Der langsame Abschied von Mama (II)

Bericht zum Thema Mutter/Mütter

von  eiskimo

Es dauerte Monate, bis Mama sich im  Heim halbwegs eingelebt hatte,
Dann konnten wir auch wieder mal in Urlaub fahren.  Ja, Urlaub!
Wir reisten in der Familie sehr gerne, wir reisten oft und  weit, alle.
Keiner von uns hatte je Heimweh gehabt  – jetzt existierte das Wort;
wir hatten es stets wie ein Mühlstein  im Gepäck – diese neue Art Heim-Weh!
Wir richteten es ein, dass immer einer der vier Geschwister vor Ort blieb,
also die Besuchsroutine nicht unterbrochen wurde, nicht länger jedenfalls.
Wir engagierten auch eine Frau, die regelmäßig Mama besuchen ging.
Auch in der Woche. Und vor allem, wenn wir in Ferien waren.
Mama sagten wir, diese Frau käme zum Putzen und Aufräumen.
Aber Frau Engler sollte natürlich in erster Linie für Abwechslung sorgen.
Sie sollte unsere Mutter  aufmuntern und ihr einfach Gesellschaft leisten.
Dass Frau Engler sehr fromm war, nahmen wir dabei gerne in Kauf.
Sie führte Mama regelmäßig in die Kapelle des Heimes. Zum Beten.
Sie brachte zwei Ikonen mit, die neben dem Fernseher ihren Platz fanden.
Sie lud auch den Pfarrer ein, unsere Mutter des Öfteren zu besuchen.
Mama tat das gut. Uns allen tat das gut. So gesehen war Frau Engler ein Engel.
Natürlich blieben wir unserer Mutter auch weiter liebevoll verbunden.
Wir machten unsere Besuche, rissen uns los aus unserer Wochenend-Hektik.
Wir tauchten willig ein in dieses Zeitlupen-Leben des Heimes . Ein Endlos-Film.
Ein Film wie von gestern. Schon bei Betreten des Heims. Die Raucher am Eingang.
Die Frauen im Rollstuhl.  Der Verwirrte mit dem Rollator, der jeden ansprach.
Einfacher war es anzurufen. Anfangs durfte das auch mal spät abends sein.
Aber mit der Zeit endete der Tag im Heim immer früher. Nach Acht war Nacht.
Die Anrufe waren stereotyp. Es ging ums  Essen, das Wetter, das Fernsehprogramm.
Wir erzählten , was es in der Nachbarschaft Neues gab. Wir bestellten Grüße.
Wir berichteten  Nettes von den Kindern, wir munterten mit launigen Sprüchen auf.
Mama stellte kaum mehr Fragen, aber sie freute sich, mochte unsere Stimmen hören.
Wir merkten: Ihr Gedächtnis ließ nach. Namen waren weg, sie wiederholte sich.
Wir riefen öfter Frau Engler an. Von ihr erfuhren wir, wie die Lage wirklich war.
Sie war das Scharnier zwischen versiegender Heim-Welt und unserem Turbo-Alltag.
Das Heim meldete sich nie bei uns, und wenn, dann amtlich, Finanzielles, per Post.
Die Pflegerinnen und Pfleger wechselten oft – eine feste Bezugsperson gab es nicht.
Mama ertrug das geduldig. Kein Aufbegehren. Eher ein stummes Sich Abfinden.

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Kommentare zu diesem Text

Stelzie (55)
(25.03.19)
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Trainee (71) meinte dazu am 25.03.19:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 eiskimo antwortete darauf am 25.03.19:
Die Form spiegelt den Inhalt, diese fürsorgliche Kaserniertheit.Ich will auch die Entschleunigung des Lebens, das langsame und In-Kleinen-Schritten-Durch-Den-Tag-Leben spürbar machen; nicht zuletzt auch die Abstände, die sich da auftaten durch den lückenhaften Besuchsrhythmus.
Das Flotte, Leichtfüßige und Abwechslungsreiche - das war dort einfach passé.
Vor diesem Hintergrund: Quält Euch ruhig ein bisschen....
lG
Eiskimo

 Dieter_Rotmund (25.03.19)
Mir persönlich ist der Abschluss zu wertend, wir Leser sind nicht doof und können unsere eigenen Schlüsse ziehen. Ansonsten gerne gelesen, aber wozu die (angedeutete) Versform? Das ist 'ne lästige kV-Unsitte.

 eiskimo schrieb daraufhin am 25.03.19:
Hallo, Dieter
Danke für Dein Interesse an diesem Text und die Empfehlung. Ich habe versucht, das Ende neutraler zu formulieren.
Zur "Versform": Siehe meine Replik auf Stelzie und Trainee
vG
eiskimo
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