Der Seelenverkäufer

Verserzählung zum Thema Veränderung

von  GastIltis

Die Reederei von Schwamm & Drüber
suchte für Tauchgänge - je länger, je lieber -
einen technischen Schiffsoffizier mit Spezialkenntnissen:
Passagiere, Bemusterung, Betreuung, Gewissen,
zum Einsatz auf einer Kreuzfahrt mit Abenteuer.
Die Fahrtroute unbekannt. Aber nicht geheuer.

Ich habe, um endlich zum Kern zu kommen,
das Angebot gutmütig angenommen.
Der Pott steht auf Abruf bereit seit der Wende.
Abfahrtsort, sagt alles, ist der Hafen Ostende.
Das Schiff heißt, aber jetzt bitte keine Panik,
eine römische Zwei, und dann schlicht Titanic.

Und ist - nomen est omen - ein Seelenverkäufer,
auf den Bordlisten je ein Drittel notorische Säufer,
dann AfD-ler nebst Wählern, dazu: Anhänger,
sonst Spieler, sowie massenhaft Freizeitsänger.
Und der Rest, um den nicht ganz zu vergessen,
sind Frauen und Menschen mit andern Intressen.

Die Kosten pro Nase: ein symbolischer Gulden,
denn falls einer auftauchte, hätte er Schulden.
Im Kleingedruckten steht, sauber eingetütet,
Überlebende kriegen das Geld zurück vergütet.
Bis auf die AfD-ler kennen alle den Zweck aufs Genaue.
Für die letzteren ist es eine Fahrt ins Blaue.

Das erste Ziel ist ein berühmter Schiffsfriedhof.
Das finden die Notorischen gar nicht so doof.
Denn auf jedes Schiff, das dereinst gestrandet,
folgt ein Strom, der irgendwo im Nichts versandet.
Dann wird trauernd der nächste Friedhof beehrt.
Dem Strom wird der Weiterfluss nicht verwehrt.

Dazu kann man von mehreren Tenören
ein Liebeslied von Canaletto hören.
Venezia, du friedensreiche, du schöne,
so überschlagen sich die allerhöchsten Töne.
Inzwischen suchen schon einige Kastraten
ein trocken Bündel Hölzer zum Eierbraten.

Dann stehn auch ein paar AfD-ler im Wort:
Wir wollen marschieren und kommen nicht fort!
Unterdessen, so scheint es mir angemessen,
gibt es hier auf See nordatlantisches Essen.
Dazu sage ich als Betreuungsstratege,
dass sich am Bermuda-Dreieck unsere Wege,

dank Katrina, vielleicht dann Nummer sieben,
wohl trennen, versinken, abtauchen, verschieben.
Versicherungstechnisch ist alles von Schwammen
& Drüber geregelt. Sie halten zusammen,
was zusammen gehört. Dass die Säufer und Spieler,
die Sänger, Anhänger und auch die AfDealer,

dabei elend verrecken und akribisch* absaufen,
hilft ihnen (und mir), uns was Neues zu kaufen.

*karibisch


Anmerkung von GastIltis:

Empfohlen von: AZU20, TrekanBelluvitsh, Trainee, Jo-W., LottaManguetti, Moja, Nimbus, TassoTuwas, EkkehartMittelberg, Sätzer, wa Bash, Didi.Costaire.
Lieblingstext von: LottaManguetti.
Ein Gutschein für die nächste Reise!

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Kommentare zu diesem Text

Jo-W. (83)
(23.01.19)
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 GastIltis meinte dazu am 23.01.19:
Lieber Jo-W., da kannst du sogar jauchzen und frohlocken, Bach singt sich auch besser als Canaletto. Nur: die Zeit für das Jauchzen und Frohlocken ist knapp vorbei. Aber Bach hat wohl für jede Woche etwas geschrieben. Viel Freude dabei! Danke und viele Grüße von Gil.

 LottaManguetti (23.01.19)
Wenn es so einfach wäre, wäre es nicht so schwierig.
Es gefiele mir allerdings besser.
Aber Schwamm drüber - die Geschichtsforschung wirds schon wieder hinbiegen.
Herrlich mit Worten gespielt!

 GastIltis antwortete darauf am 23.01.19:
Liebe Exo, irgendeinen Haken hast du entdeckt. Aber ob du ihn mir verrätst oder nicht, wann schreibe ich je wieder so ein langes Gedicht? Bei dir bin ich mir nicht sicher. Kranzt du dir das vorstellen? Danke und bleib gesund. Herzlich Gil.

 LottaManguetti schrieb daraufhin am 23.01.19:
Nein. Kein Haken. Wohl eher meine innere Stimme, die mir sagt, ich solle mir nicht wünschen, dass jemand zu Schaden kommt, egal wie unsympathisch er mir erscheint. Aber das ist mein Manko, keines in deinem tollen Gedicht. Bei mir überleben bekanntlich sogar Mörder. :D

 GastIltis äußerte darauf am 23.01.19:
Du bist zu gut für diese Welt. Ich habe einmal in einem Buch, ich glaube es hieß „Der scharlachrote Buchstabe“ von jemand gelesen, der sich mit Selbstmordgedanken trug und das unerhörte Glück hatte, ermordet zu werden. Wer für meinen Seelenverkäufer die Reise bezahlt (Abenteuer mit finalem Abgang), kennt den Zweck der Reise. Der Weg ist das Ziel. Im Unwägbaren liegt das Überraschende. Die AfD-ler ausgenommen. Sie gehen als Kollateralschaden mit hinweg. Wie gesagt: Du bist zu gut für diese Welt. Nun, dein Mörder, das war doch eine ganz andere Zeit! LG.

 TassoTuwas (23.01.19)
Hallo Gil, als alter Fahrensmann, mein Rat, betrete kein Schiff auf dem die Anzahl der zweibeinigen Ratten größer ist als der vierbeinigen Ansonsten schön in See und anderswo gestochen!
Ahoi mit LG TT

 GastIltis ergänzte dazu am 23.01.19:
Hallo Tasso, wer hat dir das mit dem Fahrensmann schon wieder gestochen? Hier ist man vor nichts sicher. Jedenfalls bei KV stand es noch nicht. Auszug:

„Und dann beim Bremer Kunstverein,
da spie er aufs Parkett.
Gleich rahmten sie die Stelle ein.
Das fand er richtig nett.
Das Kunstwerk ging nun um die Welt.
Dann war’s auf einmal weg.
Jetzt hängt es bei Karl Lagerfeld
als Großer Leberfleck.“

Also, sonst wird alles beherzigt.
Sei gegrüßt (mit Wimpel) von Gil.

 EkkehartMittelberg (23.01.19)
Lieber Gil, ich kenne die lyrische Gesellschaftskritik aus dem System, das du erleben musstest. Wir können es uns heute leisten, leiser, spielerischer, eleganter zu kritisieren, wie du es hier zeigst.
Beste Grüße
Ekki
Cora (29) meinte dazu am 23.01.19:
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 GastIltis meinte dazu am 23.01.19:
Hallo Ekki, danke für die Zeilen. Ich neige dann immer zu der grammatikalisch falschen Aussage: da weißt du mehr wie ich, bin aber gespannt, welchen Kenntnisstand denn Cora offenbaren mag. Ich z.B. habe zu unserem Bergfest mit zwei Studenten ein belangloses Lied gesungen, während Wolf Biermann einige vorgetragen hatte, die zwischen Regimekritik und -freundlichkeit, jedenfalls aus meiner damaligen Sicht, hin und her zu pendeln schienen. Aber ich kann mich auch täuschen; wir waren zum Teil hinter den Kulissen.
Danke Ekki, und bei dir, Cora, bin ich gespannt. Da muss Ekki erst reagieren. Herzlich grüßt Gil.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.01.19:
Hallo Cora und GastIltis; wenn ich sage "lyrische Gesellschaftskritik" meine ich, was die Autoren dafür gehalten haben. Mir fallen spontan diese Beispiele ein: Günter Kunert: "Marx, Louis Fürnberg: "Widmung", Max Zimmering: "L'art pour l' art", Adolf Endler: "Einem jungen westdeutschen Poeten" .
Cora (29) meinte dazu am 25.01.19:
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Sätzer (77)
(23.01.19)
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 GastIltis meinte dazu am 23.01.19:
Lieber Uwe, das ist dafür, weil du meine dreizehn Worte so niedergemacht hast! Im Ernst: kommt so oft nicht vor. Wahrscheinlich nie wieder. Als ich mal bei der Leselupe war (das erste Mal etwa 2013) hat man Gedichte mit sechs bis sieben Strophen und je vier Versen als zu lang bemängelt (was bemängelt man da nicht?). Seitdem bemühe ich mich zu straffen. Dieses ist absichtlich mal eine Ausnahme. Nur: zum Erschlagen reicht es sicher nicht. Aber für einen Gulden kannst du buchen: Zweck steht fest. Reederei kassiert. Ich mit. Willkommen im Club. LG von Gil.
Sätzer (77) meinte dazu am 23.01.19:
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 Didi.Costaire (23.01.19)
Du hast dir ja in aller Breite Platz genommen,
um endlich irgendwie zum Kern zu kommen,
und wie's beim Urinieren* vieler Leute ist,
sind letztlich alle völlig angepisst.

* Ruinieren

Titanische Grüße, Dirk

 GastIltis meinte dazu am 24.01.19:
Hallo Dirk,
da hast du mich aber voll (du hast doch nicht?) durchschaut. Und perfekt parodiert. Was soll ich noch sagen? Ja, danke und menschliche Grüße zurück. Herzlich Gil.

 AZU20 (24.01.19)
Starker Text. LG

 GastIltis meinte dazu am 24.01.19:
Hallo Armin, wie das so ist, erst habe ich Starker Tobak gelesen. Freudscher, nicht Versprecher, Verleser. Danke. Fehler lag im Abstand vom Bildschirm. LG von Gil.

 TrekanBelluvitsh (24.01.19)
Immerhin war der Eisberg der Titanic Eins echt.

Der Eisberg der Titanic Zwei - und ich muss kritisch anmerken, dass du uns das verheimlichst hast - ist von den Passagiern an Bord selbst zusammengebaut worden. Und ich gebe zu, das war eine Leistung, denn sie haben ihn aus nichts zusammengeschustert. Neudeutsch nennt man das "Aircasteling".

 GastIltis meinte dazu am 24.01.19:
Hallo Trekan, danke für deine sinnigen Anmerkungen. Finde ich schon super. Sind deinem Bemühen geschuldet, die T II nicht erst im Bermuda-Dreieck, sondern schon früher der Vollwasserung zu unterziehen. Hätte in Anbetracht eines Teils der Passagiere mein vollstes Verständnis. Umschreiben des Textes wäre jetzt umständlich. Wir sind uns aber einig. Schon wegen des Kunsteisberges, Marke Trekan II. Herzlich grüßt dich von den Kaimaninseln (fünftgrößter Finanzplatz der Welt) Gil.
Trainee (71)
(24.01.19)
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 GastIltis meinte dazu am 24.01.19:
Hallo Heidrun, mit der Überlänge, das stimmt. Es ist das mit Abstand längste Gedicht, das ich eingestellt habe (50 zu 35 Zeilen, das mit 35 war mehr ein Scherz). Dass ich nun richtigstellen muss, wie der Satz mit dem Eierbraten zu lesen ist, erwartest du aber nicht. Mir ist übrigens aufgefallen, dass du sehr schreibstark in Empfang genommen worden bist. Es möge nützen. Jedenfalls herzlichen Dank und in Zukunft kürzer grüßt und schreibt Gil.
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