thema Abhängigkeit

von  LotharAtzert

Giorgia on my mind – Teil 3

Freitagsmittags punkt 1:00 h ging es endlich zurück, die Stimmung war gedrückt, Blumengirlanden und sexy Elfen hingen alle an ihrem Platz und Kellybär sprach es als erster aus: „Glauben Sie, daß dieser Kriminelle unsere Arbeit bezahlt, noch dazu aus der Zelle? Ich weiß ja nicht … müssen wir uns Gedanken um unseren Job machen?“

Der Schütze Bertrand war sich sicher,: „Macht euch bitte keine Sorgen, das Mißverständnis wird sich aufklären und selbst wenn er im Gefängnis bliebe und alle Stricke rissen, gibt es noch Aufträge“, was sich später als Notlüge zeigen sollte. Der Auftrag, eine Nobeldisco in Bad Homurg zu verglasen, war lediglich eine Akquise, die sich als Flop erweisen sollte, da half aller Whisky nichts. Was nun, wenn Giorgia antwortete und ich wieder ohne Job da stünde, was wird dann aus der Wohnung? Und ich roch schon die unausbleibliche Fortsetzung seitens Kellybäres: „Nächsten Monat ist die Kelly Family in der Kongresshalle, das würde die Stimmung doch erheblich drücken, zumal der Preis für die Karten nicht billig war, … was meinst denn du dazu, Lothar? … ich tat, als schliefe ich und Bertrand entgegnete: „Macht euch um die Lohnfortzahlung keine Gedanken, es wird sich alles klären, das verspreche ich euch hier und jetzt“.

 

Das monotone Fahrgeräusch und die sich allmählich bildenden Staus auf der Autobahn verhinderten irgendwann jegliches klärende Gespräch und selbst Kellybär, eigentlich ein Stier, wurde irgendwann müde, fortzufahren, während mich doch der Gedanke wach hielt, daß eine Antwort aus Galati im Briefkasten liegen könne. Ich brauchte diesen Strohhalm, um all die Unbilden zu ertragen. Nachdem auch die zweite Ehe gescheitert war, kam ich auf den glorreichen Gedanken „nie wieder eine deutsche Frau“: Wenn man dieselbe Sprache spricht und trotzdem nur aneinander vorbei lebt, ist alles besser, als das. Unkompatibel für die Gesellschaft sei ich „und er ist auch noch stolz drauf“ soll Carmen über mich gesagt haben. Das tut schon etwas weh, aber aufgeben? – ich würde an jeden Ort der Welt fahren, auch zu Fuß laufen, um Saraswati, Göttin der Musik und Poesie zu begegnen.

 

Gegen einundzwanzig Uhr waren wir wieder im Atelier. Ohne viel Worte, eigentlich nur noch ein „ja dann bis Montag“, so stieg Kellybär in seinen Golf und ich in den Kadett.

 

 

Giorgia on my mind – Teil 4

„Reiß dich zusammen“ – was es alles so an deutschen Redewendungen gibt, ist manchmal kurios. Ich riß mich zusammen, dh. schloß äußerlich schon fast gelangweilt das Auto ab, schritt langsam zum Briefkasten und suggerierte mir, gelassen zu bleiben, tief durchzuatmen, die Post herauszunehmen, um dann erst mal „anzukommen“.

Da lag er, der Brief aus Rumänien. Was wenn sie … es wurde Zeit, wieder mehr zu meditieren. Gelassenheit ist wirklich der Reichtum des Geistesmenschen. In der Wohnung dann endlich endlich wieder allein. Ich öffnete mit gespielter Gleichgültigkeit den Brief, machte, wie es bei Döbereiner heißt, das Nichtanwesende zum Zeichen und … hielt 2 Fotos in den Händen. Giorgia, ich dachte nur noch Giorgia. Und als sich das Zusammenerissene wieder fassen konnte, bemerkte ich auf der Rückseite eines der Bilder ihren Lippenabdruck und es schoß mir die ähnliche Röte ins Gesicht, weil ich wie ein Teenager die meinen auf ihre Lippen presste, wobei die innere Stimme sofort mahnte: mach das nicht zu lange, sonst löst sich der Abdruck gleich wieder auf.

Sie sei froh, daß mein Englisch so schlecht wäre, denn ihres wäre keinen Deut besser und „There is a consensus there“ und so könne man sich durch Umschreibungen einander nähern usw. usw, was in der Folge wirklich lustig wurde, wo jeder sich offenbaren wollte, aber die für Muttersprachler selbstverständlichen Begriffe oft fehlten.

Das Interessante: das eine Foto, das „aufgebrezelte“ war vom professionellen Fotografen perfekt ausgeleuchtet, das andere wohl ein flüchtiger „Schnappschuß“ aus dem Alltag, ungeschminkt offenbar, was im Grunde wichtiger war, wollte man gewisse Erwartungshaltungen nicht ins Illusorische treiben. Und so ergänzten sich beide und ich alter Kindskopp vergaß alles andere um mich herum, versuchte aus den Gesichtszügen so viel wie nur möglich herauszulesen.

Weitere tiefgreifend subjektive Empfindung möchte ich an dieser Stelle dem Leser ersparen, um nicht ins Sentimentale abzugleiten, dem ich leider viel zu oft fröne, ungeachtet desse aber doch bemerken, daß sie von außergewöhnlichem Liebreiz war. Die Frage stellte sich natürlich: wieviele Fotos mochte sie nocht an wieviele anderen Männer verschickt haben. Es versteht sich von selbst, daß ich diese Frage auch in der Folge der Briefe, die nun begann, für mich behielt.

So ließ sich erst einmal die unsichere Arbeissituation verdrängen, die noch früh genug heraufdämmerte. Genaugenommen bereits am nächsten Montag.

 

Der Chef war schon früh unterwegs, Kellybär nutzte die Gelegenheit, Bertrands Frau, ihres Zeichens Jungfrau auszuhorchen, was es mit dem verhafteten Auftraggeber auf sich hätte. Gaby, die ihr eigenes Business betrieb, ein medizinisches Schreibbüro, erklärte uns: „Ich habe meinen Mann von Anfang an gewarnt, der Typ ist nicht ganz koscher. Hat er euch die Bilder gezeigt, wie er mit dem Heli einfliegt und seine jubelnde Gemeide ihn feiert wie einen Popstar? Und Bertrand ist so naiv, hat auch noch bei ihm Geld investiert, das sieht er nie wieder. Ich weiß, das wird euch nicht gefallen, aber momentan finanziere ich euer Gehalt.“

Kellybärs Gesicht verfinsterte sich zusehends und auch mein Rest an Illusion vom Leben als Glaskunstgestalter minimierte sich schlagartig. Wie um alles in der Welt sollte ich einen liebevoll-hoffnungsfrohen Brief schreiben, wo gleichzeitig die gesamte wirtschaftliche Existenz neuerlich auf dem Spiel stand?

Zurück in den Wohnwagen? Kellybär meinte, er würde auf jeden Fall morgen früh aufs Arbeitsamt gehen, denn das würde alles keinen guten Ausgang mehr nehmen und Gaby riet ihm sogar noch dazu.

Bertrand, hatte ich erwähnt, er trug eine John Lennon Brille und erinnerte mich auch irgendwie an ihn. Nur daß der eine als Millionär erschossen wurde und er als mittelloser Künstler uns Gutgläubige in die Bredouille brachte. Ach, Giorgia on my mind, das brachte mich gerade drauf. Schon der Name war eine Mischung aus Südstaatenblues und … ach, verdammte Sentimentalität, ich hasse das, was sollte jetzt nur werden …

 

Erst einmal ging alles so weiter, wie bisher: Bertrand riß sich das berühmte Gesäß auf, um irgendwie an Aufträge zu gelangen, aber die Kunden wollten Altmeisterliches zum Fließbandpreisen, K. Bär ging erst zum Arbeitsamt, dann aufs Konzert, brachte die neusten Lieder mit, Gaby finanzierte unser Gehalt weiter und ich … hatte Giorgia nach einem halben Dutzen wundervoll um Worte ringender Briefe trotz ausdrücklicher Warnung seitens KBs Geld geschickt („das sind alles Betrüger in Rumänien, pass bloß auf“) fürs Ticket on the road to Frankfurt.

 




Anmerkung von LotharAtzert:

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