Im Alter von zehn Jahren stand ein Schulwechsel an. Ich selber wäre gerne in Heiligenhaus auf´s Gymnasium gegangen, aber mein Stiefvater überging meinen Wunsch und meldete mich auf dem neusprachlichen Gymnasium in Essen-Kettwig an.
Er sollte Recht behalten. Ich fühlte mich dort pudelwohl und glänzte mit ganz ausgezeichneten Schulnoten. Es entwickelten sich Freundschaften mit Klassenkameraden, so dass man sich auch gelegentlich privat zum Spielen traf.
Die ersten zwei Schuljahre waren wirklich für mich noch einmal eine recht glückliche Zeit. Ich war bei den Mitschüler und Lehrern sehr beliebt, galt als hochbegabt und meine ruhige, freundliche Art kam gut an. Folgerichtig war ich dann auch ab dem 6. Schuljahr der Klassensprecher.
Es existiert ein Brief meiner Tante mütterlicherseits, wo sie mich damals gegenüber einer Tante väterlicherseits in den höchsten Tönen lobte. Und so nebenbei erwähnte, dass mir die strenge, lenkende Hand meines Stiefvaters offensichtlich guttäte.
Tatsächlich mag sie da nicht ganz Unrecht gehabt haben. Aber für mich selber wurde das zunehmend zu einem Problem. Er bestimmte, und ich hatte ohne Widerrede zu gehorchen.
Noch funktionierte es, aber auf Dauer konnte das natürlich nicht gutgehen. Und wieder waren es die Sommerferien, die eine grundlegende Veränderung einleiteten.
Es war gegen Ende der CVJM-Ferienfreizeit in Wagrain/Kärnten, als ich mit einer kleinen Theatergruppe ein biblisches Stück im Freien aufführten: „Die Heilung des blinden Bartimäus“
Ich kannte die Geschichte natürlich schon aus dem Religionsunterricht und hatte mich für die Rolle des blinden Bettlers entschieden.
Alle Zuschauer saßen nun auf der Wiese, und ich in einiger Entfernung von dem Weg, wo Jesus mit den Jüngern entlangging. Und so rief ich: „Jesus, du Sohn Gottes, erbarme dich meiner!“
Zu meiner Verblüffung blieb Jesus - ein erwachsener Mitarbeiter - aber nicht stehen, sondern ging gemächlich weiter. Ich rief noch einmal, mit demselben Effekt. Unruhe im Publikum, einige lachten und einJunge rief: „Du musst lauter rufen, erhört dich nicht!“ Allgemeine Erheiterung!
Da schrie ich aus tiefster, echter Verzweiflung - allen durch Mark und Bein gehend - : „Jeeesuuusss, du Sohn Gottes, erbarme dich meiner!!!“
Abrupt blieb er stehen, drehte sich um und kam dann auf mich zu.
Ich erinnere mich, wie erschüttert ich im Nachgang über meinen eigenen Schrei war. Es war wirklich ein Schrei in tiefster Not gewesen. Und war fortan in meinem Unterbewusstsein abgelagert: „Rufe mich an in der Not, und ich will dich erretten.“
Jahre später sollte er von dort – gerade im richtigen Moment – wieder auftauchen!
Fortsetzung folgt