Der alte Mann und sein Zimmer

Bericht zum Thema Familie

von  Gabyi

Lange Zeit, jedoch nicht immer
lebte er in seinem Zimmer

Muffig hat es hier gerochen
Mobiliar früher Epochen
Bettpfosten sind abgebrochen
Altes Biedermeiersofa
dunkelgrün und abgeschabt

Tuch mit abgewetzten Ecken
fahle Flecken auf den Decken
gilb, zerlöchert und zerschlissen
manch ein Knopf ist abgerissen

Krümel in den Sofaritzen
Kissens Häkelsaum mit Spitzen
Schließlich lief aus seiner Nase
Hirnwasser in eine Vase

In den Augen Grauer Star
und an seiner Prostata
fraß ein Cancer, das war klar
Raubtierkrebs der letzten Stufe

Keiner hörte seine Rufe
Sah zum Schluss von seinem Leben
Tiere, grau, durch Räume schweben
Schwarze Fliegen waren da
schon nach einem halben Jahr

Lebten lange, doch nicht immer
unten dort in seinem Zimmer




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Kommentare zu diesem Text


 Redux (22.06.23, 19:26)
Sehr, sehr gut. Ich mag deine bisweilen morbiden Themen.

 AchterZwerg (23.06.23, 07:08)
Gerade in Großstädten bleiben Todesfälle zuweilen unbemerkt.
In Hochhäusern kennen sich Nachbarn kaum vom Sehen und alte Menschen sind eh unsichtbar ...
Du hast diese Situation zutreffend und spannungsreich verdichtet! :) 
Liebe Grüße
der8.

 Rosalinde meinte dazu am 23.06.23 um 07:30:
Hallo Gabyi,

das sind Vorstellungen, die ein jüngerer Mensch von alten Menschen hat, du beschreibst ein Klischee. Man spürt beim Lesen direkt den Ekel, den du vor dem von dir beschriebenen alten Mann hast (Hirnwasser!) Es ist zwar nicht nötig, aber trotzdem gebe ich dir den Hinweis darauf, dass auch du mal alt werden wirst, sofern du nicht vorher stirbst, und es dir vielleicht gar nicht gefallen würde, wenn man dich dann in deinem Stil beschreiben würde. 

Für mich ist dieser Text leider ein Beweis für die Verrohung, die Zeichen unserer Zeit ist. Und ich bin der Ansicht, dass es gerade unsere Aufgabe ist, dagegen anzuschreiben.

Rosalinde

Antwort geändert am 23.06.2023 um 07:31 Uhr

 AchterZwerg antwortete darauf am 23.06.23 um 14:06:
Hallo Gabyi,
ich möchte nur darauf hinweisen, dass Rosalindes Kommentar mit meinem Statement absolut nichts zu tun hat.
Warum er dort angehängt wurde, ist mir schleierhaft. ;)

 Gabyi schrieb daraufhin am 23.06.23 um 17:21:
Danke Redux und Achter Zwerg für eure Empfehlungen :) und die positiven Bewertungen.

@Rosalinde: Ekel ist auch ein unterbewertetes berechtigtes Gefühl. Und: Belehrungskommentare sind nicht so mein Ding. Der Text beruht übrigens auf Beobachtungen in der eigenen Familie. Da gab es noch nicht sowas wie Pflegegeld und so weiter, sondern eine einzige Person musste unbezahlt die Pflege meistern.

LG Gabyi

 Rosalinde äußerte darauf am 23.06.23 um 19:16:
Hallo Gabyi,

es geht nicht darum, dass du deine Familiengeschichte zum Gedicht zusammenbastelst, sondern darum, WIE du an dieses Thema herangehst. Ich will mich hier nicht über längere Diskussionen über Ästhetik auslassen, denke aber, dass du alt genug bist, um zu merken, wann du Grenzen überschreitest.

Rosalinde

 Gabyi ergänzte dazu am 23.06.23 um 19:24:
wie schon gesagt, Belehrungs-TV meide ich ebenso wie Belehrungskommentare. Sorry.

 RainerMScholz (23.06.23, 20:47)
Passt brutalerweise zum "Eckzimmer"-Text.
Grüße,
die Billygarnitur

 mannemvorne (24.06.23, 08:12)
°

       Subtil in Form gebracht!

Gruß
dazu
mv

 ______________________I Inside the Old I Dying 

°

 Gabyi meinte dazu am 24.06.23 um 15:30:
Danke Rainer und mannevorne für die Empfehlungen und den Lieblingstext.
Und "Brutalerweise zum Eckzimmer" sowie "Subtil". Hat mich gefreut, so traurig das Thema auch ist. Aber der Wunsch nach Morbidität hat das schlechte Gefühl besiegt ;)
Danke noch mal.

LG Gabyi
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