Big Spender

Gedicht zum Thema Andere Welten

von  Isaban

Sternwärts zeigen deine Haare
und dein Mund staut einen Schrei,
in den Augen schmilzt das Klare,
was rot floss, erstarrt zu Brei.

Konzentrierte Brillenpaare
brechen dir die Brust entzwei;
Herz- und Lungenexemplare
sind nicht stich- doch wucherfrei.

Du liegst starr auf deiner Bahre,
die Studenten ziehn vorbei.
Jeder darf mal. Übungsware.
Blaue Aster? Einerlei.

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Kommentare zu diesem Text


 Irma (12.03.18)
Das Lied „Big Spender“ wird im Musical von den Striptänzerinnen gesungen. Auch hier steht (bzw. „liegt“, V.9) jemand nackt, entblößt (ohne sein letztes Hemd) im Mittelpunkt der Betrachtung. Die Augen der Studenten sind (wissensbe-)gierig auf diesen nackten Körper gerichtet. Wie bei einer Prostituierten geht es hier allein um den Körper. „Jeder darf mal.“ (V.11) - Ähnlich den Freiern stehen die Studenten Schlange, damit sie auch mal randürfen. Sich ausprobieren an der „Übungsware“ (V.11) Mensch, Eindringen mit Seziermessern, ausbeuten (Organe entnehmen).

Es ist wichtig, dass es Prostituierte gibt. Und es ist auch wichtig, dass es Menschen gibt, die bereit sind, ihren Körper nach ihrem Ableben der Wissenschaft und Forschung, der Ausbildung junger Ärzte, zur Verfügung zu stellen ("Big Spender"). Möglicherweise sind es hier auch junge Pathologen und Forensiker, die die Todesursache untersuchen sollen? („Herz- und Lungenexemplare / sind nicht stich- doch wucherfrei.“ V.7/8 klingt nach einem Tod durch Erstechen.)

„Ruhe sanft, kleine Aster!“, heißt es am Ende des Gedichtes von Gottfried Benn, wo der Obduzierende eine kleine Aster in die Brust des Toten pflanzt. Diesem Toten hier wird diese Art von letzter Ehre nicht zuteil. Aber was zählt das noch? („Einerlei.“, V.12) Alles ist ganz einfach. (So einfach, wie das Reimschema mit nur zwei Reimen.) Ganz einfach: „vorbei“ (V.10). LG Irma

Kommentar geändert am 12.03.2018 um 13:01 Uhr

 Isaban meinte dazu am 12.03.18:
Hallo Irma,

ja, ganz einfach vorbei. Da kann in S1 eine noch so nahe Nahaufnahme gezeigt werden. Schon allein dadurch, dass kein Schrei mehr aus dieser Kehle kommt, ist das besiegelt, was danach geschieht.

Aus einer Person, einem Wesen, dem niemand die Menschenwürde absprechen darf, wird per Gesetz eine Sache, die man spenden kann und die dann auch nur wie eine Sache behandelt wird, so, als wäre es völlig normal, wenn jeder mal darf. Fleischbeschau pur. Darf's ein Stückchen mehr sein?

Ich freu mich sehr, dass du dich dieses Textes annehmen mochtest. Deine Interpretation ist wie immer ein Genuss.

Herzlichen Dank und
liebe Grüße

Sabine

 EkkehartMittelberg (12.03.18)
Bei Gedichten wie diesen schaue ich immer besonders interessiert, ob sie empfohlen werden. Meistens nicht, weil sie sich ja nicht auf etwas Schönes richten oder herzerwärmend sein wollen. Aber mit ihrem Charakter als kleine Kunstwerke hat diese Zurückhaltung nichts zu tun.

 Isaban antwortete darauf am 12.03.18:
Vielen Dank, lieber Ekki,
für deine freundliche Rückmeldung, die lobenden und tröstlichen Worte udn dafür, dass dir auch meine weniger gefälligen Texte gefallen.

Liebe Grüße

Sabine

 monalisa (12.03.18)
Hallo Sabine,
ja, 'big spender' sind jene, die nach ihrem Tod ihre organe entweder der Wissenschaft oder als Organspender schwerkranken Menschen spenden und so ihr Leben verlängern.
Vielleicht ist 's den Toten ja egal, wie man mit ihrem Körper verfährt, sie "wohnen" ja nicht mehr darin. Doch irgendwie denke ich schon, dass man das, worin man jahre-, jahrzehntelang zuhause war, mit ein wenig Feingefühl, Anstand und Respekt behandelt wissen will. Vor allem aber für die Hinterbliebenen scheint es mir eine schreckliche Vorstellung zu sein, wenn dem geliebten Menschen noch im "Abgang" jegliche Würde abgesprochen wird, sein Körper zur Übungsware degradiert wird.

Genau diese Position der/des Hinterbliebenen nimmt dein Gedicht ein, wenn von 'deine Haare' - 'dein Mund' die Rede ist, und Studenten, Professoren, Pathologen ..., wer auch immer, ein Stück weit entmenschlicht zu 'konzentrierten Brillenpaaren' werden, während ein geliebtes DU starr auf seiner Bahre liegt und alles über sich ergehen lassen muss.
Irma hat ja schon die Vision, die am Ende in der 'blauen Aster' Gottfried Benns aufleuchtet, angesprochen und dem Paareim, der sich gleichermaßen durch alles Strophen zieht, seine Bedeutung gegeben. Da kann ich ihr wieder einmal nur zustimmen und mich herzlich bedanken.

Liebe Grüße
mona
Marjanna (68) schrieb daraufhin am 12.03.18:
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 Isaban äußerte darauf am 12.03.18:
Hallo Mona,

ja, ich wollte die Diskrepanz zeigen zwischen der Person des Lebenden und der Sache, die da auf dem Seziertisch liegt, daher erst das Persönlich, der Blick auf den Toten in S1, der wissenschaftliche Abstand in S2 und die reine Fleischbeschau in S3.

Ekliger Weise hatte ich dabei den Song "Big Spender" in Kopf und mein Kopfkino zeigte nach jeden Dadadadamm! eine gummibehandschuhte Hand vor Augen, die ein neues Organ in der Hand hielt, bis hinterher nichts mehr da war, was man triumphierend in die Höhe halten konnte.

Die kleine Aster, das bisschen Betroffenheit, menschliche Wärme und Würde, bleibt da auf der Strecke.

Dir herzlichen Dank für deine tolle Interpretation und das genaue Hinschauen bei den Stilmitteln.

Liebe Grüße

Sabine


Liebe Marjo,

ist das nicht gruselig? Sind nackte Menschen keine Menschen mehr, nur noch Fleisch und Knochen?

Wenn man die Krimiserien heute betrachtet, scheint das so zu sein. Wenn man mal kurz drüber nachdenkt, was in der Pathologie und an medizinischen Fakultäten zum Wohle der Menschheit mit menschlichen Körpern passiert, könnte man fast vergessen, dass die Übungsmaterialien und Ersatzteillager auch Mensch waren und trauernde Angehörige haben und auch nach ihrem Ableben nicht bar jeder Menschenwürde behandelt werden dürfen.

Liebe Grüße

Sabine
Marjanna (68) ergänzte dazu am 12.03.18:
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 Isaban meinte dazu am 12.03.18:
Vermutlich. Vermutlich kann man ohne einen gewissen Abstand (konzentrierte Brillenpaare) nicht einfach loslegen und Schneidwerkzeug oder Knochensägen an einem Leichnahm anlegen. Vermutlich wird es den Studenten gleich beigebracht: Das hier ist kein Mensch mehr, jeder darf mal ran, du kannst nichts falsch machen, dem tut nichts mehr weh. Aber wenn dein Mann da liegt oder dein Kind, deine Mutter, deine Freundin, deine Schwester oder dein Bruder, dann fühlt sich das einfach falsch an, sehr, sehr falsch.
Echo (34)
(12.03.18)
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 Isaban meinte dazu am 12.03.18:
Stimmt. Oder dieser (Big) Spender gehörte zu denen, die ihren Körper der Wissenschaft vermacht haben und an medizinischen Fakultäten immer wieder zu Lehr- und Übungszwecken aus ihrem Kühlkasten geholt werden, bis bei ihnen gar nichts mehr zu holen ist.

Vielen Dank für deine Rückmeldung und die Auseinandersetzung mit dem Thema.

Liebe Grüße

Sabine
Aron Manfeld (48)
(12.03.18)
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 Isaban meinte dazu am 12.03.18:
Lieber Aron,

wenn du dir vorkommst, wie Lady Quietscheentchen, ist das völlig in Ordnung. Für mich such dir bitte etwas weniger quietschiges Vergleichsmaterial. :P

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