Geschichten, die gerne beiseite geschoben werden

Text

von  Mondscheinsonate

Ganz einfach, weil sie keine Tischgespräche sind, ja, das sind einmalige Geschichten, genau einmal wurden sie erzählt, dann niemals wieder, aber sie stehen im Tagebuch. Die Großmutter, die ich niemals kennenlernen durfte, starb mit 39 an Krebs. Papa sagte, dass man sie regelrecht innerlich verbrannte mit den Bestrahlungen, jedoch seine Großeltern verbrannte man äußerlich im Hochofen, sie war eine geborene Salzmann. Ab da wandte sie sich vom Glauben ab, sie fragte sich, welcher Gott solche Dinge zulassen könne und wollte nach Kriegsende von Religion nichts mehr wissen. 

Sie heiratete einen gläubigen Christen und der nahm sich den unehelichen Kindern an und so floß das Katholische von Vaterseite zu mir, abgesehen davon, dass sich meine Großeltern aufgeregt hätten, wäre ich nicht getauft worden. Aber, das hat sich die Großmutter sowieso, heimlich, als Mama den Papa gegeiratet hat, weil, schon oft angedeutet, sie ideologisch gestört war.

Opa erzählte mir, dass die wohlklingenden Namen der Juden daher kommen, dass sie in Mitteleuropa durch die Emanzipationsgesetze rechtlich gleichgestellt wurden und auch Nachnamen annehmen mussten (Meine Vorfahren waren also Salzverkäufer, das gefällt mir!). 

Nun, über das Schicksal der Urgroßeltern und später dann über meine Oma wird nicht gesprochen, niemand redet darüber und auch nicht über den Glauben. In meiner Familie gibt es das Wort "Religion" überhaupt gar nicht, keiner ist gläubig, außer ich, aber nicht fromm. 

Ah ja, der katholische angeheiratete Großvater war ein Füllhaltervertreter, auch so nett, das finde ich schön, er starb zwei Jahre nach der Großmutter. 



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Kommentare zu diesem Text


 franky (16.12.23, 15:30)
Halo liebes Fräulein Cornelia Salzmann 

Deine Erzählung war sehr beeindruckend, Glaube ist nicht fassbar, nur spürbar.

Grüße von Franky

 EkkehartMittelberg (16.12.23, 19:09)
Hallo Cori,
es ist verständlich, aber sehr bedauerlich, dass diese Geschichten beiseite geschoben werden.

LG
Ekki

 Mondscheinsonate meinte dazu am 16.12.23 um 19:21:
Was würde es ändern, würde man permanent darüber zu reden? Verdrängung ist heutzutage verpönt, dabei tut es gut, vorallem meinem Papa.

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 16.12.23 um 19:30:
Diesmal widerspreche ich: Verdrängungen holen dich im Traume ein.

 Mondscheinsonate schrieb daraufhin am 16.12.23 um 19:46:
Vermutlich, aber er glaubt's halt.

 Graeculus (16.12.23, 23:51)
Komplizierte Verhältnisse für mich als Außenstehenden. Deine Urgroßeltern väterlicherseits waren Juden und sind "im Hochofen" verbrannt worden, also dem Völkermord zum Opfer gefallen? Und deren Tochter, Deine Großmutter, hat einen Christen geheiratet und ist konvertiert?

Ich weiß nicht, wie das wäre, wenn es in meiner Familie eine solche Geschichte gäbe. Für mich wäre es wohl wichtig und interessant, aber ich hätte es auch verstehen können, wenn meine Vorfahren nicht gerne darüber gesprochen hätten. Auf ein Trauma reagiert jeder auf seine Weise. Sicherlich wäre mir der Glaube an Gott abhanden gekommen - dafür hat mir schon mein vergleichsweise harmloses Leben gereicht.

 Mondscheinsonate äußerte darauf am 17.12.23 um 00:03:
Ja, korrekt, es wurde konvertiert, aber darauf geschissen. Und zu deinem Text, als Strafe eledig zu Grunde gegangen, nicht?  Oder, war es Zufall. Und ich hatte das Vergnügen auf der Naziseite groß zu werden, die andere Seite war weg, ausgemerzt von Miststücken und Krebs, der auch ein Miststück ist. Anders kann man es nicht ausdrücken. Als Mischkulanz enthalte ich mich daher gerne jeglicher "Seite".

 Graeculus ergänzte dazu am 17.12.23 um 00:12:
Was meinst Du mit "als Strafe elendig zu Grunde gegangen"? Die Juden? Wer hat das behauptet? Wer soll da gestraft haben?
Das hat mit meiner Meinung nichts zu tun. Millionenfach Menschen umzubringen, ist das größtmögliche Verbrechen.
Schon dies gilt (ich zitiere mich): "Menschen aufgrund ihrer Volks- oder Rassenzugehörigkeit in ihrem Wert herabzusetzen, ist ein Verstoß gegen die Menschenrechte und dumm obendrein." Dumm, weil man sich selbst für lebenswürdiger hält.
Meine Abneigung gegen die monotheistischen Relgionen gilt unterschiedslos.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 17.12.23 um 00:17:
Nein, die Frage war, ob man bestraft wird, wenn man vom Glauben abweicht  das ist egal, welcher. Meine Großeltern waren damit nicht gemeint, sondern die Tochter, die sich nur noch als Mensch sah.

Antwort geändert am 17.12.2023 um 00:18 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 17.12.23 um 00:28:
Aaaach so! Der Krebs als Strafe für die Konversion. An sowas denke ich nichtmal im Traum. Obwohl es solche - irren - Ansichten natürlich gibt.
Nicht einmal der Lungenkrebs bei Rauchern ist "gerecht" verteilt - denke an Helmut Schmidt.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 17.12.23 um 00:39:
Es gibt Leute, die sowas glauben. Ich korrigiere mein voriges Kommentar, meine Großmutter (die Umgebrachten waren meine Urgroßeltern) und weil sie das glaubte, glaubte sie am Schluss doch noch an etwas, weil sonst wäre ihr eine Strafe nie in den Sinn gekommen.

 Graeculus meinte dazu am 17.12.23 um 00:48:
Sie selbst hat ihre Erkrankung als Strafe für den Religionswechsel empfunden? Wie kann man nur glauben, daß Gott soetwas tut? Wie kann man nur sehen, daß unschuldige Kinder in die Gaskammern gekommen sind, und glauben, dies sei eine Strafe Gottes?
Ob diese Annahme - verzeihe mir - tatsächlich eine jüdische Eigentümlichkeit ist? Vgl. den Dekalog:

ICH dein Gott bin ein eifernder Gottherr, zuordnend Fehler von Vätern ihnen an Söhnen, am dritten und vierten Glied, denen die mich hassen, aber Huld tuend ins tausendste denen die mich lieben, denen die meine Gebote wahren.

(in der Übersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig)

P.S.: Auch Rosenzweig ist ein schöner Name.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 17.12.23 um 01:20:
Ich glaube, in so eine Situation denkt der Mensch nur an sich.  Man selbst wird bestraft, da sind andere egal.
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