Kinderdinge

Text

von  Mondscheinsonate

Weil ich den halben Meter Schnee sehe, da draußen in meinem Garten, so erinnere ich mich nicht, dass irgendjemand mit mir jemals einen Schneemann gebaut hätte oder mir gezeigt hätte wie man einen macht. Nein, in meiner Familie wurde sich nicht Kindern beschäftigt also damit sei kindergerechtes Spielen gemeint, was auch einen großen Lernfaktor hat. So sah ich mir andere Schneemänner, manche waren auch Frauen mit Schürzen umgebunden, und versuchte mich selbst, es blieb mir nichts anderes übrig, das Ergebnis waren zumeist  abstrakte Gebilde oder sahen aus wie Giacometti- Figuren (vielleicht liebe ich diese deswegen sehr). Nun, ich wusste nicht wie man eine schöne Kugel machen kann, Karotten hatten wir selten zuhause und ich hatte nur einen Schal, somit blieb es bei einer Andeutung. 

Ja, man ging mit uns Kindern zwar schwimmen, aber nur in die Lobau nackt baden, was mir schräg einfuhr, ich fand das ziemlich grauenhaft und entwickelte dadurch eine extreme Scham, setzte mich immer zusammengekauert auf mein Handtuch, fraglich wieso, ich war noch sehr klein, das blieb in der Erinnerung. Das Nacktbaden war nur für die Eltern, das machte ihnen Spaß und man gab mir eine Schwimmhilfe, ließ mich plantschen, das Schwimmen brachte mir keiner bei. Man maß dem keine Bedeutung zu. 

Brettspiele hatten wir viele, aber bis auf das erwähnte "Mensch ärgere dich nicht!" wurde mit mir nichts gespielt, seitdem mag ich Brettspiele, die mit mehreren zu spielen sind nicht, außer Schach, Dame und Mühle. 

Auch meine Zeichnungen wurden niemals beachtet oder sich hingesetzt, mir gezeigt wie man etwas besser machen könnte. Man kaufte immer nur alles und ich musste mit mir alleine spielen. 

Das Maschenbinden konnte ich nicht, woher denn, man kaufte mir lieber Schuhe mit Klettverschluss. 

Der Drang alles wissen zu wollen, der war aber stärker als die Ignoranz und so versuchte ich mich stets selbst an den Dingen. Nur einmal drehte die Mutter halb durch als ich das Radio aufschraubte, weil ich wissen wollte, woher die Stimmen kamen und abgesehen davon, dass das Gerät neu war, hing es währenddessen noch am Strom. Das ging nicht! Man wollte sich zwar mit Kindern nicht auseinandersetzen, jedoch lebendig mussten sie schon bleiben. 

So bin ich froh, dass meine Schwester sechs Jahre älter war und ist, ich lernte viel von ihr, durfte nie auf meinem Level sein, war stets auf ihrem Bildungsstand, konnte in der Volksschule bereits über die Römer und Griechen etwas sagen, aber tat mir schwer mit dem Stoff, den eigentlich ich lernen musste. 

Der Großvater setzte sich "erwachsen" mit mir auseinander, lehrte mir das Lesen mit seinen medizinischen Büchern, Kinderbücher griff er nicht an, niemals, so konnte ich zwar das Lesen, aber das Schreiben nicht, das war schwer, hielt den Bleistift nicht so wie man es sollte, das tue ich bis heute nicht, dadurch war die Schrift nicht so wie es gewünscht war. Die Masche brachte mir niemand bei, man nahm an, das Kind könne das sowieso, das war Elternpflicht, fiel aber auch nicht auf wegen der Klettverschlüsse, doch später war es mir zu blöd und ich fragte meine Schwester, die lehrte mir zu binden. Auch war sie es, die mich durch die Volksschule boxte, lernte sie mit mir täglich, den Eltern war das egal, die waren mit sich selbst beschäftigt. Man kaufte mir alles, auch viele Bücher, damit ich Plappermaul still wurde oder setzte mich vor den Fernseher. 

Das Klavierspielen bezahlte man mir schon, das war eine Prestigesache - "Unser Kind, das Genie!" Später, als die Mutter alleine war und das ganze Geld versoff, zahlte es R. oder E., sie tat jede Note als unwichtig ab. 

Im Gymnasium, in das ich nur durch Hysterie meiner Mutter kam, die mit dem Anwalt drohte, das war ihr schon wichtig, ihr Versagen zu kaschieren, erkannte man mein Zeichentalent und förderte es durch intensiven Technikunterricht. Die Professorin stand neben mir, lächelte, sagte: "Du hast Talent, du Rohdiamant!" 

Auch das Schachspielen brachte mir meine Schwester bei, ich ging dann in den Schachklub. So wurde Talent wieder durch Dritte gefördert und das Schwimmen auch durch die Schule. Es war so peinlich im Anfängerkurs zu sein, das mit zehn Jahren, wir waren nur zu zweit. 

Die Liste der Versäumnisse ist lang, aber es hatte auch Gutes, vielleicht nur zwei Dinge, das eine, ich lernte, sich mit sich selbst beschäftigen und Dinge alleine herausfinden durch probieren und das andere, nicht blind der blöckenden Masse zu folgen, sondern meinem eigenen Intellekt zu folgen. So war ich als junges Mädchen oft in Situationen, wo alle etwas taten, ich aber nicht gut fand, es nicht tat, was im nachhinein phantastisch war, denn diese Leute hatten im Notfall wirklich Halt, ich nicht. Und, mein großes Glück war, dass ich ab 12 eine "andere Familie" hatte und endlich kümmerte sich jemand um meine Bedürfnisse und ich sah, wie es geht, sich mit einer Familie auseinanderzusetzen, Regeln zu befolgen. 

Ich geh jetzt in den Garten und baue einen Schneemann, für mich.


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Kommentare zu diesem Text


 eiskimo (03.12.23, 13:49)
Eine Reise zurück in eine Zeit, in der Kinder einfach nur so mitliefen, durchaus auch lästig und teuer waren und sich Achtung noch erkämpfen mussten. Heute stehen sie fasst alle schon auf dem Podest, egal, ob sie es verdienen oder nicht...
Wieder ein packender Text vom Dir!
LG
Eiskimo

 Mondscheinsonate meinte dazu am 03.12.23 um 14:13:
Ja, so war das, leider.

 Verlo (03.12.23, 14:51)
Werden wir vom Schneemann ein Fotos sehen?

 Mondscheinsonate antwortete darauf am 03.12.23 um 14:55:
Haha, ich war drei Minuten draußen, dann war's mir zu kalt. War ja die Woche krank.

 Gabyi schrieb daraufhin am 03.12.23 um 15:23:
Kommt mir an manchen Stellen sehr bekannt vor. Kindesvernachlässigung zugunsten der Eltern.
Gern gelesen.

 Teichhüpfer äußerte darauf am 03.12.23 um 15:29:
Ich kenn das Gleiche in meiner Kindheit. Leider fällt da, die Schneeballschlacht aus.

 Mondscheinsonate ergänzte dazu am 03.12.23 um 15:32:
Alles nachholen, ihr beiden!

 Gabyi meinte dazu am 03.12.23 um 15:33:
Das war nur was für Kinder, die Erwachsenen waren sich zu schade dafür.

 Verlo meinte dazu am 03.12.23 um 17:19:
Kindesvernachlässigung 

Nicht zwangsläufig.

Mir hat niemand einen Schneemann gebaut. Den ersten hab ich mit einem Freund selbst gebaut. Als Jugendlicher.

Aber nicht für mich, sondern er hat mich gebeten, ihm zu helfen.

Ich fand das so öde wie zB Fußballspielen.
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