Onkel Oswald

Geschichte zum Thema Gut und Böse

von  Lala

Onkel Oswald.

Einen Lehrer schätzte er aber besonders: Onkel Oswald. Mutters jüngerer Bruder. Ein Mann wie ein Klotz. Aus einem Guss und mit breitem Schädel. Damals war er noch muskulös. Breite Hände, aber nicht plump. Er kam einmal im Monat vorbei, schlug sich die Wampe voll, lobte Mutter über den grünen Klee für das Essen und dass sie doch endlich ein einfaches Restaurant, mit einfachen Speisen und keinem Schickimicki aufmachen sollten. Der Einemillionenundeinste – wie Oswald Papa immer nannte – solle nicht so ein romanischer Chauvi sein und in etwas investieren, was mehr Zukunft hätte, als fremde Dächer zu bauen.

Wenn Oswald satt war, dann spielte er mit Tino Spielchen. Oswald kam schnell dahinter, dass Tino eine Gabe hatte. Eine Gabe, die Oswald hoch spannend fand. Tino war schnell. Verdammt schnell. Als Oswald sich wieder vollgehauen hatte und bräsig in der Mittagssonne auf dem Küchenstuhl saß, winkte er Tino heran. Pass auf, sagte er und holte ein Fünfmarkstück aus der Tasche. Der Heiermann gehört dir, wenn Du ihn mir aus der Hand nehmen kannst. Aber Du darfst erst zugreifen wenn ich los gesagt habe. Anita wollte einschreiten. Fünf Mark. Das sei viel zu viel Geld für den Kleinen. Papperlapapp meinte Oswald nur. Also spielten sie. Tino wollte zunächst aber wissen was passiert, wenn er es nicht schaffen würde. Die eine oder andere Lektion hatte er ja schon gemacht. Oswald schnalzte anerkennend mit der Zunge. Kluger Junge lobte er anerkennend. Kluger Junge. Regel Nummer eins: Das erste Mal ist immer umsonst. Und dann hielt Oswald seine linke Hand auf. Sie war leer. Doch ehe Tino sich versah, griff Oswald an Tinos rechtes Ohr und zauberte den Fünfer hervor. Oswald grinste ihn an. Sein Onkel hatte schiefe Zähne, kurzes flachsblondes Haar und leuchtend blaue Augen. Der Silberling glänzte in der Sonne. Sein Onkel platzierte den Taler aufreizend langsam auf seiner großen Pranke. Dann schaute er seinen Neffen an. Lächelte und sagte nichts mehr. Tino wusste instinktiv, worauf es ankam. Nur auf das Zeichen warten. Nicht irritieren lassen.
Oswald wartete lange. Aufreizend lange. Dann endlich sagt er los. Oswald hatte nur einen ganz leichten Wischer über seiner Hand bemerkt und sah dann gerade noch, wie Tino mit dem Geldstück aus der Küche rannte und immerzu rief: Gewonnen, gewonnen. Dein Junge ist ein Ass, Anita. Kann was Großes aus ihm werden. Red ihm keine Dummheiten ein, war stattdessen Anitas Antwort. Anita liebte ihren Bruder, aber wusste, dass er ein Hallodri war. Als der Onkel wegging, an dem Tag als Tino das Geld gewonnen hatte, nahm er seinen Neffen noch mal beiseite und flüsterte ihm zu, dass er noch viele andere Regeln kennen würde. Viel tollere Regeln und ob Tino die lernen wolle? Natürlich wollte Tino, beseelt von dem Glauben, dass jede Regel einen Fünfer bringen würde. Gut, sagte Oswald, aber nur unter einer Bedingung. Welche?, wollte Tino wissen. Zu keinem ein Wort über die Regeln. Nicht zu Papa und schon gar nicht zu Deiner Mutter. Gibst Du mir Dein Wort drauf? Ja, antwortete der kleine Junge. Gut. Dann erzähle ich Dir jetzt Regel Nummer zwei: Brich niemals Dein Wort!

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Kommentare zu diesem Text


 styraxx (21.04.10)
Die Figur des Onkel‘s Oswald, finde ich hervorragend gezeichnet. Lebensnah und mit allen Wassern gewaschen, führt er Tino (man ahnt es schon, oder doch nicht) in die Welt der Taschentricke und Kleinkriminalität ein (oder sehe ich das zu schwarz?) wovon der der Junge natürlich, wie sollte es anders sein, hell begeistert ist. Oswald erkennt sofort, dass der Junge nicht auf den Kopf gefallen und ein aufgewecktes Bürschchen ist.

Es fällt auf, dass die Sprache mit wenig Beschreibung der jeweils näheren Umgebung auskommt; die soll, wie ich glaube, sich aus dem Zusammenhang erschließen, was sie auch tut. Warum Oswald Tino’s Vater nicht als einen romanischen Chauvi sehen will und vor allem dieser nicht in Grösseres investieren soll, ist mir nicht klar. Aber vielleicht hat es seinen Grund von dem wir erst später erfahren, oder Oswald mag diese gelackten Typen ganz einfach nicht. LG

 Lala meinte dazu am 21.04.10:
Hallo styraxx,

ob alles seinen Grund haben wird? Ich habe da meine Zweifel ;)
Aber ich bin sehr beruhigt, dass Dir diese Figur nicht unwirklich erschien. Und Du ahnst richtig. Danke fürs Lesen und Kommentieren und bitte kritisiere oder vereiße, wenn Dir der Lesefaden abreißen sollte.

Gruß

Lala

Edit: einen ganz wichtigen Punkt vergessen: Ja, die Beschreibungen fehlen absichtlich, weil ich hoffte, dass sich die Vorstellungen der Leser - wie immer sie sein würden - in die Geschichte einfügen werden. Schön, wenn das bei Dir auch bis hierhin funktioniert hat.
(Antwort korrigiert am 21.04.2010)
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