Gott

Kommentar zum Thema Sterben

von  eiskimo

Passend zur Jahreszeit und zur gerade eingeläuteten Black Week war gestern  im Fernsehen der Tod zu Besuch. Nein, es ging ausnahmsweise nicht um die Frage „Sterben mit oder an Corona“ bzw.  „Wie überlebe ich die Triage?“ – ganz im Gegenteil.  Tod auf Verlangen, das war das Thema bei Ferdinand von Schirachs TV-Kammerspiel „Gott“.
Da wollte ein 78jähriger sein Leben würdevoll  und selbstbestimmt durch Medikamente beenden, unter Mithilfe seiner Hausärztin.
Ist das moralisch vertretbar und darf die Ärztin Beihilfe zum Suizid leisten, über diese Frage debattierte ein fiktiver Ethik-Rat, und man bekam die Argumente der Ärztekammer, der Kirche und natürlich des Sterbewilligen sehr ausgefeilt vorgetragen.
Was mich irritierte war dann  nicht das Ergebnis – 70 Prozent der Fernsehzuschauer votierten am Ende „für“ eine legale Sterbehilfe – sondern das völlig weltfremde Bild, das da von den Ärzten gemalt wurde. Die hätten nämlich über die Glaubwürdigkeit des Todeswunsches zu befinden . Es wurde dann unterstellt, dass Ärzte tatsächlich Patienten über Jahre begleiteten, deren schweren Seelennöte hautnah ausloten und angemessen beurteilen könnten. 
Meine Erfahrung mit Ärzten ist eine andere. Ich erlebe sie als zeitlich total unter Druck stehende, hastig einen Fragekatalog abarbeitende Dienstleister, die vielleicht das Funktionieren meiner Physis betrachten, aber sicher nicht meine tiefer sitzenden existentiellen Nöte einschätzen können.  Das Bild des Hausarztes als treuer Freund und Kenner der Familie, das war in meinen Augen da,  bei von Schirach, noch fragwürdiger als die Statements des Kirchenvertreters.
        Ich hätte am Ende gern gewusst, wie die 70 Prozent der Jury sich das konkret vorstellen. Trete ich mit einem Anliegen etwa vor eine Prüfkommission, ähnlich wie seinerzeit Kriegsdienstverweigerer das zu tun hatten, und weise nach, dass mein Ansinnen „ehrlich“ ist? Oder wird es „Spezialisten“ geben unter den „liberalen“ Ärzten, die dafür bereitstehen werden, und die suche ich mir dann im Telefonbuch heraus? Und wird der bildungsnahe Reiche wieder eher zum Erfolg kommen als die nicht so redegewandte "arme Socke", die, oh Gott, dann natürlich sterben muss?
Schweres Thema, schwere Fragen.  Wie gesagt, ein echter Aufhänger für diese  Black Week.

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Kommentare zu diesem Text


 Regina (24.11.20)
Beihilfe zum Suizid ist ethisch nicht vertretbar, diese "Gewissensprüfung" nur Augenwischerei, als ob sich ein solcher Arzt nicht schuldig machen würde.

 eiskimo meinte dazu am 24.11.20:
Das ist eine klare Position. Alles andere bringt eine Menge Unwägbarkeiten. Die 70% Zustimmer hätten veilleicht anders entschieden, wenn sie es sind, die den "Cocktail" reichen müssen

 franky (24.11.20)
Hi lieber Eiskimo

Der Mensch wird Fremdbestimmt, ob er auf die Welt kommen will;
Und Fremdbestimmt ob und wie er sterben darf.
Man bedenke wie viele Menschenleben in den vergangenen Kriegen fremdbestimmt hingerafft wurden. Hat es da irgendwann ethnische bedenken gegeben?

Grüße von Franky

 eiskimo antwortete darauf am 24.11.20:
Wie Recht Du hast! Und wenn ich mir einbilde, selbsbestimmt zu handeln, wie viel Suggestion/Manipulation von außen ist da mit im Spiel? Ein verdammt schwieriges terrain, wo wir uns da bewegen...
Ciao
Eiskimo

 Mondgold (24.11.20)
Ich sehe den Benutzer der armen Socke lächeln.
LG MO

 eiskimo schrieb daraufhin am 24.11.20:
.-.. weil sie dieses "Luxusproblem" nicht hat?
LG
Eiskimo

 EkkehartMittelberg (24.11.20)
hallo Eiskimo, wenn man bedenkt, dass es nur ein paar Jahrzehnte her ist, dass Menschen, die Suizid begingen, auf dem Schindanger verscharrt wurden, habe ich die Hoffnung, dass die Diskussion über selbstbestimmtes Sterben immer rationaler geführt wird.
LG
Ekki

 eiskimo äußerte darauf am 24.11.20:
Der Suizid ebenso wie Umgang mit dem Suizid ist grauenvoll. Wie schön wäre es, wenn Menschen vor so einer Option liebevoll aufgefangen würden. Ich weiß, das ist unrealistisch. Rational da herangehen? Das ist ein Grenzbereich, höchst diffizil....
LG
Eiskimo

 Moja (24.11.20)
Über Deine Fragen denke ich auch nach, vielleicht sollte einem Menschen mit der Geburtsurkunde auch die Sterbeurkunde -sprich: Recht auf selbstbestimmtes Sterben ausgehändigt werden.
Denn, wer maßt sich an über das Leben und den Tod eines Menschen zu urteilen? Mit dem Eintritt in die Welt sollte Mensch auch das Recht zum Austritt haben - ohne wenn und aber.
By the way, eine spannende Verfilmung!

Danke für Deinen Beitrag,
Moja grüßt!

 eiskimo ergänzte dazu am 24.11.20:
Ja, ein spannender Fernseh-Beitrag, den man nicht einfach so wegsteckt. Du hast eine einfach klingende Lösung. Wie würden die Angehörigen diesen "Austritt" empfinden? Welche "Schuld" haben sie? Muss man nichrt um jeden Menschen kämpfen?
Ich bin da längst nicht mit fertig....
lG
Eiskimo

 Moja (24.11.20)
Die Fragen entfielen, wenn die Menschheit darauf eingestellt wären, dass jeder die Freiheit hat, sein Leben selbst zu beenden. Wir sind noch nicht soweit, kommen vielleicht auch nicht dahin, eher zerstören wir alles.

Kein Mensch nimmt sich einfach so das Leben, denn das kann er nur einmal tun. Leben ist Leiden, sagt die Kirche, das Leid haben dann Angehörige zu tragen, Verluste gehören zum Leben.
Und was ist mit denen, die keine Familie haben, die allein leben? Und mit denen, die nicht an Gott glauben?
Für mich sind das vorgeschobene Argumente, die Menschen haben längst ihre moralischen Ansprüche verspielt, schaut man in die Geschichte.
Ein schwerkrankes Tier wird erlöst, aber ein schwerkranker Mensch soll leiden bis zum Schluss. Palliativstationen und entsprechende Begleitung fehlen, sie sind nicht in Kürze aufzubauen, das ist kein Trost.

Ich hoffe, dass der Mensch endlich Verantwortung für sein Leben und Sterben übernimmt.
Kennst Du von Jo Roman "Freiwillig aus dem Leben", Kindler Verlag 1981 - "Der Wunsch aus dem Leben zu scheiden, ist grundverschieden von dem Wunsch, Leben zu zerstören."
Das Recht auf Freitod muss gewährleistet sein in einer Gesellschaft, niemand darf einem anderen Leben aufzwingen, schreibt sie. Es gibt eine Filmdoku, ihr Mann begleitete sie.

Seit den 80ern beschäftigt mich das Thema, mein schwerstkranker Freund nahm sich das Leben, ein Jahr diskutierten wir das Thema. Liebe ist, wenn man den anderen begleitet und gehen lässt.

Sorry, bisschen viel geworden,
Moja

 eiskimo meinte dazu am 24.11.20:
Bitte nicht "sorry" - Du bringst ganz wesentliche Argumente und Erfahrungen. Das ist wertvoller als das Theoretisieren.
Danke
Eiskimo

 AchterZwerg meinte dazu am 25.11.20:
Lieber Eiskimo,

ich möchte mich Moja ganz & gar anschließen.
Wenn ich mir überlege, wie lange e gedauert hat, den Frauen unserer Gegend das Recht auf Abtreibung zuzugestehen, wundert es mich zwar nicht, wie aufgeladen die Diskussion um den Freidtod immer noch ist, doch finde ich die recht eigentlich überflüssig.

Wie sein Name schon sagt: Der Freitod steht den Menschen frei.

Herzliche Grüße
der8.
Al-Badri_Sigrun (61)
(24.11.20)
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 eiskimo meinte dazu am 24.11.20:
Liebe Sigrun!
Man muss es wohl so hautnah erlebt haben wie Dein Mann und Du...
Gestern in dem Film wurde freilich deutlich gemacht, dass die Sterbehilfe - sofern gesetzlich geregelt - unabhängig von Alter oder Krankheit gewährt werden muss, also auch einem Kerngesunden.
Was mich beschäftigt: Die moderne Medizin überlistet ja die Natur und schafft es, Menschen noch Monate am Leben zu erhalten, die ohne diese Kunstgriffe längst gestorben wären. Wo ist der Zeitpunkt, dies zurückzuweisen?
Danke für Deine intensiven Gedanken zum Thema!
Eiskimo
Stelzie (55)
(25.11.20)
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 eiskimo meinte dazu am 25.11.20:
Danke für Deine klarstellenden Worte aus der Praxis. Das rückt so manche wohlfeilen Worte in ein ganz anderes Licht. Es beruhigt auch zu erfahren, dass es doch humaner zugeht in puncto Palliativmedizin uznd Hospize... Und es hilft auch, denke ich, darüber zu sprechen.
Insofern tun wir das Richtige!
Eiskimo

 AvaLiam (26.11.20)
Interessant an diesem Thema und der Debatte darum finde ich vor allem, wie wenig Selbstbeteiligte darin zu Wort und Gehör kommen.
Ich führte vor 4 1/2 Jahren sehr viele Gespräche dazu, da ich durch eine schwere Operation ein hohes Risiko einging, in einem Zustand, der alles andere als lebenswert gewesen wäre, aufzuwachen.
Für mich persönlich wäre der eintreffende Fall höchst unzumutbar gewesen und ich selbst jedoch vollkommen außer Stande, dem ganzen ein Ende zu setzen.
Wir sprechen von einer Lähmung Kinn abwärts - Sprache, Riechen, Schmecken, Blinzeln u.s.w. möglicherweise ebenfalls betroffen.
Diesen Zustand gepaart mit mehreren Erkrankungen, die in Kombination einfach unwürdig, schmerzvoll und äußerst belastend definitiv NICHT zu ertragen gewesen wären.
Nur zu gern hätte ich ein Schreiben unterschreiben wollen, das regelt, diesem Zustand ein Ende zusetzen.
Nur hier in Deutschland ist das nicht möglich. Eine Möglichkeit, in die Schweiz zu fahren hätte ich nicht gehabt.
Das zu mir.

Ich verstehe natürlich das Abwägen zwischen den Argumenten und Befürchtungen. Einige Patienten wären vielleicht nicht in der Lage, tatsächlich gut überlegt und selbstbestimmt zu entscheiden.
Dennoch sollte es ein klares Ja zu bestimmten Fällen geben - wie z.B. damals, in meinem Fall, der ja am Ende doch noch gut für mich ausging.

Man sollte also weniger das OB diskutieren mit seinem FÜR und WIDER - sondern vielmehr die Möglichkeiten, wie man moralisch/ethisch ohne Schuld betroffenen Menschen ein würdiges und friedliches selbst entschiedenes Ende ermöglichen kann.

Gut, dass zwischen der ganzen Corona-Scheiße hier auch mal ein anderes Thema auf den Plan gerufen wird.
Ein Thema, dass unbedingt und noch viel, viel lauter diskutiert werden MUSS.

LG - Ava

 eiskimo meinte dazu am 26.11.20:
Liebe Ava!
Ich bin durch den qualvoll-langen Tod meiner Mutter dicht an das Thema heran gezwungen worden. Man ließ uns damit ziemlich allein. Ein Abkürzen des Leidens musste geradezu "ausgehandelt" werden .
Dass wir in Deutschland da menschenwürdige Lösungen herbeiführen müssen, dieses MUSS unterstütze ich voll.
Danke für Deine intensiven Worte - und schön, dass Du positiv da rausgekommen bist!
lG
Eiskimo
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