Unter den Kastanienbäumen

Text

von  Mondscheinsonate

... liegen die alten Gräber, von Hofmannsthal, dann gerade vor, alte Dichter, Maler, auch Politiker der Stadt, die Allee ist wunderbar, überhaupt wenn es warm ist, dann sehr schattig. 

Ich wandere oft durch und denke, ich bin in einer anderen Zeit, ich verliere mich dort in der verlorenen Zeit, lese die Namen wieder und immer wieder, carpe diem, Nütze die Zeit, auch "Hier ruhet.." - ja, es ruhet, der Herr Kommerzialrat mit Gattin und der Rittmeister von und zu mit der ganzen Familie. Es fehlt die Madeleine in meinen Fingern, aber nachher gibt es Nougattorte in der Kurkonditorei. Das Wort "Kur" ist wohl ein Wiener Humor, obwohl, es ist wirklich eine Kur, die kleine Wanderung. 

Eine Flucht aus der Gegenwart in die Vergangenheit, ein Eintauchen in das Bewusstsein, dass das Leben nicht endlos sein kann. 

Jetzt, wo der Frühling bald kommt, sind bereits Hyazinthen und Tulpen gepflanzt, ein Blumenmeer. Selbst die Gräfin hat eine längst vertrocknete Rose vor ihrer Gruft liegen. Der Wind war gnädig zu ihr, ließ sie liegen. Der Anblick ist pure Poesie: eine helle Gruft mit einer griechischen Statue, halb nackt, bedeckt mit einem Tuch an den intimen Stellen, alles aus weißem Stein, zu ihren Füßen die vertrocknete Rose. 

Oft bleibe ich stehen und bewundere den Anblick. 

Verwitterung breitete sich aus, Steine fielen um, Gruften öffneten sich, Holzbretter wurden behelfsmäßig darüber gelegt, Moos wucherte offene Stellen zu, Wurzeln schlagen durch, dazwischen neue Gräber, relativ, je nach Jahrzehnt und Mode, sei es im Bauhausstil, schlicht und schwarz, grau und grau-schwarz, man sieht richtig die schwarz umrandeten Brillen der noch zuvor Lebenden, die SW- Fernseher, alles grau. Dann ein Wandel, braune Steine, die 70', fast orange prangen sie unter den Bäumen aus der Erde hervor. Später werden sie wieder weiß, schneeweiß, wie damals. Aber, es ergibt ein stimmiges Bild. Ein Bild der Zeit. 

Dort, wo ich dann sitze, am Rand der Gruft, wird nicht gemäht. Letztens war auf dem längst verfallenen Grab daneben eine frische Kerze, das freute mich, die Angehörigen sind seit mehr als 90 Jahren tot. Vielleicht hat sich jemand erbarmt. Das fand ich reizend.


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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (10.02.24, 07:20)
Schon haben wir wieder etwas gemeinsam (jenseits der Favorisierung bestimmter Schriftsteller), die Liebe zum Jenseitigen an sich.
In Frankfurt haben wir den Hauptfriedhof. Dort ruhen die Herren Adorno und Abendroth, Reich-Ranicki und länger schon Herr Schopenhauer ...
Komme ich durch das Tor, tritt sofort Stille ein, dieses unvergleichliche angenehme Schweigen in dieser Oase des vergänglichen Schönen ...

 Mondscheinsonate meinte dazu am 10.02.24 um 11:23:
Oh, da muss ich mal hin😍
Ja, ich liebe es unendlich, es ist so friedlich. Dort schalte ich wirklich ab!!

Antwort geändert am 10.02.2024 um 11:25 Uhr
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