Auf die Straße gesetzt

Erzählung zum Thema Arbeit und Beruf

von  KayGanahl

Auch in diesem Arbeitsvertrag stand, wie wir in Erfahrung gebracht haben, dass der neu eingestellte Arbeitnehmer nicht gegen den unmittelbaren Vorgesetzten revoltieren darf. Das ist ja interessant!
Keine Faustschläge in den Magen aus Wut, keinen Kinnhaken mal so nebenbei, kein sonstwas! Und wenn es dennoch dazu käme, so wäre dies ein hundertprozentiger Grund zur Kündigung von Seiten des Arbeitgebers. So hieß es ganz ausdrücklich im Arbeitsvertrag, den bekanntermaßen alle Arbeitnehmer bei Unterzeichnung vorgelegt bekamen.

Die, die in diesem Unternehmen tätig sind, haben diesen Arbeitsvertrag unterzeichnet. Er ist als Standard-Arbeitsvertrag jedem neu Einzustellenden zwecks Unterzeichnung unterbreitet worden. Ausnahmen von diesem Vertragswerk und von der Verpflichtung zur Einhaltung aller in ihm enthaltenen Vereinbarungen darf es nicht geben. So heißt es!
Unzweifelhaft ist es so, dass besonders mittels dieses Arbeitsvertrages alles im Ansatz vorhandene Gewaltpotenzial, sogar die geringste individuelle Bereitschaft, gegen einen unliebsamen Vorgesetzten vorzugehen, vorgehen zu wollen, im Keim erstickt wird. Sei dieser Vorgesetzte auch noch so unbeliebt, vielleicht verhasst - man wird nicht das Infragestellen seiner Autorität oder, selbst dies, kleinste soziale Abweichungen von subalternen Arbeitskräften (von oben her) zulassen.
Eine einzige spezielle Klausel in diesem Vertragswerk sichert den Vorgesetzten ihre Macht in der Hierarchie. Wir meinen aber, dass sie den Betriebsfrieden, um den es doch eigentlich gehen soll, durchaus eher stört als sichert.
Jeder neue Arbeitnehmer vermeidet es, Kritik an erkannten Mängeln im Betrieb den Vorgesetzten vorzutragen, - es darf auch kein bisschen kritisch gesprochen werden, obwohl im Betrieb allgemein der Eindruck vermittelt wird, dass Kritik sogar erwünscht sei. Allerlei Sprüche bezüglich der Freiheit der Meinungsäußerung werden gedroschen, so etwa: Sie dürfen bei uns selbstverständlich - im Gegensatz zu anderen - etwas Kritisches von sich geben. Kritik ist erwünscht, Kritik hat bei uns Kultur!

Nun, dieses heuchlerische Freiheitsverständnis wurde jedem mitgegeben, nachdem der Arbeitsvertrag unterzeichnet worden war. Tatsache ist aber, wenn in der Berufspraxis (eher versehentlich) kritisiert wird, wird von oben sofort negativ darauf reagiert. Ablehnend! Verächtlich? Der Hinweis auf die negativen Folgen für den Arbeitnehmer als eines Kritikübenden wird schnell gegeben. Jedwedes Kritisieren wird in Wahrheit gehasst, dürfen wir behaupten, da wir von diesen Zuständen im Betrieb gehört haben. Wir finden das schrecklich. Was bisweilen an Hinweisen auf Toleranz und Achtung vor den Einzelinteressen der Arbeitnehmer innerbetrieblich mitgeteilt wird, propagandistisch wiederholt und immer wieder wiederholt, erweist sich demjenigen, der tatsächlich auf diese Toleranz Anspruch erhebt, als eine Farce. Es gibt einen bestimmten Angestellten, der sich gewehrt hat, indem er diese Farce als Farce publik machte, wonach er gleich, ohne innerbetrieblich befragt worden zu sein, gefeuert wurde. Sein Name: Egger.

"Die Kritik an dem Scheiß, der hier überall zu sehen ist, ... ja die Kritik an der ganzen Heuchelei, besonders auch an dieser täglichen Katzbuckelei ... und die primitiven Schweinereien von kleinen Leuten, die sich wichtig machen wollen, waren und sind widerlich. Dagegen gehe ich an!" sagte Egger einem seiner empörten Vorgesetzten, der dies nach oben weitergab. Man hat ihn mit einem Fußtritt in den Allerwertesten ans Freie gesetzt, ihn dadurch vor seinen Kollegen lächerlich gemacht!
Die kollegiale Solidarität war angesichts des herrschenden sozialen Drucks, aber auch des enormen Leistungsdrucks, nur schwerlich zu erwarten. Die Arbeitslosigkeit ist eine Dauerbedrohung für jeden Kollegen. Trotzdem hat gerade Egger für sich erhofft, für sich und die Kollegen, die ganze Belegschaft, dass man für ihn eintreten würde. Denn er hatte keinen nachweisbaren Fehler während seiner Arbeit gemacht.
Seit der Blamage vor den Kollegen wurde über ihn kein Wort mehr verloren.

Er fiel der Vergessenheit anheim. So war das ganz einfach! Er sei ja doch - wie es in Behauptungen hieß - ein übler Gewerkschafter, gewissermaßen ein Verräter, der dieses Schicksal letztlich wenn nicht verdiente, so doch zumindest hinzunehmen hatte, gewesen. Er wurde auch als Verlierer gebrandmarkt, denn er sei, behauptete man, im Grunde immer schon ein für dieses Unternehmen nicht Geeigneter gewesen!
Der so brutal Geschasste war fortan für das ganze Unternehmen ohne jedes Interesse. Für jedermann.
Und dann stand er einfach auf der Straße, was für ihn bedeutete, dass er sein Schicksal gut in Erinnerung zu halten hatte. Nur kein Vergessen, kein Verzeihen!  Für den objektiven Betrachter war dies verständlich. Gern hätte man ihm geholfen, aber er war nun einmal auf der Straße gelandet, wo all die anderen Geschassten waren - neben denen, die aus verschiedensten Gründen arbeitslos geworden waren. Es gab viele Gründe für dieses Schicksal.

Kay Ganahl
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