Interview mit dem Lenz. Antwort auf Graeculus: An den Frühling

Gedicht zum Thema Jahreszeiten

von  EkkehartMittelberg

Interview mit dem Lenz

Ansprache zum Thema Jahreszeiten

von  EkkehartMittelberg

Autor: Hallo Herr Lenz, Sie wehen mir gerade durchs offene Fenster hinein, wollen nur meine Sinne verwirren und gleich weiterfliegen, um ein neues Opfer zu betören. Hätten Sie nicht Lust, bei einer Tasse Kaffee für ein kleines Interview zu verweilen.
Lenz: Ein Kaffee könnte nicht schaden und neugierig bin ich auch. Also, was möchten Sie gerne wissen?
Autor: Sie werden doch seit Jahrtausenden immer wieder mit Frühlingsgedichten begrüßt. Da kann doch nichts Neues mehr dabei sein. Langweilt Sie das nicht?
Lenz: Ach , Ihr westlichen Autoren mit Eurem Novitätswahn. Natürlich bleibt ein Veilchen ein Veilchen, eine Lerche eine Lerche und Sehnsucht bleibt Sehnsucht. Im Sinne neuer Geschehnisse kann sich in Frühlingsgedichten also nicht viel ändern. Ich halte es mit dem antiken Kunstideal der Imitatio, also mit der gefälligen Abwandlung von überkommenen Gedichten.
Autor: Zugestanden, aber auch bei dieser Sichtweise wird es doch irgendwann monoton.
Lenz: Ich staune immer wieder über den Einfallsreichtum mancher Frühlingsdichter. Sie wissen natürlich um den Überdruss und machen ihn selbst zum Gegenstand witziger Gedichte.
Autor: Sie sind sehr nachsichtig, Herr Lenz.
Lenz: Ich bin Lebenskünstler, suche mir aus dem Überfluss das Schönste heraus und denke nicht daran, durch Krittelei meine Werbetexter zu verunsichern.
Autor: das Schönste? Haben sie Favoriten unter den Frühlingsdichtern?
Lenz: Da stellen Sie mir eine schwierige Frage, denn meine Stimmungen schwanken und sind auch der Mode unterworfen.
Autor: So wird es wohl jedem ergehen, aber gibt es für Sie einen „unverwüstlichen“ Klassiker?
Lenz: An Eduard Mörike geht kein Weg vorbei. Ich zitiere ihn, weil ich ihn jedes Jahr wieder hören mag.

Eduard Mörike
Er ist's
Frühling läßt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
– Horch, von fern ein leiser Harfenton
  Frühling, ja du bist's!
Dich hab' ich vernommen!

Autor: Ja, das ist wohl der Klassiker, Herr Lenz, wer könnte Ihnen widersprechen. Aber können Sie uns auch eines jener selteneren Gedichte zitieren, die den bekannten Überschwang der Gefühle durch Humor ersetzen
Lenz: Ja, Frank Wedekind, der Autor von „Frühlingserwachen“ verstand sich auf beides. Ich zitiere Ihnen ein weniger bekanntes Gedicht:

Frank Wedekind

Frühling

Ich war ein Kind von fünfzehn Jahren,
Ein reines unschuldsvolles Kind,
Als ich zum ersten Mal erfahren,
Wie süß der Liebe Freuden sind.

Er nahm mich um den Leib und lachte
Und flüsterte: O welch ein Glück!
Und dabei bog er sachte, sachte
Den Kopf mir auf das Pfühl zurück.

Seit jenem Tag lieb' ich sie alle,
Des Lebens schönster Lenz ist mein;
Und wenn ich keinem mehr gefalle,
Dann will ich gern begraben sein.

Sie Schlaumeier, ich sehe gerade auf ihrem Schreibtisch, dass Sie selbst versuchen, vom Frühlingspathos loszukommen. Dann zitieren wir das doch auch noch:

Vorfrühling

Krähen krächzen und verspotten
deine Frühlingssehnsucht.
Letzte frostverprellte Blätter
klammern sich noch immer
an den Rosenstrauch.
Aber du lässt dich
nicht beirren,
banale Beweise festzuhalten,
als könntest du
mit der Natur diskutieren.

Die Schneefelder am Berghang
werden Tag für Tag
kleiner.
Du siehst den zerzausten Rasen
und färbst ihn
mit jedem Blick grüner.
Im Windschutz der Sträucher
grinsen ein paar Winterlinge.
Die Luft ist still
und wartet
auf die Frühlingsstürme.
Du aber bist ungeduldig
und erträumst dir schon
Veilchen.

© Ekkehart Mittelberg, März 2013

Autor: Verraten Sie mir noch, welche Ihre Lieblingsblumen sind, Herr Lenz?
Lenz: Ein anderes Mal, mein Lieber, wenn die Veilchen blühen, wehe ich wieder bei Ihnen hinein. Doch jetzt habe ich mich mit dem Zephyr verabredet. Wir suchen nach der ersten Lerche, der wir einen warmen Aufwind bescheren möchten. Ich lasse Ihnen dies mal als Idee für Ihr nächstes Gedicht da.
Autor: Vielen Dank für das Interview, Herr Lenz. Verwirren Sie nicht zu viele Herzen, die Ihren Flügen nicht folgen können.

April 2018




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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (28.04.23, 16:02)
Da mußte sich der Lenz wohl verteidigen. Du hast diese Aufgabe auf Dich genommen und darfst seiner Dankbarkeit sicher sein.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.04.23 um 16:37:
Graeculus, du hast den Lenz tatsächlich in die Bredouille gebracht. Aber er ist zu klug und gelassen, als dass er seine Kehrseite verbergen wollte. Er möchte nur, dass ihm seine Tücken aufgrund seines Charmes verziehen werden.

 AZU20 (28.04.23, 17:00)
Das wollen wir hoffen, dass wir vom Lenz nicht verwirt werden. Gute Zusammenstellung, mein Lieber. LG

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 28.04.23 um 17:12:
Merci, Armin,
er ist ein Magier.
Aber vom Lenz verwirrt,
heißt von neuer Liebe berührt.

LG
Ekki

 Saira (28.04.23, 18:02)
Lieber Ekki,
 
über fast alles wurde schon x-mal geschrieben, natürlich auch über den Frühling. Und dennoch ist es immer wieder neu, wie individuell Menschen ihre Gedanken und Gefühle zu unterschiedlichen Themen in Worte fassen.
 
Wer gelangweilt ist, weil sich Assoziationen wiederholen, der hat vielleicht den Sinn für Lyrik verloren. Tatsächlich gibt es sehr einfache Gedichte, die nicht so sehr begeistern, aber oft bin ich überrascht, wie wundervoll manch Jahrhunderte altes Thema fast einzigartig in seiner Wortfindung gemalt scheint.
 
Dein Dialog mit dem Lenz offenbart die herrliche Vielfältigkeit von Gedichten. Mit Mörike, Wedekind und deinem Gedicht zum Vorfrühling hast du eine feine Auswahl getroffen, die Klassiker, Humor und Feinsinn zum Thema Frühling aufzeigen.
 
Gerne gelesen!
 
Liebe Grüße
Sigi

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 28.04.23 um 19:10:
liebe Sigi,
merci für diesen feinen Kommentar, den ich mir auf den Spiegel kleben werde.

Liebe Grüße
Ekki

 AchterZwerg (28.04.23, 19:39)
Lieber Ekki,
in diesem Jahr müpft Lenzo aber mächtig auf, hält sich an keine Regel und verweigert selbst den Bienen das Schwärmen. :(

Enttäuschte Grüße
Piccola (mit Schirm)

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 28.04.23 um 19:55:
Grazie, Piccola, das stimmt. Aber niemals grünte das Grün so grün.
Optimistische Grüße
Ekki

 Regina (29.04.23, 11:10)
Der Lenz bleibt kalt,
das macht ihn alt,
und auch die Veilchen kommen nicht,
wie du wohl meinst, einst im Gedicht.
Und wirft er Schnee und auch viel Eis,
das Klima, nicht Herr Goethe weiß,
es wird im Sommer viel zu heiß.

Kommentar geändert am 29.04.2023 um 11:10 Uhr

 AlmaMarieSchneider (30.04.23, 15:16)
Für mich ist der Frühling die schönste Jahreszeit.
Sie vertreibt alle Tristesse.
Dein Gedicht gefällt mir auch am Besten, mögen mich jetzt die Mörike- und Wedekind-Fans schlagen.

Herzlichst
Alma Marie
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