Die Rechtsradikalen im Supermarkt

Kurzgeschichte zum Thema Gewalt

von  Koreapeitsche

 

Laut Vorhersage der Regionalpresse sollte dieser Kleinstadt am kommenden Samstag ein Treffen der rechtsextremen NPD bevorstehen. Sogar im Radio wurde darauf hingewiesen, dass es unter anderem im Bereich des Hauptbahnhofes am Samstagnachmittag zu Behinderungen kommen könnte. Es wurden zwei Routen beschrieben, auf der sich die Demonstranten und Gegendemonstranten durch die Stadt bewegen würden. Ein ortsansässiger Normalo, der auf halber Strecke zwischen dem Stadtkern und der Universität wohnte, nahm sich vor, an diesem Wochenende die Innenstadt zu meiden. Er war meist schlicht gekleidet, trug Turnschuhe, mittellange Haare und einen Oberlippen- und Kinnbart.   

Er rechnete sich eher der linken Szene zu, war jedoch kein Aktivist.  

Am Freitagnachmittag wollte er einkaufen gehen, und da er kein eigenes Auto besaß, fuhr er wie gewohnt mit dem Fahrrad in den rund einen Kilometer entfernten Supermarkt. Der Laden war gerammelt voll. Er hatte wie gewohnt einen Einkaufszettel dabei und steuerte gezielt die benötigten Waren an. Schließlich hatte er alles beisammen, was auf der Liste stand, und bewegte sich in Richtung einer der drei Schlangen an den vier Kassen. Er stellte sich hinten an. In jeder Schlange befanden sich mehr als zehn Einkaufswagen, und er sah voraus, dass es noch eine Weile dauern könnte, bis er an der Reihe war. Jetzt sollte die Kasse links neben seiner Schlange zusätzlich geöffnet werden. Das erkannte er daran, dass eine der Mitarbeiterinnen das Metall-Gitter am Ständer mit den Tabakwaren hochzog. Er setzte seinen Einkaufswagen in Bewegung, ebenso wie eine Reihe anderer Kunden. Von rechts kam plötzlich ein kräftiger Mann mit kahl rasiertem Kopf und einem Muskel-Shirt und stellte sich blitzschnell an das Ende der sich neu firmierenden Schlange, unmittelbar bevor der Normalo das Ende erreichen konnte. Von hinten drängten weitere Kunden vor, mehrere Wagen standen kreuz und quer. Der Mann mit dem kahl rasierten Kopf wollte offensichtlich den Platz für jemand anderes reservieren, der weiter hinten in einer der Schlangen stand. Doch zunächst wurde der Normalo zusammengestutzt:  

„Schaff dich aus dem Weg! Hier ist besetzt!"  

und er gab ein Zeichen zu seinen Leuten, die ganz hinten in einer der Schlangen standen. Der Normalo war ein wenig baff, dass er so angefahren wurde, entgegnete spontan: 

„Jetzt habe ich aber schon eingeparkt",  

und er konnte wirklich nicht mehr zurück, weil hinter ihm andere Kunden eng an eng mit ihren Einkaufswagen standen. Doch der Skinhead stieß den Wagen des Normalos in Rage zur Seite und wurde dabei beleidigend:  

„Verschwinde hier, du P*sser!"  

Die Menge hinter ihm schwieg, einige wichen mit ihren Wagen ein Stück aus. Auch die Mitarbeiter im Laden arbeiteten weiter, als sei nichts geschehen. Jetzt standen die beiden Männer direkt voreinander, und der Mann mit den kurz geschorenen Haaren schrie weiter  

„Was willst du, Kamerad?",  

so dass der gesamte Laden etwas davon hatte. Der Normalo entgegnete ihm kühn:  

„Ich bin nicht dein Kamerad!"  

Der Normalo war innerlich aufgebracht, zitterte am ganzen Körper, doch er wollte keinen Meter nachgeben. Er dachte, dass er die anderen sicher vorgelassen hätte, wenn der Skinhead freundlicher auf ihn reagiert hätte. Doch der schrie weiter  

„Was willst du denn, mein Junge? Verp*ss dich hier!"  

Keiner der anwesenden Kunden oder sogar der Belegschaft des Supermarktes wagte es, einzugreifen oder zu schlichten. Von hinten näherte sich allmählich der Anhang des Kurzhaarigen, die sich mit ihrem voll gepackten Wagen an der Schlange vorbei ihren Weg bahnten. Wieder musste er sich das Wort „Kamerad" ins Gesicht schreien lassen.  

Der Normalo erwiderte mit kräftiger Stimme:  

„Ich bin nicht dein Kamerad und auch nicht dein Junge",  

und rief in Richtung Kassierer:  

„Muss ich mich hier so beleidigen lassen?"  

Doch der Glatzkopf beleidigte weiter.  

„Ich lasse mich hier beim Einkaufen nicht beleidigen",  

rief der Normalo erneut und forderte, dass dem Mann vor ihm Hausverbot erteilt werden sollte. Jetzt drängten sich eine junge Frau und ein weiterer Glatzkopf, der noch ein ganzes Stück großer und kräftiger, war nach vorne. Sie fuhren an dem Einkaufswagen des Normalos und schließlich auch an den beiden Streithähnen vorbei und fingen an, ihre Waren aufs Laufband zu legen. Jetzt kam der Kassierer hinzu und wollte die Adressen der beiden Streithähne notieren. Der Normalo holte sofort seinen Ausweis raus, und der Kassierer nahm diesen mit an die Kasse. Der Glatzkopf gab dem Kassierer jedoch seinen Ausweis nicht und folglich wurde dessen Adresse auch nicht notiert. Der Normalo sollte jetzt auch seine Telefonnummer angeben. Er sagte,  

„Aber notieren sie die Adresse von dem bitte auch!"  

„Ja, das machen wir",  

rief der Kassierer zurück. Doch die zweite Adresse wurde immer noch nicht notiert. Der Normalo flüsterte dem Kassierer seine Telefonnummer zu und bat darum, die Daten auf keinen Fall an die beiden Männer mit kurzen Haaren weiterzugeben. Es hieß:  

„Nein, nein, das werden wir intern regeln."  

Eine Mitarbeiterin in der Arbeitskleidung dieser Einzelhandelskette ging jetzt mit seinem Ausweis ins Büro, kam nach einer Weile zurück, und der Normalo erhielt den Ausweis zurück. Derweil wurden die Waren, die das Pärchen auf das Kassenband gelegt hatte, per Scanner verbucht und sie bezahlten. Der Normalo räumte erst jetzt seine Waren auf das Laufband. Als er bezahlen sollte, und er seine Bank-Karte herausholte, sagte der Kassierer, dass an dieser Kasse keine Zahlung mit EC-Karte möglich sei. Der Normalo hatte alle seine Waren wieder einzupacken, er sollte sich jetzt an die freie Nachbarkasse stellen. Er fühlte sich dabei fast so wie ein Ladendieb. Eine Kassiererin kam und nahm die Waren auf, bis er schließlich mit seiner Karte bezahlen durfte. Es waren etwas mehr als 15 Euro. Jetzt nahm er den Einkaufswagen mit der Ware, fuhr zur Ablage am Fenster, um den Einkauf in zwei Tragetaschen zu verstauen. Er zitterte dabei am ganzen Körper, bekam regelrecht Gleichgewichtsstörungen und musste sich konzentrieren, mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu stehen. Er hatte Angst, dass er von den Kahlrasierten noch zur Rechenschaft gezogen werden könnte. Er verließ das Geschäft, stellte den Sechserträger Mineralwasser in den Metallkorb auf dem Gepäckträger, hängte die beiden Tragetaschen an den Lenker und wollte das Fahrradschloss aufschließen. Da sah er am anderen Ende des Parkplatzes den Glatzkopf von eben mit seinem Anhang an einem großen Geländewagen stehen. Sie hatten noch einen dritten Glatzkopf dabei und einen großen schwarzen Hund, den sie ein paar Meter auf dem Parkplatz laufen ließen und schließlich wieder zu sich pfiffen und auf die Ladefläche beorderten. Er vermied es, zu ihnen rüber zu sehen, denn er wollte nur schnell wieder weg hier und sich mit denen nicht ein zweites Mal anlegen. Er überlegte zwar, für den Fall der Fälle das Nummernschild zu notieren, doch er vermutete, dass der Streit danach gleich wieder losgegangen wäre. Also fuhr er ziemlich aufgebracht und verängstigt in Richtung seiner Wohnung. Er fuhr durch das kleine Industriegebiet zur großen Hauptstraße, bog rechts ein und brauchte jetzt nur noch geradeaus zu fahren. Als er an der großen Ampel ankam, waren es nur noch rund 300 Meter bis zu dem Wohnhaus. Doch an der großen Kreuzung am Westring stellte er fest, dass er einen Plattfuß am Hinterrad seines Fahrrades bekam. Er stieg vom Fahrrad und hatte immer noch das unterschwellige Gefühl, dass die Skinheads hinter ihm her sein könnten. Er schob das Fahrrad mit dem Einkauf weiter, bis er bemerkte, dass zwei Autos auf der Haltespur der Bushaltestelle standen, deren Beifahrerinnen beide zurück in seine Richtung schauten. In jedem der Autos saßen zwei ältere Ehepaare, die Scheiben an der Beifahrertür waren heruntergelassen. Eine Beifahrerin rief:

„Die verfolgen sie!"  

„Wer?"  

fragte er.  

„Die Leute aus dem Supermarkt",  

entgegnete der Fahrer, der sich in Richtung Seitenfenster rüber beugte, um ihn besser ansprechen zu können.  

„Die sind ihnen die ganze Zeit langsam gefolgt, die sind hier vorne in die Straße eingebogen. Das Kennzeichen ist PLÖ-BT-90."  

Es hieß weiter, die seien mehrmals kurz in die Seitenstraßen gefahren, haben ihn wieder verfolgt und seien schließlich in die Metzstraße eingebogen. Er bedankte sich bei den PKW-Insassen. Langsam bekam er es mit der Angst. Das erste Auto setzte sich in Bewegung. Jetzt rief auch eine Frau aus dem zweiten Auto:  

„Seien sie vorsichtig, die haben es auf sie abgesehen. Die haben sie die ganze Zeit verfolgt",  

sagte die Beifahrerin. Und der Fahrer rief,  

„Gehen sie besser erst einmal nicht nach Hause, die wollen sie wohl noch abfangen. Können sie hier nicht in der Nähe erst einmal spazieren gehen? Ist hier nicht ein Park in der Nähe?"

fragte der Fahrer.  

„Ja, da vorne ist gleich der Schrevenpark",  

entgegnete der Normalo.  

„Gehen sie dort hin, bis die wieder weg sind",  

rief der Fahrer. Der Normalo schob sein Fahrrad weiter, und das zweite Auto setzte sich ebenso wieder in Bewegung. An der nächsten kleinen Kreuzung überquerte er die Straße und sah fast 30 Meter weiter den Geländewagen stehen. Er wollte sofort die Straßenseite wechseln und fragte sich, ob er ungesehen ins Treppenhaus gelangen könnte. Plötzlich kam ein Skinhead auf ihn zu, glotzte ihn an und verfolgte ihn. Der Normalo wendete sich um 90 Grad, überquerte mit seinem Fahrrad und dem Einkauf die Straße. Der Typ ging ihm hinterher. Er schob sein Fahrrad über den Mittelstreifen, gelangte auf den Bürgersteig der gegenüberliegenden Straßenseite. Langsam geriet er in Panik. Der Skinhead mit seinem LONSDALE-T-Shirt und einem Kinnbart ging ihm weiter hinterher und forderte ihn mehrmals leise auf, stehen zu bleiben, so dass niemand anderes es hören konnte. Er sagte  

„Bleib stehen, ich will doch nur mit dir reden."   

Doch der Normalo traute ihm nicht über den Weg. Es waren ziemlich viele Passanten unterwegs, die diese kleine Verfolgungsjagd jedoch nicht zur Kenntnis nahmen. An der Kreuzung überquerte er die nächste Straße. Er stellte fest, dass es brenzlig werden könnte und blickte alle paar Sekunden nach hinten, um zu gewährleisten, dass der Skinhead weiter auf Distanz blieb. Er schob das Fahrrad schneller und geriet noch stärker in Panik. Er schaute jetzt genau dem Verkehr entgegen und bewegte sich in Richtung seines Wohnhauses. Er wollte den Verkehr überblicken, um möglichst schnell die Straßenseite zu wechseln. Gerade fuhr ein großer Laster vorbei, den wollte er noch abwarten. Dahinter war Spielraum zu den nächsten Autos, und er wagte es, das Fahrrad auf die Straße zu schieben, und wollte auf die andere Seite gelangen. Doch das ging nicht so schnell, da er sich nach wie vor umdrehen musste, um den Skinhead im Blick zu haben. Außerdem war das Rad ja schwer beladen. Der Skinhead stand noch am Straßenrand, als der Normalo bereits mitten auf der Straße stand. Er blieb jetzt mitten auf der Straße stehen, so dass die nahenden Autos abrupt bremsen musstenund sich stauten. Er machte das absichtlich, damit der Kahlrasierte von ihm endlich abließ, oder um einen Vorsprung zu gewinnen, während der Rechtsradikale am Straßenrand warten würde. Es wurde riskant: Wie mit einer Straßensperre blockierte der Normalo mit dem Fahrrad die linke Spur, während die Autos auf der rechten Spur vorbeifahren konnten. Doch das Auto, das auf sein quer gestelltes Fahrrad zielte, hupte und drängte langsam weiter nach vorne. Der Fahrer übte Druck mit der Stoßstange auf das Fahrrad aus, mit dem der Normalo sich schützte und die linke Spur weiter blockierte. Der Rechtsradikale schrie von hinten erneut:  

„Ich will mit dir doch nur sprechen!"  

Der Fahrer schrie aus dem heruntergelassenen Seitenfenster:

„Machen sie die Straße frei, sonst rufe ich die Polizei!"  

Jetzt sah er auf dem linken Oberarm des Fahrers ein staatliches Wappen mit dem roten Signet der Stadt. Er erreichte einen richtigen Panikzustand  und wusste nicht, ob er weiter die Straße überqueren sollte. Er sah aus dem Augenwinkel immer noch den Skinhead am Straßenrand grinsend stehen und warten. Er sah dem Fahrer fragend in die Augen, als wollte er ihm verdeutlichen,  

„Der ist hinter mir her."  

Jetzt schrei er zum Skinhead:  

„Lass mich in Ruhe!"  

und in Richtung des Fahrers:  

„Der ist hinter mir her",  

und zeigte mit dem ausgestreckten Arm auf den Verfolger. Doch der Fahrer schaute immer nur geradeaus und sah nicht nach rechts zum wartenden Skinhead. Aber er muss ihn sicher gesehen haben. Jetzt erkannte der Normalo die Aufschrift auf dem Wappen am Hemd des Autofahrers: Justizvollzugsanstalt. Und der Fahrer drängte weiter mit dem Auto nach vorne, sodass der Normalo Angst bekam, er könnte sein Fahrrad überfahren. Schließlich schob er das Rad weiter auf den Mittelstreifen und über die beiden Spuren der Fahrbahn in die andere Richtung. Zügig schob er das Rad bis zur nächsten Häuserecke, an der sich ein Elektroartikel-Geschäft befand. Er stellte das Fahrrad ohne abzuschließen gegen die Wand und flüchtete ins Geschäft. Der Skinhead kam so schnell nicht hinterher, denn er musste den aufgestauten Verkehrsstrom des Feierabendverkehrs abwarten. Im Elektroladen ging der Normalo sofort zum Verkaufstresen und sagte:  

„Da sind Rechtsradikale hinter mir her, kann ich bitte mal von hier aus die Polizei anrufen. Ich habe kein Handy dabei." 

Der Ladenbesitzer zeigte sich gleich betroffen, nahm das Funktelefon vom Tresen und überreichte es ihm. Er wusste nicht auf Anhieb, wie es zu bedienen war, ging ein Stück vor in Richtung Ladentür und sah den Mann mit dem kahl rasierten Kopf draußen vorbeigehen, ohne in den Laden zu schauen. Er ging ganz normal weiter, grinste dabei provozierend und wollte sich nichts anmerken lassen. Das war das Ende des Stalkings, das tödlich hätte enden können. Der Normalo trat auf den Bürgersteig und sah dem Widersacher hinterher. Jetzt fuhr wieder einer der Pkws mit den Kunden vorbei, die ihn zuvor an der Bushaltestelle gewarnt hatten. Der Fahrer rief ihm zu:  

„Die stehen dahinten in der Seitenstraße, die haben einen großen Hund dabei."  

Er nannte das Nummernschild noch einmal. Jetzt ging der Normalo wieder in den Laden zurück, nahm seinen Notizblock und notierte sowohl das Kennzeichen des SUV-Geländewagens, PLÖ-BT-90 als auch das des PKW-Fahrers, KI-BG-600, der ihn eben erneut gewarnt hatte. Er wählte schließlich die Polizei-Notrufnummer und hatte sofort einen Polizeibeamten am Apparat. Er schilderte ihm kurz und präzise die Ereignisse. Schließlich erwiderte der Beamte:  

„Da können wir leider nichts bei machen, da sie nicht zu Schaden gekommen sind."  

Der Ladeninhaber hörte die ganze Zeit zu, konnte jedoch nicht verstehen, was der Polizist am anderen Ende der Leitung sagte. Doch der Normalo blieb hartnäckig:  

„Die sind hinter mir her. Die haben mich verfolgt. Ich bin von Autofahrern gewarnt worden. Jetzt habe ich Angst, dass die mich vor meiner Haustür abfangen."  

Der Polizist blieb hart und wiederholte, dass seitens der Polizei kein Handlungsbedarf bestehe. Dennoch versuchte er den Polizisten dazu zu bewegen, sowohl seinen Namen als auch das Nummernschild des SUVs zu notieren. Als das Gespräch beendet war, wirkte der Normalo schon traumatisiert, und der freundliche Ladenbesitzer versuchte beruhigend auf ihn einzureden. Er gab ihm seine Hand und sagte:  

„Ich heiße Steffen.“         

Er blieb noch rund 20 Minuten im Laden, schaute immer wieder aufgeregt aus den Fenstern und der Tür genau an der Häuserecke. Jetzt fragte der Normalo, ob er seine Einkaufstaschen hier in dem Laden abstellen dürfe. Er würde sie morgen wieder abholen. Der Ladenbesitzer, ursprünglich aus Hagen, war sehr behilflich, gab ihm die Erlaubnis und bot auch an, das Fahrrad mit dem Plattfuß über Nacht im Nachbarhaus abzustellen. Der Normalo konnte und wollte sowieso noch nicht nach Hause. Er wollte den Rat des Autofahrers, der ihn gewarnt hatte, beherzigen und im nahen Park eine Weile spazieren gehen.  

Er stellte die beiden Einkaufstaschen auf eine Art Leinwand, die auf dem Boden lag, und bedachte nicht, dass sich darin noch eine Packung tiefgekühlter Spinat befand. Jetzt verließ er mit Ladenbesitzer Steffen das Geschäft. Steffen schloss kurz ab. Sie gingen zum Nachbarhaus, der Ladenbesitzer schloss die Tür auf, und der Normalo stellte das Fahrrad mit Plattfuß auf einen überdachten Hinterhof. Er bedankte sich noch mehrmals bei dem behilflichen Ex-Hagener und ging vorsichtig in Richtung Park, achtete dabei fortwährend auf alle Passanten und Autos, ob die aggressiven Typen vom Supermarkt doch wieder auftauchten. Er ging jetzt gut eine volle Stunde im Park spazieren, achtete darauf, ob sich plötzlich ein Skinhead nähern könnte. Er musste einen ziemlich konfusen Eindruck bei anderen Parkbesuchern erweckt haben, als würde er über eine sehr schwere Entscheidung nachdenken. Er ging sehr langsam, mied die Randbegrünung, starrte häufig niedergeschlagen auf den Boden, um plötzlich wieder panikartig aufzuschauen und die Umgebung zu überblicken. Schließlich wagte er sich nach Hause. Er ging wie paralysiert die Hauptstraße entlang, an der er wohnte, hatte seinen Haustürschlüssel schon in der Hand und schloss in Windeseile die Haustür auf. Er war heilfroh, als die Tür hinter ihm ins Sicherheitsschloss fiel. Es wurde eine unruhige Nacht. Und er hatte ein Grauen vor den nächsten Tagen. Am Folgetag, am Samstag, hörte er morgens wie gewohnt Radio. Er vernahm die Nachricht, dass die für den Nachmittag geplante NPD-Demonstration in der Innenstadt kurzfristig abgesagt sei. Als Begründung hieß es, dass sich 1600 Gegendemonstranten angesagt hätten, und die Polizei auch auf anderen Veranstaltungen gebunden sei. An diesem Tag fand sogar die Meisterfeier des THW-Kiel statt. Er war sehr erleichtert über die Absage, doch es blieb eine Restangst vor den aggressiven Skinheads vom Vortag. Bevor er am Morgen das Haus verließ, rasierte er sich seinen Bart ab, der auch auf dem Ausweisfoto zu sehen war. Er wollte somit die Möglichkeit verringern, von den Rechtsradikalen wiedererkannt zu werden. Er zog sich andere Kleidung als am Vortag an. Ihm war angst und bange, als er am späten Vormittag das Haus verließ, um den Einkauf vom Vortag und das Fahrrad beim Elektroladen abzuholen. Als er den Laden betrat, wurde er sogleich freundlich von dem Ex-Hagener begrüßt. Der bot ihm sogar einen Kaffee an. Als er schließlich die beiden Einkaufstaschen hochhob, bemerkte er eine kleine grüne Lache, die vom aufgetauten Spinat stammte. Es war ihm sehr peinlich, denn die für Dias vorgesehene Leinwand, die auf dem Boden lag, würde sicher einen kleinen Fleck beibehalten. Doch Steffen vertröstete ihn, dass er den Fleck sicher wieder weg bekäme. Sie waren erleichtert, dass die NPD-Demo kurzfristig abgesagt wurde und waren sich einig, dass solche Veranstaltung in der Öffentlichkeit nichts zu suchen haben. Der Normalo bedankte sich noch einmal für die Hilfe und wurde das Gefühl nicht los, dass er mit dem Ladenbesitzer einen Freund fürs Leben gefunden hatte. Steffen gestand ein, dass er von dem Vorfall am Vortag ganz schön geschafft sei. Es kratzte auch an seinen Nerven.

Doch die Angst blieb, dass die Glatzköpfe sich für die peinliche Situation im Supermarkt noch rächen könnten, denn der Normalo hatte ihnen gegenüber Zivilcourage bewiesen. Also nahm er sich vor, in Zukunft nicht mehr im besagten Supermarkt einzukaufen. Stattdessen besuchte er fortan ein fast doppelt so weit entferntes Geschäft derselben Ladenkette. Bald vermutete er sogar einen Zusammenhang zwischen der Absage der NPD-Demo und den aufgebrachten Zeugen der Verfolgungsjagd. Die Zeugen könnten durch Anrufe bei der Polizei oder wo auch immer für die Absage maßgeblich beigetragen haben.     

Und ihn begleitete in den nächsten Wochen weiterhin die Angst, dass dies Stalking ein Nachspiel haben könnte. Er hatte noch mehrmals das Gefühl, er würde beobachtet oder sogar verfolgt. Er verließ in den Folgetagen viel seltener das Haus, und hielt es für besser, zu Hause zu bleiben und zu lesen. Er wollte sich eventuell noch die Haare färben.   

 

 



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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (18.01.22, 14:18)
Recht spannend, muss aber unbedingt noch gekürzt werden.

P.S.:
 weitere ->  weiterer

 Manzanita meinte dazu am 19.01.22 um 11:03:
Finde ich nicht, weil die Spannung über den ganzen Text auferhalten wird.

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 19.01.22 um 12:18:
Ja, aber nur eben gerade so. Dichter machen heißt besser machen!

Interessant ist auch die ambivalente Figur des Erzählers.

 Manzanita (19.01.22, 11:07)
Aber dafür ist die Polizei ja nicht zuständig. Ich vestehe gar nicht, wo das Problem liegt...

 Koreapeitsche schrieb daraufhin am 19.01.22 um 11:19:
Manzanita, Du meinst die Textstelle, als versucht wird beo der Polizei anzurufen?

 Manzanita äußerte darauf am 19.01.22 um 11:21:
Ja, er schafft es ja auch, aber die Polizei scheint nicht auf seiner Seite.

 niemand ergänzte dazu am 19.01.22 um 11:31:
@ Koreapeitsche
Der Text hat für meine Begriffe einen zentralen Fehler und zwar dass die Verfolgte Person ein "Student" ist. Das drängt die Sache schon von vornherein in die Richtung dass Studenten von Nazis verfolgt werden etc. Warum nicht ein durchschnittlicher Normalo? Wäre ein solcher nicht dazu geeignet? Warum nicht ein Arbeiter, ein Azubi etc. Sind solche Menschen Nazi-Befürworter? In den Reihen der Ultra-Rechten gibt es genug Akademiker und es gibt genug so genannter Normalmenschen die keine Nazu-Befürworter sind. Was Du gut behandelst ist die Thematik der zunehmenden Gewalt, der Bereitschaft sich über alles hinweg zu setzen für eine politische Idiotie. Und die Duldung solcher politischen Idioten seitens der Gesellschaft. Ich verstehe persönlich nicht, wie nach einer solche Vergangenheit Ultra-Rechte hierzulande nicht nur geduldet werden, sondern auch noch Steuerzahler-Gelder für ihre Parteien bekommen. Das werde ich nie verstehen. Da kann mich auch keiner mit dem Begriff "Demokratie" davon überzeugen. Irgendwo hört es halt auf mit der Verharmlosung von Gewalt und Gewaltbereiten. LG niemand

Antwort geändert am 19.01.2022 um 18:32 Uhr

 Koreapeitsche meinte dazu am 19.01.22 um 11:32:
Gut erkannt. Den Anruf bei der Polizei musste ich unbedingt erwähnen. Dies Polizeiverhalten scheint typisch zu sein.

Antwort geändert am 19.01.2022 um 16:05 Uhr

 niemand meinte dazu am 19.01.22 um 11:34:
Pardon, mein Kommentar richtet sich natürlich an Koreapeitsche.
Ich habe irrtümlicherweise an Manzanita geschrieben.
Wahrscheinlich wegen dem Kommentar darüber. Pardon nochmal!

 Koreapeitsche meinte dazu am 19.01.22 um 16:07:
Moin Niemand, vielen Dank für die Anregung. Ich werde mir das mal durch den Kopf gehen lassen, ob es sinnvoll wäre, "Student" durch "Normalo" zu ersetzen.
PS: Den Adressaten kannst Du doch mit der Bearbeiten-Funktion noch mal korrigieren. ;)

Antwort geändert am 19.01.2022 um 16:19 Uhr

 niemand meinte dazu am 19.01.22 um 18:34:
Siehste, auf das Einfachste kommt man selten ;) Ich habs korrigiert
und danke! für den Tip.

 Koreapeitsche meinte dazu am 20.01.22 um 01:04:
Danke auch an Dich. Ich habe das Wort Student durch Normalo ersetzt und dabei gleich noch einmal den Text überarbeitet. Es wirkt jetzt viel flüsiger. ;)

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 25.01.22 um 09:42:
Ich finde die Bezeichnung zu despektierlich, der Erzähler wird dadurch auch gleich unsympathisch, parteiisch ist er sowieso schon sehr. 
Und auch hier gilt: Show, don't tell.

 Koreapeitsche meinte dazu am 25.01.22 um 15:05:
Das Prinzip "Show, don't tell!" auch bei einer Kurzgeschichte? Sollte da nicht eher das Kiss-Prinzip gelten? (Keep it short and simple !)
Du sagtest ja selbst häufig "stark kürzen".
;)
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