Stoischer Gleichmut

Glosse zum Thema Ruhe/ ruhelos

von  loslosch

Honores iniuriaeque vulgi in promiscuo habendae: nec his dolendum nec illis gaudendum (Seneca der Ältere, ~54 v. Chr. bis 39 n. Chr.; De constantia sapientis). Ehrungen und Kränkungen der Masse sind unterschiedslos hinzunehmen. Erstere dürfen einen nicht erfreuen, letztere nicht betrüben.

In der wohlklingenden Sentenz des Rhetorikers, auch Seneca Rhetor genannt, werden Gleichmut und Seelenruhe in Worte gefasst. Wer dieses philosophische Lebensprinzip predigt, kann leicht in Abgehobenheit, Kritikunfähigkeit und Weltferne abdriften. Bei manchen Politikern der Gegenwart ist die zur Schau gestellte stoische Ruhe jedoch versteckter Ausdruck von Gerissenheit, Gier und Charakterschwäche. Vor allem dann, wenn ein Amtsträger alle legitimen wie taktischen Mittel einsetzt, nur um an seinem Sessel zu kleben.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (17.07.13)
Na, das Seneca, der alte Oberschichtianer, von der Masse, der Plebs nicht viel hält, ist ja nicht überraschend. Dem Satz "wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen" hätte er bestimmt zugestimmt und hätte wie die 'Produzentin' dieses Beispiel von oberschichtianischer Verblendung wohl kaum verstanden, warum sich darüber jemand aufregt. Es hieß ja auch nicht umsonst SPQR und nicht PSQR.

Und ob Ehrungen von Seiten der ränkeschmiedenden, gerne auch mal mordenden Senatorenschicht bzw. der 'alten' Familien sehr viel mehr wert wahr, nun, ich glaube, der gute Kichererbse hätte da so seine Meinung zu gehabt. Frei nach dem Motto: "Der Fischkopf stinkt auch ohne Schwanz."

 loslosch meinte dazu am 17.07.13:
verdichteter kommi! kennst du den schon? lachender papst.

 Dieter Wal (17.07.13)
"predigt, kann leicht in Abgehobenheit, Kritikunfähigkeit und Weltferne abdriften. Bei manchen Politikern der Gegenwart ist die zur Schau gestellte stoische Ruhe jedoch versteckter Ausdruck von Gerissenheit, Gier und Charakterschwäche. Vor allem dann, wenn ein Amtsträger alle legitimen wie taktischen Mittel einsetzt, nur um an seinem Sessel zu kleben."

Seneca predigte meines Wissens nicht. Dein Schwenk in die Politik liest sich im Vergleich mit Seneca unangemessen stammtischnah und vorurteilsbehaftet. Eine Typologie DES Politikers schlechthin kann doch nur Mumpitz werden. Die Seneca-Sentenz aber find ich schön und dein Thema ebenso. Nur die Ausarbeitung würde ich an deiner Stelle neu formulieren.

 niemand antwortete darauf am 17.07.13:
@ Dieter
Lothar schreibt ausdrücklich "bei manchen Politikern"
er meint also nicht den Politiker schlechthin. Und was er sagt, trifft bei manchem der Politiker sicher voll zu.
Ich bin sogar überzeugt, dass es nicht wenige sind, auf die das Gesagte passt. LG niemand
(Antwort korrigiert am 17.07.2013)

 loslosch schrieb daraufhin am 17.07.13:
die verquickung der themen (stoischer gleichmut/ gespielter gleichmut) scheint sogar naheliegend. ob der vater von seneca junior stoiker oder epikuräer war, konnte ich nicht herausfinden. auch zu letzterem passt die ἀταραξία, ataraxía. "Sie bezeichnet als seelischen Zustand die Affektlosigkeit und die emotionale Gelassenheit gegenüber Schicksalsschlägen und ähnlichen Außeneinwirkungen, die das Glück des Weisen (Eudaimonie) gefährden." (wiki.) der ausgebuffte polit-profi hat das drauf.

 Dieter Wal äußerte darauf am 19.07.13:
@ niemand: Er schrieb vorsichtshalber "manchen". Stimmt schon. Ertappe mich auch immer wieder bei Stammtischparolen, wenn es um Politiker geht. Aber darum ging es nicht, sondern um diesen Text. Daher hab ich loslosch meinen Leseeindruck mitgeteilt. Erst jetzt sehe ich, hab spät nächtlich kommentiert und völlig falsch gelesen allein was den Sinn von predigen im Text anbelangt.
(Antwort korrigiert am 19.07.2013)
Graeculus (69)
(17.07.13)
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 loslosch ergänzte dazu am 17.07.13:
vermutlich benutzt er "vulgus" nur, um die schwankende öff. meinung zu verdeutlichen. papa seneca dürfte hauptamtlich stoiker gewesen sein. zur demokratie hatten beide seneca ein distanziertes verhältnis. der senior hat von spanien aus früh die karriere des sohnes in rom als nero-erzieher lanciert. nichts genaues weiß man nicht.

 Dieter Wal meinte dazu am 19.07.13:
Ihr kennt bestimmt den "Sponti"-Spruch der 80er: "Esst Scheiße! 100 000 Fliegen können sich nicht irren." Der schlägt in dieselbe Kerbe. Was eine Mehrheit für vorbildlich hält, muss nicht zwingend für Einzelne gelten. Die Sentenz Papa Senecas ist elitär und stoisch. Dass auch sein Filius seinem Vater derart ähnliche Gedanken in Dramen und Lehrbirefen entwickelte, ist ein Gewinn für seine Leser. Ich zumindest hab Seneca jun. zweisprachig bei Reclam, die orangen Minitaschenbücher in Fortsetzungen, verschlungen und diese Lektüren gehören neben Epikur selbst zu meinen besten Leseerfahrungen. Nur hat Sen. jun. eher nicht gelebt, was er schrieb. Er blieb verhältnismäßig wohlhabend und lebte keinesfalls asketisch.
(Antwort korrigiert am 19.07.2013)

 loslosch meinte dazu am 19.07.13:
er hat vor seinem rückzug ganz und gar nicht sein programm vorgelebt. war zeitweilig der reichste in rom. alles geschenke von nero. meine vermutung - nirgends belege: seine moralepisteln sollten nero beeinflussen. der hat sich wohl aus den rollen vorlesen lassen. so sind diese episteln auch ein kampf ums überleben, platt gesagt.

 EkkehartMittelberg (17.07.13)
Ich finde es angemessen, dass du das Zitat Senecas kritisch auf Politiker der Gegenwart beziehst.
Auf der anderen Seite kann man Senecas Rat auch heute noch ehrenwerten Menschen anempfehlen, die vorschnellen Schmähungen einer wetterwendischen Journaille ausgesetzt sind.

 loslosch meinte dazu am 17.07.13:
vor allem sprachlich fand ich die sentenz sehr ansprechend. die journaille tritt heute in der tat in die fußstapfen des vulgus.
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