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Paul 

Nunanka

Kurzprosa zum Thema Abgrund

von  souldeep

Illustration zum Text
Mehrhändig...
(von souldeep)
Nunanka war der Name ihres persönlichen Indianers.
Er war schlichtweg ein Held – nein! Der Held.
Als Angelina fünf war, und die wiederholten unangenehmen
inneren Zustände, ausgelöst durch ihren Vater, überhand nahmen,
begann sie sich mit Nunanka zu trösten.
Er sass neben ihr, wenn sie heimlich weinte, schnabulierte
ihre Cornflakes, wenn sie sie nicht mehr runter kriegte,
erzählte ihr vom Wind, wenn sie Trost brauchte und roch
nach Büffel und Sonne, wenn Angelina wieder so sehr traurig war,
dass sie nichts mehr fühlen konnte.
Er brachte sie zum Lachen, wenn sie enttäuscht von ihrer
irgendwie ständig abwesenden Mutter sich in den Hinterhof
zurückgezogen hatte, sang erdige Lieder, wenn sie eine jener
schweiss- und tränengetränkten Nächte hinter sich gebracht hatte.
Er war einfach immer da. Immer für sie da.

Als Maurice nach einigen traumhaften Wochen des zärtlichen
Miteinanders plötzlich verschwand, ohne ein Wort, ohne eine Geste –
nicht einmal Streit hatten sie gehabt - wich jegliche Lebenslust aus Angelina.
Sie trieb sich wieder nachts durch Gassen, hängte in Bars und
an zwielichtigen Ecken herum.
Sie magerte stark ab und trank mehr Alkohol denn je.
Maurice fehlte ihr.
Es war, als hätte man ihr die Sonne vom Himmel genommen.
All das Frohe, die leicht geröteten Wangen, das Leuchten
ihrer Augen, das verliebte Lächeln – es war weg. Keiner konnte
ihr sagen, wohin ihr Geliebter gegangen war.
Der Geliebte, welcher noch gar nicht richtig mit ihr geschlafen hatte,
weil er so rücksichtsvoll mit ihr umgegangen war…

Nach einem Monat des Umherirrens brach Angelina zusammen
und wurde von der Polizei aufgegabelt.
Diese lieferte sie in der jugendpsychiatrischen Abteilung ab,
wo sie viele Wochen lang beobachtet, mit Medikamenten
versorgt und angeblich therapiert wurde. Sie lernte wieder etwas
zu essen, nicht zu trinken, mit Menschen zu sprechen,
sich mit anderen über sich selbst zu äussern und mit einem
strengen Rhythmus zu leben.
Bei ihrer Entlassung hatte das Mädchen bereits etwas mehr
Gewicht auf den Knochen – im Gesicht jedoch blieb dieser leere
Ausdruck, wie die Fassade eines Gebäudes, das nicht wirklich
bewohnt ist.

Im Jugendheim, wo sie Arbeitserziehung und Schulbildung
nachholen sollte, kam sie nur zäh voran.
Eine der Betreuerinnen war eine warme und herzliche
Frau, die sich Angelina besonders annahm. Sie half ihr nicht nur
bei den mühseligen Hausaufgaben, sondern ebenso in den persönlichen Dingen,
wie Kleiderwahl, Frisur, Schminke und Ähnliches.
Die Körperhygiene und der Umgang mit Weiblichkeit und
Gesundheit waren in diesem Heim ein grosses Thema.
Für Strassenkinder bedeutete dies, dass sie sich meist zum ersten Mal
damit auseinandersetzen sollten.

Langsam gewann Angelina wieder Lebensmut, diesmal
war es Lavinia, die Betreuerin, die ihr Vertrauen zögernd
und doch stetig gewann.

Und Nunanka war wieder da.

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Paul 
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Kommentare zu diesem Text

Balu (57)
(22.06.07)
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 souldeep meinte dazu am 23.06.07:
:)
dankeschön, lieber balu, für dein mitfiebern!
es geht mir ähnlich...

deine gedanken ins innere finde ich immer
sehr bewegend.
freudengrüsse dir
kirsten

 rela (23.06.07)
Angelinas Hunger nach Liebe, Zuwendung und Trost ist
offensichtlich sehr gross. Immer wieder nimmt sie gerne
Nähe an, wenn ein Mensch freundlich und wohlgesonnen zu ihr ist. Doch fatalerweise verschwinden diese Menschen immer auf misteriöse Weise aus ihrem Leben.
Auch Lavinia wird nicht immer da sein. Wird Lavinia es schaffen einen starken Menschen aus Angelina zu machen,
der fähig ist, sich selbst zu lieben und zu achten?
Es geht sicher spannend weiter! Liebe Grüße, Rela

 souldeep antwortete darauf am 23.06.07:
Wenn ich Deinen Kommentar lese, liebe Rela, dann ist es, als ob
Du Angelina schon länger kennen würdest.
;)
Danke Dir einmal mehr fürs in die Tiefe lesen - ich freue mich sehr!
Herzlichst
Kirsten
:)
steinkreistänzerin (46)
(24.06.07)
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 souldeep schrieb daraufhin am 24.06.07:
ja, liebe annette, du hast den mir wichtigen herausgestrichen, den
abschnitt, der mir besonders am herzen liegt.
danke für dein beisein in diesen schwierig-schönen zeiten von
angelina...- es bedeutet mir viel!

von herzen liebe grüsse dir,
kirsten
:)
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