Serum

"Ein Medikament gegen den Tod gehört nicht zu unserem Handwerk", brummte Luzifer, "alles, was entsteht, macht sich alsbald daran, sich wieder aufzulösen. Hast du das nicht beobachtet? Allenfalls der Nazarener...….aber lassen wir ihn beiseite." Der Forscher raufte sich die Haare. Er wollte die Leichenberge nicht mehr sehen. "Ein Serum hätte ich noch", gab sein Ideengeber schließlich nach, "ein prekäres. Wenn du meinst, dass du das Blut folgenlos reagieren lassen kannst, hast du dich getäuscht. Nicht in allen Fällen wirst du Patientenzufriedenheit erreichen. Da gibt es ein paar seltene, aber gravierende Nebenwirkungen wie anaphylaktischen Schock, Lähmung oder plötzlichen Tod. Die meisten aber wirst du vor dem schwarzen Tod bewahren können. Nimm aber nicht an, dass diese Prophylaxe bei irgendwem ganz nebenwirkungsfrei bleibt. Schau, wenn du das Mittel injizierst, weißt du nicht, wann, in welchem Organ und und wie heftig das Blut reagieren wird. Da werden sich die Leute über Unfruchtbarkeit beschweren, als ob diese Dummköpfe im Todesfall vom Friedhof aus Kinder hätten zeugen können. Sie sollen doch froh sein, dass sie überleben. Sie werden über Unter- oder Überfunktion ihrer Organe jammern. Reagiert das Blut aber mit dem Serum im Gehirn, entwickeln sich da Störungen, als ob es nicht schon genügend Idioten gäbe. Jucken, Nießen, Schnäuzen, das ist Überreaktion. Und letzten Endes wird das Blut nicht mehr in der Lage sein, Konflikte und Charakterfehler, die zur Erkrankung führten, mit Hilfe des Fiebers aus dem System zu kochen. Da wird vor allem die Jugend krimineller und kriegerischer auftreten als ehedem. Du siehst, das neue Medikament birgt Risiken und Nebenwirkungen, zu denen der Arzt nicht befragt werden kann, weil er die Zusammenhänge selber nicht durchschaut. Infekte haben oft mit Enge zu tun, wo Aggressionen entstehen. In die Hände der Geschäftstüchtigen und Politiker sollte das Serum nicht geraten, die haben ja noch nie etwas von Heilkunde verstanden und übertreiben in jede Richtung, zu ihrem Ruhm oder für ihren Geldsack. Und eines muss ich dir noch offenbaren, das Paradoxon der modernen Medizin: Dort, wo mehr gestorben wird, bleiben die Überlebenden gesünder als in den reichen Gesellschaften, wo man sich gegen jedes Wehwehchen ein Pülverchen leisten kann, um auch dem Schwächsten eine ausgedehnte, aber oft sinnentleerte Lebensdauer zu ermöglichen. Wäge nun ab, ob du das neue Mittel wirklich haben willst oder lieber auf Naturschutz, Naturheilmittel, Hygiene und genügend Platz für Mensch und Tier setzen möchtest."