Verrücken (oder: Myrna wohnt hier nicht mehr)

Gedicht zum Thema Alter

von  Isaban

Da liegt ein Kerl mit Messer unterm Bett.
Du fluchst so viel und redest im Duett;
die Frau, die antwortet, ist nicht sehr nett.
Die Nachbarn grinsen höhnisch, wenn du winkst.
Sie schauen komisch, so, als ob du stinkst,
sie starren regelrecht. Vielleicht auch nicht.
Du weißt es nicht, weil dir dein Standbein bricht.
Wer hat dein Auto heimlich umgeparkt
und wo, verdammt, ist jetzt der Supermarkt?
Die Putzfrau streicht dir Gift aufs Butterbrot.
Wie war das noch, geht man bei Grün, bei Rot?
Dein Mann ist schon seit sieben Jahren tot.
Du putzt seit Wochen täglich seine Schuh.
Das Weib im Spiegel, nein, das bist nicht du.
Du suchst und wanderst, findest keine Ruh,
versteckst den Ehering und irgendwie
schläfst du zu wenig, eigentlich fast nie;
da liegt ein Kerl mit Messer unterm Bett.
Auf deine Kosten frisst sich jemand fett,
der nimmt dir jede Nacht die Börse weg.
Du kennst die nicht, die deine Schuhe trägt,
sie hat sich aus dem Hier und Jetzt bewegt;
du suchst und wanderst, findest keine Ruh
und irgendwer schließt deine Tage zu.

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Kommentare zu diesem Text

P. Rofan (44)
(16.03.14)
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 Isaban meinte dazu am 16.03.14:
Ah - und du siehst da Zusammenhänge? Wie geht es dir dabei?
Fabi (50)
(16.03.14)
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Fabi (50) antwortete darauf am 16.03.14:
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Anne (56)
(16.03.14)
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janna (66)
(16.03.14)
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 Lluviagata (16.03.14)
Herzzerreißend realistisch, Sabine!

Gelungen!

Liebe Grüße
Llu ♥

 AZU20 (16.03.14)
Flotte Verse, aber sehr bedrückend. Ein Gegesatz, der gefangen nimmt. LG
gaby.merci (61)
(16.03.14)
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 niemand (16.03.14)
Beim Lesen steht vor meinem geistigen Auge eine alte Frau aus meiner Umgebung und irgendwie passt dieser Text zu dieser, obwohl ich sie nur vom Sehen kenne, könnte all dies aus dem Gedicht auf sie zutreffen. Dies sich nicht zurecht finden, diese zeitweilige Wunderlichkeit, dieses Misstrauen in ihrem Gesicht etc. Ich kriege diese alte Frau
und Dein Gedicht nicht auseinander - sie kleben zusammen,
sind eine Einheit irgendwie. Und das mit dem Stinken, stimmt bei ihr tatsächlich (beim Bäcker, wo wir beide schon mal einen Imbiss nehmen, hat man sich schon bei mir beklagt und mich gefragt, was man, ohne beleidigend zu sein, tun könnte). Ich wirke äußerlich immer so gutmütig-dämlich und mich fragt man so etwas immer (als ob ich Mutter Teresa wäre .. *g* ...) das scheint mein Elend zu sein. Mit herzlichen Grüßen, Irene

 EkkehartMittelberg (16.03.14)
Ein formal sehr gut gestaltetes Gedicht. Man registriert das vielleicht weniger, weil die spannende inhaltliche Frage alles überlagert, warum einige alte Menschen so misstrauisch sich selbst und anderen gegenüber werden. Mir scheint, dass sie schon immer so gewesen sind, aber sie haben dem Misstrauen nichts mehr entgegenzusetzen, wenn im Alter die geistige und seelische Spannkraft nachlässt.
Nur ein Mensch, der sie ständig mit Liebe begleitet, könnte ihnen helfen, die Contenance zu bewahren.
LG
Ekki

 monalisa (17.03.14)
Liebe Sabine, ich finde es geradezu verblüffend, wie du in diesem Gedicht, das allte Vorurteil widerlegst, Paar- und Haufenreime wären nur was für die komisch-humoreske Abteilung. Gerade durch die Reime bildet sich das Ineinandergleiten und Verwischen, die Verwirrung sehr schön ab. Die LeserIn wird so mit hineingezogen in den Strudel, in dem sich die Protagonistin zurechtzufinden versucht und atemlos all dem hinterherhinkt, das da ständig auf sie zukommt und an ihr vorbeirauscht. Kein Wunder, dass sie misstrauisch ist, wenn sie nicht einmal mehr ihren eigenen Wahrnehmungen, ihren Erinnerungen, Erfahrungen trauen kann.

Du sprichst sie mit DU an, also schreibst schon aus einer Sicht von außerhalb, von jemandem Nahestehenden, der ein überaus guter Beobachter und mit großem Einfühlungsvermögen ausgestattet ist. Oder, viel wahrscheinnlicher, ein Selbsgespräch, das auch so ein bisschen die Entfremdung vom eigenen ICH abbildet. In mir entsteht beim Lesen, der subjektive Eindruck, ich würde direkt in 'ihren Schuhen' stecken und ein Stück mitgehen und die Auflösung ihrer Welt, das allmähliche Verlieren jeden Haltes am eigenen Leib erfahren. Sehr beängstigend! Das Damokleschwert der Demenz, das sich auch in paranoiden Verfolgungsängsten zeigt, das irgendwie über uns allen hängt, je höher, das Lebensalter wird.

Ein sehr drückend-bedrückendes und leider auch aktuelles Gedicht!
Liebe Grüße,
mona
(Kommentar korrigiert am 17.03.2014)
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