Bullen, Dealer, französische Vorstädte...

Erörterung zum Thema Ausbrechen

von  eiskimo

Olivier Norek gehört zu den meistgelesenen Krimi-Autoren Frankreichs. Er selber war achtzehn Jahre lang in Paris Saint-Denis,  einem der schwierigsten Départements Frankreichs, aktiver Polizist. Kein Zweifel: Er kennt das Terrain in diesen „rechtsfreien Vierteln“ wie kaum ein anderer, und seine „Polars“ sind nicht nur authentisch, sondern auch von bedrückender Aktualität.

In „Territoires“ (2020) bringt Norek den Ermittler der Mordkommission Sam zusammen mit einen Kronzeugen, den allein lebenden Rentner Jacques. Letzterer hatte viele Jahre lang der Drogenmafia des Viertels seine Wohnung als unauffälliges Depot überlassen, hat dann aber „ausgepackt“ und muss nun eiligst versteckt werden… bei Sam.

Ein höchst interessanter Dialog entwickelt sich.

Jacques: Schlimm, dass der Stoff diese Viertel kaputt macht.

Sam: Das kann man so sehen. Aber der Stoff hält sie auch am Leben. Und das ist einer der Gründe, warum der Staat die Drogen nicht straffrei macht.

Jacques: Hmm

Sam: Der Verkauf von Cannabis bringt einen beträchtlichen Teil der dort untergebrachten Bewohner in Lohn und Arbeit – Bewohner, mit denen man sonst kaum etwas anzufangen wüsste. Wenn man ihnen diesen Broterwerb wegnähme, dann müssten sie sich eine andere Einnahmequelle sichern: Wohnungseinbrüche, Prostitution, Entführungen…

Jacques: Und so ist das Dealen-Lassen das geringere Übel.

Sam: Das geringere Übel, aber auch eins ohne echten Ausweg ….

Es folgt in diesem Krimi – auch wieder sehr lebensnah – die Strategie der lokalen Bürgermeisterin, die ohne jegliche Skrupel mit der Drogenmafia zusammenarbeitet, um ja nicht in die Schlagzeilen der Presse zu geraten und bloß den Satus Quo (und ihren Posten) beizubehalten.

Auch wieder interessant, dass einer der Drogenbosse dieser Bürgermeisterin sinngemäß erklärt:

Wir funktionieren nur so abgeschottet und brutal, weil ihr uns bedroht. Und wir haben Angst. Jeder von uns träumt im Grunde von dem unbeschwerten Leben, das ihr Reichen in euren schönen Vierteln habt …




Anmerkung von eiskimo:

In Deutschland starten wir ja gerade das Experiment....

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Kommentare zu diesem Text


 Regina (19.08.23, 10:33)
Das ist aufschlussreich, aber nicht unbedingt neu. Wer schwarz arbeitet, so denken auch bei uns manche, macht wenigstens keinen anderen Unsinn und wer dealt, muss später nicht aus dem Rententopf bezahlt werden, und ja, nicht für jeden gibt es eine offizielle Arbeitsstelle.

 eiskimo meinte dazu am 19.08.23 um 10:50:
Es ist nicht neu, wahrscheinlich hat man sich auch ganz gut arrangiert. Hart ist es für die Polizisten, die da die Knochen hinhalten, wissend, dass sie nur als Alibi dienen.

 Quoth (19.08.23, 11:05)
Wenn in diesem Forum nur stehen dürfte, was neu ist, wäre es gähnend leer. 
Die soziale Stabilisierungskraft der Mafia ist es, die ihre stillschweigende Duldung durch staatliche Organe erklärt, auch wenn diese sie pro forma immer wieder mal ein bisschen bekämpfen. 
Territoires von Olivier Norek gibt es anscheinend bisher nur auf Französisch. All dies ist nie geschehen und Das versunkene Dorf dürften auch interessant sein.
Ob die Cannabis-Legalisierung bei uns die Einbrüche steigen lässt (weil die Dealer schließlich weiter leben wollen) - man wird sehen!

 eiskimo antwortete darauf am 19.08.23 um 15:40:
Du formulierst es klarer noch als meine Helden...
Solange der Stoff auf dem Schwarzmarkt leichter, billiger und unter Umgehung aller Kontrollen zu haben ist, wird er weiter florieren. Vielleicht geht es auch über zu den härteren Sachen....
Apropos Frankreich : Kennst Du vo  Luc Besson den Film B13 ?
Der zeigt das Thema noch einmal anders
VG
Eiskimo

 AchterZwerg (20.08.23, 07:24)
Genau!
Und wenn man den armen Auftragskillern die Arbeit wegnimmt, werden die am Ende noch Kunstfälscher!

 Verlo schrieb daraufhin am 31.08.23 um 15:42:
Danke, Achter, für die erheiternde Erkenntnis!

Ich kenne keinen anderen Zwerg: seid ihr alle so humorvoll?
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