Kein Dichter

Gedicht

von  miljan

Ich glaube keinem, der mir sagt, er müsse schreiben,
als wäre das die größte Tätigkeit von allen,
und der mit großen Gesten, die ihm sehr gefallen,
so tut, als ob er stürbe, ließe er es bleiben.

Ich habe nicht viel übrig für die großen Worte,
mit denen Künstler sich so gern in Schweigen hüllen,
als würden sie, natürlich unaufdringlich, brüllen:
Schaut her, ich bin von einer ganz besondren Sorte.

Ich bin kein Dichter, sondern schreibe nur Gedichte
aus traurigen und niemals ehrenwerten Gründen,
wie Briefe, die ich an mir Unbekannte richte,
von denen manche sagen, dass sie sie verstünden.

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Kommentare zu diesem Text


 TassoTuwas (02.10.17)
Das sagen nicht sehr viele.
Aber von denen nur wenige so gekonnt

LG TT

 sandfarben meinte dazu am 02.10.17:
Ich stimme TT zu.

 miljan antwortete darauf am 03.10.17:
Vielen Dank euch beiden.

 EkkehartMittelberg (02.10.17)
Das Gedicht gegen poetische Windmacherei tut gut.

 miljan schrieb daraufhin am 03.10.17:
Das freut mich.

Antwort geändert am 03.10.2017 um 15:56 Uhr

 Morphea (02.10.17)
Es ist wichtig sich im Schreiben nicht allzuwichtig zu nehmen...es ist nur eine Art des Kommunizierens um sowieso zumeist 'nicht' verstanden zu werden;)... dennoch ist es eine wundervolle Art sich anderen mitzuteilen, mit Worten zu spielen.

 miljan äußerte darauf am 03.10.17:
Da stimme ich ganz zu. Danke für deine Rückeldung.

 TrekanBelluvitsh (02.10.17)
Schreiben ist auch immer Arbeit. Wer sich nicht mit einem Seufzen hinsetzt und zur Feder greift/in die Tastatur haut, macht etwas falsch.

Allerdings kann ich mir schwer vorstellen, dass der von dir beschriebene "Dichtertyp" schon mal mehr als eine Seite mit einem Stück (Text) am Stück beschrieben hat. Allein darum kann ich sie nicht ernst nehmen.

Ach ja,
Ich bin kein Dichter, sondern schreibe nur Gedichte
ist eine schöne Selbsteinschätzung und ungewöhnlich in einer Zeit, in der so viele ihre 15 Minuten überstrapazieren.

 miljan ergänzte dazu am 03.10.17:
Ja, Schreiben kann auch ganz schön anstrengend und frustrierend sein, wenn man beispielsweise zwei Stunden an einer Strophe herumbastelt, nur um sie am Ende doch wieder zu verwerfen, weil man nicht mit ihr zufrieden ist. Ich hatte mal einen Dozenten in einem Seminar zu Kreativem Schreiben, der meinte, wir sollten uns mal in den Park setzen und dem Rauschen in uns lauschen. Das sind Mystifikationen des Schreibens, in der Regel von Leuten, die das Schreiben behandeln wie eine Begabung, die man haben oder nicht haben kann, nicht aber als Fähigkeit, die man erlernen kann. So hebt man sich einerseits heraus, andererseits tut man allerdings auch so, als wäre das Schreiben nicht nur das größte, sondern auch das leichteste von allem, ein fast automatischer, ja eben intuitiver Prozess. Was ja stimmen mag, wenn man frei Schnauze schreibt, einfach runter schreibt, ungefiltert, was einem gerade in den Kopf kommt. Sobald man sich damit nicht mehr zufrieden geben möchte, weil man nicht nur schreiben, sondern auch gut schreiben will, hat eine solche romantisierte Vorstellung mit dem, was das Schreiben ist, jedoch nicht mehr viel oder nur noch teilweise zu tun.

 Tatzen (02.10.17)
Das "Schreiben-Müssen" als Neurose ist natürlich in manchen Kreisen chick, ich glaube eher nicht an die Ernsthaftigkeit solcher Behauptungen. Wenn, dann geht es um ein "Sich-Selbst-Darstellen-Müssen" (tolle Wortzusammensetzung).
Ich finde das Bild vom Gedicht als Brief an Unbekannte sehr interessant. Vielleicht kennst du die Heroinen-Briefe Ovids? Die von den Heroen verlassenen Frauen klagen ihre von der Nachwelt so gerühmten Liebhaber an. In einer psychologischen Sichtweise wäre der ja ein entfernter Verwandter deiner Sichtweise.
Sehr gern gelesen. Gruß Daniel

 miljan meinte dazu am 03.10.17:
Die kenne ich tatsächlich nicht, aber ich danke für den Hinweis und deinen Kommentar! Ich freue mich, dass es dir gefällt und vielleicht schaue ich mal nach besagten Briefen, sie klingen interessant.

 Songline (02.10.17)
"von denen manche meinen, dass sie sie verstünden"
Sie verstehen sie sicher - aus ihrer Sicht und für sich.
Und jeder anders. Mir gefällt die Vorstellung, wie viele unterschiedliche Gedanken Worte auslösen können.
Liebe Grüße
Song

 miljan meinte dazu am 03.10.17:
Ich danke dir für deinen Kommentar! Ich wollte mit der Zeile auch gar nicht in Abrede stellen, dass manche tatsächlich verstehen, obgleich ich glaube, dass dem Verstehen immer Grenzen gesetzt sind, man nie vollkommen versteht. "Meinen" ist ja doppeldeutig, im Sinne vielleicht von "Sagen" oder aber als "nehmen fälschlicherweise an". Ich wollte das ein wenig uneindeutig stehen lassen.
wa Bash (47)
(02.10.17)
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 miljan meinte dazu am 03.10.17:
Vielen Dank!

 Didi.Costaire (02.10.17)
Du dichtest gar nicht übel, aber üb mal
dich loszusagen von blasierter Trübsal.

Schöne Grüße, Dirk

 idioma meinte dazu am 02.10.17:
DANKE für diesen schönen "Brief" !
dieses Juwel von Sprachkunst, Klarsicht und Ehrlichkeit !

" .... aus traurigen ..... Gründen....... "
diese Zeile erinnert an die elementare Wahrheit der griechischen Mythen zur Entstehung der Lyrik, an Apoll und seinen Lorbeertrauerkranz und an Orpheus.....

Bin wirklich kein Dichter
und insofern auch kein getroffner Hund, der hier bellen muss,
sondern ich meine ich verstünde und witterte wirklich
die deutlichen Spuren eines wirklichen Dichters !

MERCI von idi

 miljan meinte dazu am 03.10.17:
Danke euch beiden für eure Rückmeldungen. Trübsal, gewiss, aber blasiert? Ich glaube, dass das Schreiben im menschlichen Wünschen wurzelt, in der menschlichen Sehnsucht und damit auch in der Trauer. Es kann sich davon losmachen, kann sich auf andere Dinge beziehen, kann nichtsdestotrotz gut sein, aber es entfremdet sich meines Erachtens dabei immer auch ein Stück weit von seinen Ursprüngen. Schreiben ist für mich kein Selbstzweck, es steht mit dem Trübsal in zu enger Verbindung, als dass ich es einfach davon loslösen könnte, ohne dass es im Zuge dessen für mich langweilig würde und fremd.
bbx (68)
(18.10.17)
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 Isaban (13.02.18)
Hallo miljan,

was ist denn einer, der Gedichte schreibt?

Nichtsdestotrotz: Meine Empfehlung,
insbesondere für die letzten 3 1/2 Verse der dritte Strophe.

LG Sabine

 miljan meinte dazu am 13.02.18:
Liebe Sabine,

das ist die Crux, die vor allem im Unterschied von Sein und Tun besteht. So ist zum Beispiel im Bereich der Sexuellen der Satz, ein Mensch sei schwul oder lesbisch, noch nicht sehr alt, obgleich es schon wesentlich länger Männer und Frauen gab, die jeweils Sex mit Männern bzw. Frauen hatten. Es gab erst die Handlungen, die man, auch abhängig von der Situation, vornehmen oder nicht vornehmen konnte, aber noch nicht die entsprechende Identität als dauerhafte Charakterstruktur. Aus Handlungen wurden Eigenschaften. Einer, der Gedichte schreibt, aber kein Dichter ist, ist insofern einer, der heute dichtet und morgen vielleicht musiziert oder auch ein Jahr lang gar nicht schreibt und dann mehrere Stunden pro Tag, ohne dass er zu dem einen Zeitpunkt ein anderer _ist_ als zu dem anderen. Er handelt nur anders und definiert sich weniger darüber. Ich danke dir auf jeden Fall für deine Empfehlung, vor allem freut mich dein Lob der letzten Verse des Gedichts. Es sind die, bei denen ich am unsichersten bin.

Liebe Grüße,
miljan
Jack (36)
(11.06.18)
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