Hirn auslüften

Text

von  Mondscheinsonate

Papa wollte nicht, dass ich (47 Jahre alt) jetzt noch spazieren gehe, schließlich ist es dunkel und um die Ecke wurden die Leichenteile gefunden, da meinte ich, dass Psychophathen überall sind, erst kürzlich las ich, dass sich die psychischen Erkrankungen verdoppelten. Da sagte Papa, dass ihn das jetzt aber nicht beruhigt hat. 


So ging ich doch, schnappte die Tüte mit dem Altglas für den Container und wollte zumindest eine kleine Runde gehen, da sah ich vor dem Haustor ein junges Mädchen, vom Gesicht her war sie vielleicht 13, vom Körperbau und der Schminke 19, aber sie ist 13, die Tochter einer Nachbarin, umarmend und schmusend einen jungen, pockennarbigen Araberbuben, 15 vielleicht, auch älter. Ich ging vorbei, grüßte, beide grüßten freundlich zurück. 

Am Weg zur Altglassammlung dachte ich daran, wie schön das war, so jung vor dem Haustor schmusen und es war immer sehr störend, wenn Nachbarn vorbeigingen. Jetzt bin ich alt, die Störerin, schmuse nicht mehr, schon gar nicht vor der Haustüre, sowieso, mit 13 schmuste ich noch gar nicht, auch sah ich nicht aus wie ein 19-jähriges Kleinkind, sondern nur wie ein Kleinkind. 

Ich lächelte. Jetzt bin ich die Alte, weiß aber noch wie sich das Schmusen vor der Haustüre anfühlte, es war schön, das schöne Gefühl vergisst man nicht. 

Wieder zurückkommend schmusten die beiden noch immer, ich grüßte nicht, das Schmusen war innig, sie war einen Kopf größer als er, beugte sich herunter, das sah bemüht aus. 

Zuhause rief ich den Papa an, sagte, dass ich wieder im Ganzen zuhause angekommen bin, da keifte er, dass ich mich nicht über ihn lustig machen soll, wir leben in anderen Zeiten!

Ich grinste, sagte:"Nein, die Zeiten haben sich gar nicht geändert."


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Frühere bzw. ältere Kommentare zu diesem Text


 Quoth (19.01.24, 22:20)
Das Schmusen macht die Menschen gleich - da können die Identitären keifen, soviel sie wollen. Wehmütig-schön - und auf angenehme Weise trotzig!

 Mondscheinsonate meinte dazu am 19.01.24 um 22:23:
Ja!
Daniel (50)
(19.01.24, 23:36)
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 Mondscheinsonate antwortete darauf am 20.01.24 um 08:44:
Na bitte :)

 BeBa (19.01.24, 23:42)
Gefällt mir. Gut finde ich vor allem, dass dieser kurze Text durchaus mehrere Themen anschneidet: die Angst des alten Vaters (andere Zeiten), dann wohl nicht zufällig der "pockennarbige Araberbube" (ist doch völlig egal, nur die Liebe zählt )und die Erinnerung des ICHs. Schön auch das Ende mit dem Resümee, dass sich die erste Liebe und ihre schöne Seite nicht wirklich geändert hat.

Kommentar geändert am 19.01.2024 um 23:44 Uhr

 Mondscheinsonate schrieb daraufhin am 20.01.24 um 08:45:
Ja, so alt kann man gar nicht sein, man bleibt immer Kind. :) Am Schluss zählt immer Liebe oder die Erfahrung, nicht?

 Regina (20.01.24, 04:05)
Alte Menschen haben den Eindruck, dass die Zeiten gefährlicher geworden sind. Jungen sind die Gefahren wegen mangelnder Erfahrung nicht bewusst.

 Mondscheinsonate äußerte darauf am 20.01.24 um 08:47:
Ich seh beim Schmusen weniger die Gefahr, es kommt alles so wie es kommen muss, auch der Kummer gehört zum Leben dazu.

 LotharAtzert ergänzte dazu am 20.01.24 um 09:39:
Ich seh beim Schmusen weniger die Gefahr,
Naja, wieviele Bakterien den Wirt wechseln, weiß man nicht so genau. :ermm:

 Mondscheinsonate meinte dazu am 20.01.24 um 09:40:
Ja, und Karies kriegt man auch, wenn der andere eines hat. Las ich letztens, sehr g'schmackig.
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