Chancen

Geschichte zum Thema Gut und Böse

von  Lala

Chancen


Tino war froh, wenn er nicht bei Oswald sein musste, dann konnte er trainieren oder ohne Ziel rumfahren. So wurde Autofahren zur einer weiteren Leidenschaft von ihm. Die Fahrten ohne Onkel waren wie kleine Fluchten. Oswald, der sich lang nicht mehr verrenkte seinen Kokain Konsum – ich bin nicht süchtig, Tino, ich konsumiere nur und gewinne Esprit – vor seinem Neffen zu verbergen, telefonierte Anfang 1995 wie ein Bekloppter im Fond. Er erkundigte sich nach der Form von Marco und ob etwas dran sei, dass er den WM-Kampf gegen den Engländer bekommen würde und wie die Quoten und wie die tatsächlichen Chancen wären. Schon die Verheißung dieses Kampfes elektrisierte Oswald. Sein Hauptgewährsmann für diese Infos war Ralf genannt Ralle. Immerhin hatte der es zum Hausverwalter des bekannten Produzenten zahlreicher fünfziger Jahre Krimis Alfred Schwarzer gebracht. Aber das war nicht seine Eintrittskarte ins Marcellos gewesen sondern seine Leidenschaft fürs Zocken.

Ralf Dubinski, schlagfertig und ohne rechtes Bein, war einer der Vögel, die im Marcellos saßen und zockten. Nicht selten sprach er von sich selbst als dem Paganini des Tischtennis und dass nur der blöde Motorradunfall schuld daran wäre, dass es nach München 1969 bislang keine weitere Einzelmedaille im Tischtennis für Deutschland gegeben hätte. Aber bei der nächsten von ihm selbst sogenannten Krüppel-WM würde er dafür ganz vorne sein. Ralle war einer der ganz wenigen Personen, die bei beiden Brüdern gleichermaßen beliebt war und Informationen aus erster Hand besaß und Ralle mochte Oswald einfach. So sehr, dass er Oswald auch Geld am Spieltisch lieh

Marco hatte ein Jahr zuvor einen neuen Trainer bekommen. Einen Ossi. Hans aus Gdansk und Marco begann zu trainieren. Ja, ja der Hans, der kanns, hieß es plötzlich erst scherzhaft, dann anerkennend am Zockertisch. Marco hatte auch ein Problem gehabt, denn er war mittlerweile auch seinen nationalen Titel losgeworden und stand plötzlich vor den Scherben seiner Karriere. Er bekam den Tipp von einem Hamburger Promoter sich diesen Hans – dessen Wurzeln in Danzig lagen – aber in einer der Boxhochburgen – Frankfurt Oder – erfolgreiche Arbeit leistete und auch schwierigere Fälle wieder hinzubekommen schien, als Trainer zu engagieren. Ein Erfolg mit Marco Marcello wäre eine perfekte Visitenkarte. Marco und Hans schlossen einen Pakt und Anfang 1995 verdichteten sich die Gerüchte, dass der Engländer Marco bei einer freiwilligen Verteidigung eine Chance geben würde. Allerdings würde der Kampf in der Höhle des Löwen stattfinden: Manchester. Und dass bedeutete Marco würde den Weltmeister umhauen müssen. Nach Punkten würde er nie gewinnen können. Hans hielt das für keinen Nachteil. Der Tommy wird sich zu sicher sein. Er ist selbstgefällig. Du, Marco, wirst die schwarze Serie brechen und der erste Deutsche sein, der wieder einen WM-Gürtel im Ausland gewinnt. Auf die Frage, wer denn der Letzte gewesen sei, antworte Hans aus Gdansk trocken: Max Schmeling.

Als der Kampf offiziell wurde, holte sich Oswald täglich die Wasserstandsmeldungen von seinem Kumpel Ralf. Trainingsarbeit, Gewicht und das wichtigste: kein Alkohol? Die Meldungen euphorisierten Oswald so sehr, dass er sogar vergaß, sich die Nase zu pudern. Wenn er aufgelegt hatte, griff er von hinten Tino an seine Schultern und schüttelte ihn durch, dass der Mühe hatte das Auto auf der Straße zu halten.
Das bringt uns wieder ganz nach vorne. Das saniert uns mit einem Schlag. Verstehst Du? Mit einem Schlag! Daran gab es nichts oder alles miss zu verstehen. Javier verstand es nicht. Absolut nicht. Die beiden Männer gingen sich aus dem Weg und brüllten sich nur übers Telefon an. Es ging Oswald darum, dass Javier bis zum Kampf alles zu Geld machen sollte, dessen er habhaft werden konnte und es auf den Deutschitaliener zu setzen.
Javier hielt ihn für übergeschnappt und verruckt. Das Pulver habe Oswalds Gehirn aufgefressen. Wenn man in seine Augen blicke, dann sähe man den Schnee so rieseln wie bei diesen Winterzauber-Glaskugeln. Er würde alles ruinieren. Papperlapapp und Weichei, kommentierte Oswald Javiers Bedenken. Und irgendwann brach Javier ein und folgte den Anweisungen seines Chefs. Als er Oswald anrief, sagte er nur, er mache es, aber es sei das Letzte was er tun würde. Oswald war froh, dass er Javier überzeugt hatte, denn er hatte den Überblick über seine Konten schon längst verloren gehabt. Vor dieser Wühl- und Papierarbeit hatte er einen Horror gehabt. Es musste reichen, wenn er – das Genie – die Pläne ausheckt und sein General – Javier – sie umsetzte. Dieser Plan war sein bester seit Langem: Alles auf Rot, alles auf Marcos Rechte. Als Constantin mitbekommen hatte, dass Javier Oswald folgen würde, beschloss er sich bei nächster Gelegenheit abzusetzen.

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Kommentare zu diesem Text


 Sylvia (20.04.10)
..die nächste Wendung der Geschichte...eine gut erkannte Chance..

 styraxx (31.05.10)
Also wenn der alte Oswald sogar vergisst, seine Nase zu pudern, soll das was heißen. Oder mit anderen Worten, da bannt sich was an. LG
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