Begnadete Erzähler

Text

von  Mondscheinsonate

Es gibt schon begnadete Erzähler, denke ich, wieder einmal schlaflos, überreizt nach einer Klausur wie immer, zum Beispiel Rafik Schami oder Orhan Pamuk, die können einen schon beim ersten Satz in die Geschichte ziehen, ob man will oder nicht, man wird am Ärmel gezogen, lässt es aber gerne zu. Der erste Satz ist doch entscheidend, sagt man, was ich nicht unterschreibe, bei "Stiller" von Max Frisch wurde ich nach der Hälfte erst ans Ende gedrängt und diese Hälfte las ich erst nach 20 Jahren fertig, vielleicht hatte ich dann erst das nötige Interesse, das eine Geschichte braucht, vermutlich. Oder, Dostojewski, der Begnadeste überhaupt, das Genie, schlechthin, aber interessant auch der Gontscharow mit seinem "Oblomov(oder mit w)", der erzählt eigentlich die Geschichte eines völlig uninteressanten, passiven, einem Desinteressierten, vermutlich schwer depressiven, wenn man so will, Menschen, der langweiliger nicht sein könnte, aber derart interessant und hinreißend erzählt, dass man gar nicht mehr aufhören kann zu lesen, das ist die höchste Kunst, das muss man einmal schaffen! 
Man könnte Unzählige aufzählen, manche stechen durch Kitsch, also durch Erzählungen mit unzähligen blumigen Adjektiven heraus, genannt sei Hesse, den ich seit Jugendtagen verehre, wenngleich manche Erzählungen haben wirklich ihre Zeit, so wie "Demian" oder "Der Steppenwolf", als Erwachsene berührten mich diese Erzählungen weniger, das Glühende ging verloren, das man mit 16 noch hat. 
Oder Kafka, der es schaffte, besonders in "Der Prozess" den Leser in das Geschehen hineinzuziehen, ja, alles mitzuerleben und genauso ratlos und verwirrt zu sein wie der Protagonist selbst. Tja, nicht unerwähnt sei Thomas Bernhard, den man liebt oder hasst, "mau" oder "lau" gibt es nicht, nichts dazwischen, der einen mit seinen Emotionen entweder mitreißt oder abstößt, entblößende Literatur, elend lange Sätze, Gegenden, die einen im Normalfall gar nicht interessieren werden ins Innere gezogen, lösen beim Autor und beim Leser etwas aus, das man nie erwartet hätte, was interessiert ein Kalkwerk, gerade ein Kalkwerk! Aber, plötzlich macht das etwas mit einem, so wie es etwas mit den Bewohnern des Kalkwerks macht oder ein Kegel im Wald, sowas Absurdes, genau das ist es, so absurd, dass man daran zugrunde geht, im Grunde geht man immer an der Außenwelt zugrunde, die Außenwelt ist überhaupt das Schlimmste, das Niederträchtigste, das Absurdeste! So ist es. 
Ja, auch Horváth konnte mit dem Leser durch sprachliche Brillanz kokettieren. Meine Güte, man könnte gar nicht mehr aufhören, Namen zu nennen  das nicht. Auch Joyce ist so ein Talent gewesen, wenngleich hier muss man einhaken, der zog nicht in die Geschichte, man musste sich hineinarbeiten, der war und ist harte Arbeit für die grauen Zellen. Verliert man den Faden, ist es vorbei. 

Genauso Handke, hierbei darf man sich keinen Fluss erwarten, eher ein steiniges Gebirge, wo der Leser Stein für Stein wegräumen muss, Kali, sozusagen, für manche lohnt sich der Weg, andere geben erschöpft auf. 
Das einzige Buch, das ich bis heute immer wieder versucht habe und nie geschafft habe, nicht einmal als Hörbuch, das ist "Berlin Alexanderplatz" von Döblin. Ich weiß nicht warum, es ist mir derart unsymphatisch, dass mir regelrecht vor dem Aufschlagen des Buches graust. Ich habe die schönste Ausgabe hier stehen und obwohl es ein Äquivalent nach "Ulysses", das ich liebe, und "Manhattan Transfer" ist (laut Wikipedia), bleibt es meinem Geist verschlossen. Das Buch ist meine größte Leseniederlage, selbst die gefürchtesten Werke des 08/15-Lesers wie "Das Glasperlenspiel", "Der Mann ohne Eigenschaften", "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" oder "Krieg und Frieden" las ich mit Freude und Genuss oder hörte es (seit ich studiere, bin ich oft zu müde, da lasse ich mir gerne vorlesen), aber das Buch schaffe ich nicht. Dennoch, man gibt nur einen Brief auf. 



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Kommentare zu diesem Text


 franky (10.11.23, 10:37)
Hi liebe Cori 

Habe einige, die von Dir angeführten Bücher als Hörbuch mir zu gemühte geführt. Hermann Hesse, hat mir sehr zugesagt.    
Du schreibst Deinen Beitrag sehr flüssig und interessant. 

Herzliche Grüße nach Wien von Franky

 Mondscheinsonate meinte dazu am 10.11.23 um 22:00:
Hesse ist bezaubernd, wahrlich.
Daniel (50)
(10.11.23, 11:27)
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 Mondscheinsonate antwortete darauf am 10.11.23 um 22:00:
Danke, Daniel.

 Graeculus (10.11.23, 16:40)
Als Autor schaut man ja gerne dem ungleich berühmteren Kollegen auf die Finger: Wie macht er das? Wie schafft er es, seine Leser nach ein paar Seiten zu packen?
Es gibt sicher verschiedene Arten, sprachlicher oder inhaltlicher Art, und Leser sprechen nicht alle auf alles gleich an.

Mustergültig für mich: "Matterhorn" von Karl Marlantes. Dabei habe ich gedacht:  Jetzt habe ich's durchschaut, habe es kapiert. Da war es ziemlich offensichtlich.

Es gibt andere Fälle - unter denen, die Du nennst, Gontscharows "Oblomow" -, da kapiere ich es nicht gut. Ein Roman über einen sterbenslangweiligen Menschen ... und doch packt er einen.

 Mondscheinsonate schrieb daraufhin am 10.11.23 um 21:59:
Also Oblomow verstehe ich überhaupt nicht, wie man so einen Langweiler als Pageturner darstellen konnte, das ist ein arges Phänomen.
Matterhorn ist notiert.
Im Übrigen finde ich, dass Gontscharow zu den ganz Großen gehört, viel zu wenig genannt wird.

Antwort geändert am 10.11.2023 um 22:08 Uhr

 Graeculus äußerte darauf am 11.11.23 um 17:49:
Ich bin gespannt, falls Du "Matterhorn" lesen solltest, ob der Effekt auch bei einer Frau funktioniert. Das Problem, das mich in die Anliegen des Protagonisten hineingezogen hat, ist nämlich ein spezifisch männliches.

 Graeculus ergänzte dazu am 11.11.23 um 17:49:
Mehr möchte ich nicht verraten.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 12.11.23 um 15:09:
Oh, Oh!

 Graeculus meinte dazu am 12.11.23 um 17:48:
Oder auch nicht? Jetzt bin ich anatomisch unsicher.
Aber jedenfalls haben auf US-Seite keine Frauen im Vietnamkrieg gegen das gekämpft, was Marlantes als den Hauptfeind der Soldaten erlebt hat: nein, nicht den Vietcong, sondern die Blutegel.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 12.11.23 um 17:54:
Du, ich hab mal ein Buch über den Bau der Brücke am Kwai gelesen aus Sicht eines Soldaten, ich weiß nicht mehr, wie es hieß, da kam alles vor. Mich erschüttern Blutegel nicht mehr. (Ich war am Friedhof, dreiviertel waren unter 25!) Jetzt hast mich aber endgültig neugierig gemacht.

Antwort geändert am 12.11.2023 um 17:55 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 12.11.23 um 17:58:
Blutegel am Bein sind gar nichts. Es geht um Leben und Tod! ... mit sehr geringen Chancen für ersteres und einer grauenhaften Variante für letzteres.
(Jetzt habe ich genug geplaudert. Lesen ist besser.)
Hakuna (43)
(12.11.23, 15:46)
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