Zeigersprung

Sonett zum Thema Annäherung

von  Isaban

Aus der Tapete blättert Zeit.
Die Uhr schleicht von Sekunde zu Sekunde,
zeigt unentwegte späte Stunde.
Im Bett liegt ausgestrecktes Leid.

Der Oberarzt dreht seine Runde,
dreht sie seit Jahren und erneut
sucht er im Raum Behaglichkeit:
zu finden sind hier nur Befunde.

Noch atmet sie, doch geht zugrunde,
ihr offner Mund gleicht einer Wunde,
die Hostie liegt schon bereit.

Vom Park her bellen wilde Hunde.
Sie ist, nein, ist noch nicht so weit.
Aus der Tapete blättert Zeit.

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Kommentare zu diesem Text

janna (66)
(23.01.13)
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 Isaban meinte dazu am 28.01.13:
Wie die Zeiger. ;)
Es ist immer wieder eine Freude, wenn eines der angewendeten Stilmittel genau so wirkt, wie man sich das vorgestellt hat. :D
Ich dank dir schön.

Liebe Grüße

Sabine

 AZU20 (23.01.13)
Das packt einen. LG

 Isaban antwortete darauf am 28.01.13:
Schön, dass es dich berühren konnte!
gaby.merci (61)
(23.01.13)
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 Isaban schrieb daraufhin am 28.01.13:
Kennst du diese Sepiastellen, dort, wo Tapetenrand an Tapetenrand liegt?
LG Sabine
gaby.merci (61) äußerte darauf am 28.01.13:
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 plotzn (12.02.13)
Stark, wie sich der Anfang am Ende wiederholt und so die nicht vergehen wollende Zeit verdeutlicht. Ein berührendes Gedicht, liebe Sabine, über ein ernstes Thema.

"zu finden sind hier nur Befunde" hat als Wortspiel eine komischen Note, die im Kontrast zure ärztlichen Routine steht.

Gut gefallen hat mir auch die Zeile:
"Sie ist, nein, ist noch nicht so weit"
die das Warten greifbar macht. Gibt es für diese Art von Einschub eigentlich einen Fachbegriff?

lg Stefan

 Isaban ergänzte dazu am 13.02.13:
Hallo Stefan,

ich bin sicher, es gibt einen Fachbegriff dafür, ich muss allerdings gestehen, er ist mir entfallen, ich müsste noch einmal gründlich nachschlagen. Zur ärztlichen Routine: Ich wollte andeuten, dass in kurzen Zeitabständen jemand hereinkommt, nachschauen, ob er was tun kann - oder ob endlich alles vorbei ist. Da ist immer so ein Augenblick, in dem man unsicher ist, ob sich der Brustkorb noch zum Atmen hebt. Ist es nicht seltsam, dass uns das Sterben immer Angst macht, bis ganz zuletzt, obwohl wir doch alle wissen, dass es früher oder später unausweichlich ist? Manchmal ist es gewiss eine Erlösung. Nur glaubt man halt bis zum Schluss, es sei noch nicht so weit. Einmal noch Atem holen. Einmal noch.

Liebe Grüße

Sabine

Edit: Ich hab nachgeschlagen. Das Stilmittel wird als "Correctio" bezeichnet.
(Antwort korrigiert am 13.02.2013)
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