Juvenal durch die Internet-Brille gelesen

Glosse zum Thema Sinn/ Sinnlosigkeit

von  loslosch

Et propter vitam vivendi perdere causas (Juvenal, ~60 n. Chr. bis ~135 n. Chr., Saturae). Und wegen des Lebens die Gründe des Lebens verlieren.

Juvenal prangerte im nachchristlichen Rom die verderbten Sitten der Eliten an, manchmal (nicht in diesem Ausspruch) in so drastischen Worten, dass losgelöst vom Kontext eine pornografische Absicht hineingelesen werden könnte. Dabei war er einfach nur angewidert und griff zu einer drastischen, naturalistischen Diktion.

Die hier angeführte Sentenz soll ausdrücken, dass der nachdenkliche antike Satiriker den Sinn des Lebens vor dem exzessiven Lebenswandel seiner Zeitgenossen spiegelt und rhetorisch nach dem Sinn des Lebens fragt. Depressive Naturen lesen etwas anderes heraus. Hier ein Lesemuster: Wegen der gefühlten Überforderung in Partnerschaft, Familie und Beruf empfinde ich ein Taedium vitae, einen Lebensüberdruss. Symptome einer Suizidgefährdung also.

Auf der Suche nach einer modernen Interpretation einer Textstelle aus Juvenals Satiren im Internet gefunden. Juvenal, der Satiriker, pointiert und übertreibt und gerät fälschlich in die eine Ecke, die des Pornografen. Und in die andere, die des am Leben Verzweifelnden. Satiriker haben es schwer.

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Kommentare zu diesem Text


 Bergmann (22.12.11)
Die pornografischen Aspekte werden mir hier überhaupt nicht klar. s. t. t. Ulius

 loslosch meinte dazu am 22.12.11:
stimmt. ich habe juvenals satiren in der übersetzung vorliegen. naturalistisch schmückt er homosexuelle szenen aus und geht auch den kopro-wortgebilden nicht aus dem weg. man muss einen langen atem haben, um zu erkennen, dass er sich nicht an den beschreibungen weidet, sondern daran leidet.

er "könnte" also (fälschlich) als pornografischer schreiber eingestuft werden oder, wie im text oben ausgeführt, als am leben verzweifelnder. beides missdeutungen, denen er ausgesetzt war und ist, uli. ich hoffe, ich konnte es aufdröseln.
t.t. lothar

 Lluviagata (22.12.11)
[... manchmal in so drastischen Worten, dass losgelöst vom Kontext eine pornografische Absicht hineingelesen werden könnte.]

Guten Morgen Lothar,
du schreibst hier manchmal. Das akzeptiere ich eher als deine etwas voreilige pornografische Auslegung dieses grandiosen Zitates.
Womit ich Uli Recht gebe. ;)

Den Sinn des Lebens in schwarz oder weiß, will sagen, Tod oder Liebe aufzuteilen, Überdruss oder Hunger, ist m. E. richtig. Ein Dazwischen gibt es nur im Sinne von Gleichgültigkeit, aber das wäre dann kein Sinn, kein Leben, für mich. Oder?
Lu ♥

 loslosch antwortete darauf am 22.12.11:
dieses zitat juvenals meinte ich nicht, andrea. siehe die klarstellung unter ulis frage. "manchmal" sollte auf andere texte von juvenal verweisen. war wohl nicht verständlich genug.

den sinn des lebens bipolar anzugehen, davon würde ich abraten. lothar

 EkkehartMittelberg (22.12.11)
"Satiriker haben es schwer". Das ist, wie du weißt, Lothar, ein satirischer Satz. Satiriker, wenn sie satirisch schreiben können, haben es nämlich gar nicht schwer. Tucholsky hat ihnen mit der Antwort auf seine satirische Frage : Was darf die Satire? (Antwort: Alles) einen Freibrief gegeben. Schwer hat es der durch Satire Vorgeführte. Er muss mindestens auf dem Niveau des Satirikers schreiben, dass seine Antwort nicht als biedere humorlose Verteidigung, sondern als geistreiche Replik anerkannt wird.
Ekki

 loslosch schrieb daraufhin am 22.12.11:
ich wollte die glosse nicht als satire gelesen sehen. tucho hat mit seiner satire-bemerkung (soldaten sind mörder!) pointiert. ein gesunder darf niemals zu einem menschen im rollstuhl bei der begrüßung satirisch sagen: bitte, bleiben Sie sitzen!

gerhard stoltenberg zb hätte einem satiriker nie paroli bieten können. danke fürs genaue hinsehen, ekki t.t. lothar

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 22.12.11:
Eine Antwort mit Herz, Lothar, Danke!
Ekki
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