Ab- und Untergang

Sonett zum Thema Abgrund

von  Isaban

Der Abschied naht, das stille, blaue Dämmern,
das sich wie Staub auf die Konturen legt,
der dicker wird und sich nicht mehr bewegt.
Ins Atmen nistet sich ein sanftes Hämmern,
ein mildes Stechen. Schmerzlich unerregt
tauchst du in dieses laue Weiterschwimmen,
tauchst tiefer in die kopfinternen Stimmen;
der Rest der Welt ist glatt und abgeschrägt

und eigentlich willst du dich halten,
weißt nur nicht mehr genau, woran und wann.
Wie gerne ließest du dich jetzt verwalten,
nur kennst du keinen, der das will und kann.
So hängst du da, verbogen und gespalten,
die Zeit kommt und löst deine

Hände dann.

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (24.04.13)
Die intensiven Bilder sind stimmig. LG

 Isaban meinte dazu am 25.04.13:
Vielen Dank, Armin!
LG Sabine

 Lluviagata (24.04.13)
Was soll ich sagen, Sabine, außer dass dieses Gedicht eine Saite in mir anrührt und zum Schwingen bringt. Erinnerung, Identifikation, bekannte und auch nie gesehene Bilder, die ich zu kennen vermeine.

Mir fehlen oft die richtigen Worte, ein Gedicht der gewollten Aussage des Verfassers gemäß zu interpretieren. Lieber lasse ich meine Gefühle entscheiden.

Liebe Grüße
Llu ♥
(Kommentar korrigiert am 24.04.2013)

 Isaban antwortete darauf am 25.04.13:
Es freut mich sehr, dass dich der Text zu berühren vermochte, liebe Llu. Hab vielen Dank für deine Rückmeldung.
Herzlichze Grüße

Sabine

 Irma (24.04.13)
Das Nahen der Nacht, das Fühlen des nahenden Todes. Der Untergang der Sonne, der Abgang von der Bühne des Lebens. Das Einsetzen der Dämmerung und das Hineinfallen in diesen Dämmerzustand zwischen Leben und Tod. Fallen! Sich fallen lassen (können). Du verknüpfst das bekannte Todesbild hier mit dem Bild eines Bergsteigers. Zumindest hatte ich (und zwar nicht nur wegen der Einordnung unter „Abgrund“) unwillkürlich dieses Video von Rammstein zu „Ohne dich“ vor Augen, wo es um einen verunglückten Bergsteiger geht, der von seinen Kameraden noch bis zum Gipfel mit hinaufgetragen wird, wo er dann stirbt.

Hier entstehen die „Konturen“ eines Bergmassivs vor meinem inneren Auge, das „Hämmern“ und „Stechen“ der Werkzeuge wird hörbar und fühlbar, die steile Bergwand („glatt und abgeschrägt“), die ein Festhalten unmöglich macht. Wobei die Leerzeile zwischen den beiden Strophen zu einer großen unüberwindlichen Spalte wird. Da gibt es keinen Felsvorsprung mehr, an den man sich klammern könnte. Die unreine Reimführung von Dämmern - Hämmern hin zu Weiterschwimmen - Stimmen hat das lyrische Ich bereits hinter sich gelassen. Von nun an ist „der Rest der Welt“ nur noch „glatt und abgeschrägt“ (Komma fehlt?), es folgen ausschließlich reine, glatte Reime. So „hängt“ das lyrische Ich weiter in den Seilen, innerlich zerrissen, handlungsunfähig. Es gibt niemanden, der es rettend nach oben zieht. Es gibt niemanden, der das Seil kappt.

Und doch ist da das Wissen, dass man sich (im Berg) nicht ewig selbst halten kann. Der eigene Lebenserhaltungstrieb („und eigentlich willst du dich halten“) wird irgendwann nachlassen. Ein Haltepunkt fehlt (so wie die fünfte Hebung in diesem Vers). Wenn die Kräfte nachlassen, werden sich auch die Hände mit der Zeit lösen (bis sie im letzten Vers allein und völlig losgelöst nach der Leerzeile stehen). Dass Du hier die Betonung auf „Zeit“ gelegt hast, während die beiden Verben „kommt“ und „löst“ in eine Senkung fallen, versinnbildlicht gut dieses behutsame Loslassen und Hinübergleiten in den Tod.

Was für mich irgendwie ein wenig störend in diesem Bergsteiger-Bild ist, sind die Verse 6 und 7. Das Tauchen und Schwimmen gefällt mir reimmäßig zum Hämmern und Dämmern sehr gut, und natürlich verdeutlicht es auch diesen Rückzug ins Innere. Vielleicht hast Du diesen Bruch hin zur Wasserwelt ja auch bewusst an dieser Stelle verwendet. Für mich kommt dieses Bild jedoch zu plötzlich und zu wenig fortgeführt. Mir würde etwas mit „klimmen“ bzw. „erklimmen“ stimmiger erscheinen. Ansonsten ein wunderschönes Gedicht, in das ich mich gerne fallen gelassen habe. Und von dem es mir schwerfällt, nun endlich die Hände zu lösen … Liebe Grüße, BirmchenIrmchen

P. S. Ach ja, noch eine Stelle: Das reflexive "der" zu Beginn des 3. Verses irritiert mich etwas beim Lesen, weil es sich ja nicht auf das vorhergehende "Konturen", sondern auf den "Staub" bezieht.
(Kommentar korrigiert am 24.04.2013)
janna (66) schrieb daraufhin am 24.04.13:
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 Isaban äußerte darauf am 25.04.13:
Eine tolle Interpretation, liebes Irmchen!
Es freut mich sehr, dass du auch auf die stilistischen Mittel eingehen mochtest - und ebenso freut es mich, dass anscheinend all das, was dir an Stilmitteln ins Auge gefallen ist, so rüberkommt, wie ich es erhofft hatte.

Zum Berg: Auf jedenfall auch ein tolles Bild! Ich wählte hier das Schwimmen zwischen steilen Ufern, weil es auch das Tauchen und das passive Treibenlassen beinhaltet. Es geht also noch ein bisschen weiter, wenn man sich schon nicht mehr aktiv fortbewegen kann, man kann sich treiben lassen, man kann sich zur Not noch eine Zeitlang an das Ufer(Rest der Welt, wenn man in einem Fluss schwimmt) klammern, auch wenn es auf der im Text beschriebenen Wegstrecke anscheinend glatt und steil ist, so dass man sich vermutlich nicht mehr lang anklammern kann, einfach nur festklammern, solange wie möglich, damit man nicht gleich untergeht, einfach noch einmal Atem schöpfen,noch einmal Luft holen, sich umschauen, Abschied nehmen, bevor man ganz und gar dem "großen Fluss" anheimgegeben wird. Hier bleibt meiner Meinung nach die Möglichkeit, den Text auch eiunfach nur als Abschied von einem geliebten Menschen, von Daheim, aus der Familie, von einem langgehegten Wunsch, von seinem Träumen, aus einer gerne gelebten Lebenssituation etc. zu interpretieren, bei der das Leben danach zwar anders, aber immer noch "irgendwie" Leben ist, beim Bergsteigen fiele es mir schwer - da ist kein Fluss, der einen weiterträgt, der einen mit sich zieht, auch wenn man "sich hängen lässt", beim Bergsteigen ist es nach dem Loslassen ganz zu Ende - so bebildert sich für mich nur der Tod. Abschied beinhaltet immer einen kleinen Tod. Hier wollte ich beide Möglichkeiten offen lassen, den kleinen und den großen. Bergsteigen, erklimmen, kraxeln - das ist alles aktiv, anstrengend und wenn man abstürzt, hat man Glück, wenn man sich irgendwo festkrallen kann. Aber wirklich weit liegen die Bilder nicht auseinander, das Festkrallen, das ängstliche, verzweifelte Nichtloslassenwollen, das zum Abschied gehört, die Furcht vor dem Bruch im Lebensabschnitt, im Leben, das Wichtigste also haben beide gemein.
Ich danke dir sehr, dass du dir die Zeit genommen und dich so intensiv mit meinem Text beschäftigt hast und es freut mich sehr, dass du eine Interpretation gefunden hast, die mir zeigt, wie intensiv sich die "Abschiedsbilder" in den Kopf setzen konnten.
Herzlichen Dank. Deine Rückmeldung war mir eine Freude.

Liebe Grüße
Sabine

 TassoTuwas (25.04.13)
Geballte Wortwucht. Großartig!!!
Liebe Grüße TT

 Isaban ergänzte dazu am 27.04.13:
Herzlichen Dank, Tasso!

Liebe Grüße

Sabine

 blauefrau (08.05.13)
Depression oder Tod, lese ich heraus.

Stimmen von außen dringen nicht mehr durch, nur die im Inneren, im Kopf werden gehört und sind einzig existent.

Ein Sich - Ergeben zieht der Zustand nach sich.

So schrecklich und erschlagend, dass ich hier am liebsten nicht gelesen hätte.

Grüße blauefrau
(Kommentar korrigiert am 08.05.2013)

 Isaban meinte dazu am 09.05.13:
Verzeihung.

 blauefrau meinte dazu am 09.05.13:
Warum ? Es ist ja gut geschrieben. BF

 Isaban meinte dazu am 09.05.13:
Weil du es am liebsten nicht gelesen hättest.

Liebe Grüße

Sabine

 Sanchina (08.05.13)
absolut großartig! Lb Gruß, Barbara

 Isaban meinte dazu am 09.05.13:
Herzlichen Dank und liebe Grüße

Sabine
gaby.merci (61)
(17.05.13)
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 Isaban meinte dazu am 18.05.13:
Vielen Dank!

Liebe Grüße

Sabine
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