schauerlich

Sonett zum Thema Wahrnehmung

von  monalisa

dürre schattenfinger kahler weiden
treiben träge auf dem wasser, treiben,
und die sonne hüllt sich nebelseiden
ein in kühles schweigen.

hing der himmel gestern voller geigen,
muss er sich schon heute stumm bescheiden,
wirft mir tränen an die fensterscheiben,
mitgefühl zu zeigen?

dürre schattenfinger werden länger,
bis die nacht, welch strikter schattenfänger,
sie in ihren handschuh steckt.

rabenschwarz ist er, und mir wird bänger,
meine kehle zugeschnürt, noch enger:
gott, hast du mich jetzt erschreckt!


Anmerkung von monalisa:

Titel geändert: schauderhaft --> schauerlich

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (15.01.16)
Besser kann man das Schaudern und Angst wohl nicht ins Bild setzen. Der Leser fragt sich natürlich sofort, wem er diese "dürren Schattenfinger" zuweisen soll. Sind sie ein Zeichen Gottes, wie es der letzte Vers für möglich hält?
Die Antwort bleibt jedem selbst überlassen. Vielleicht gehören sie einer pervertierten Menschheit und Gott ist nur unbeteiligter Zuschauer.
Was bleibt ist Schaudern und jede Hilfe erscheint fern.
Liebe Grüße
Ekki

 monalisa meinte dazu am 16.01.16:
O, wie mich das freut, dass diese Zeilen Schaudern und Angst auszudrücken vermögen.
Der Anstoß zu diesem Gedicht war ein Austausch mit einem Poeten, der meinte, ein Text würde durch viele 'ei'-Laute, weich, zärtlich, einschmeichelnd klingen. Dass dies so sein kann, aber nicht zwangsläufig sein muss, wollte ich hier veranschaulichen.
Dieses Doppelsinns (wie Irene im folgenden Beitrag ausführt), dass der Ausruf 'Gott' (ach Gott; o mein Gott) tatsächlich an einen wie auch immer gearteten (Schöpfer-)Gott gerichtet sein könnte, war ich mir gar nicht bewusst. Ich hab 's auch nicht ganz so tiefsinnig und ernst gemeint, wie du es vielleicht aufgenommen hast. Ich ging von einem LI aus, das sich nach und nach selbst ein gespenstisches Szenario 'erschafft' und in eine schreckhafte Stimmung hineinredet ... . Aber wichtig ist eigentlich nur, dass du, was du dem Text entnommen hast, für gut befinden konntest, und dafür danke ich dir herzlich.

Liebe Grüße
mona

 niemand (15.01.16)
Die letzte Zeile ist so gekonnt doppeldeutig. Es besteht die Möglichkeit, man spricht mit einem nahe stehenden Menschen,
oder man spricht Gott an, weil einem plötzlich das Leben schauderhaft bewußt wird. Man kann dieses "erschreckt" in beide Richtungen deuten. Mit lieben Grüßen, Irene
P.S. ich sprach grade von der letzten Zeile, gekonnt ist das Ganze,
nicht dass Mißverständnisse aufkommen

 monalisa antwortete darauf am 16.01.16:
Herzlichen Dank, liebe Irene, schon nach Ekkis Beitrag ist mir aufgegangen, dass sich in diesem 'Gott' ein Doppelsinn verbirgt, war mir aber nicht sicher, ob das auch anderen zugänglich war. Jetzt weiß ich, dass man es auch so lesen kann, wie es ursprünglich von mir gedacht war, wie schön für mich!

Liebe Grüße
mona

 Irma (15.01.16)
Liebe Mona, ein tolles und geheimnisvolles Sonett, was durch den Trochäus seine besondere Melancholie entfaltet. Der unreine Reim in den Quartetten (-eiden, -eiben, -eigen) veranschaulicht gut, dass es um die persönliche Empfindung und Wahrnehmung von LyrIch geht, wodurch diese an und für sich harmlose Naturerscheinung zu etwas Bedrohlichem wird.

Die konsequente Kleinschreibung bereitet spätestens im letzten Vers beim „gott“ Probleme. Es scheint kein wahrer Gott (im "himmel", V.5) da zu sein, an den LyrIch sich in seinen Ängsten halten kann, sondern Gott ist nur so eine Art Ausruf („!“ V.14) , den man so allgemein tätigt (oh gott oh gott). Dieses Fehlen wird auch durch die verkürzten Verslängen in den nur dreihebigen Endversen der Quartette und den nur vierhebigen Endversen der Terzette deutlich.

Mit dem Titel „schauderhaft“ hadere ich noch ein wenig, da ich dieses Wort nicht nur im Sinne von ‚grauenhaft‘, sondern auch synonym zu ‚ekelhaft‘ verwende, was hier so ganz und gar nicht passen will. In meinen Augen wäre daher „schauder“ oder „schaudern“ passender. Hinter „zugeschnürt“ im vorletzten Vers würde ich eventuell noch ein Komma setzen.
Ansonsten: Toll! LG Irma
(Kommentar korrigiert am 15.01.2016)

 monalisa schrieb daraufhin am 16.01.16:
Liebes Irmchen, dein Kommi ist wieder ein Genuss, wunderbarbar wie du mir bei der Mögele mit den '-eiden-eiben- eigen'-Reimen auf die Schliche gekommen bist. Genau so sollte das wirken *diebisch freu*!

'Ach Gott', auch hier ganz in meinem Sinne !

Zum 'schauderhaft' hätt ich gern noch die Meinung anderer abgewartet (haltet euch bitte nicht zurück ). Für mich persönlich ist 'grauenhaft' näher an 'abscheulich' oder (wie du schreibst) 'ekelhaft' dran als 'schauderhaft' - das würde ich in diesem Sinne nicht gebrauchen.
Schauder oder Schaudern ist mir irgendwie zu kurz, zu abgehackt ... Wäre 'schauerlich' besser? Oder fällt dir noch eine Alternative ein, die ein wenig länger, schauerlicher, melodischer klingt?

Ein ganz großes Dankeschön für deinen tollen Kommentar!

Liebe Grüße
mona

 Irma äußerte darauf am 19.01.16:
Für mich ist 'schauerlich' noch viel klangvoller als 'schauderhaft' und gefiele mir persönlich wesentlich besser! LG Irma

 monalisa ergänzte dazu am 19.01.16:
Hast mich überzeugt; ich werde in 'schauerlich' ändern.
Dankeschön und liebe Grüße
mona

 TassoTuwas (16.01.16)
Ja, schauderhaft schön )
Hu..., aufatmen in der letzten Zeile!
Liebe Grüße
TT

 monalisa meinte dazu am 19.01.16:
Freut mich, danke, Tasso, vor allem das Aufatmen

Liebe Grüße
mona
Festil (59)
(25.01.16)
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 monalisa meinte dazu am 26.01.16:
Vielen Dank, lieber Festil. Ja es ist schon erstaunlich, was sich lautmalerisch ausdrücken lässt, welche Stimmungen dadurch verstärkt werden können. ich denke, dass das durchaus auch in Prosatexte einfließt, in der Lyrik - wo es doch viel mehr auf den Klang ankommt - aber noch viel größere Bedeutung hat.

Liebe Grüße
mona

 Isaban (17.07.16)
Hallo Mona,

der Text ist sehr stimmungsvoll.


Wie wäre es übrigens anstelle der "treiben-Dopplung" in S1 mit "bleiben träge auf dem Wasser, treiben...", da wäre dann noch zusätzlich ein Binnenreim mit eingebaut - und kein "ei" weniger.

Die Bilder, die du zeigst, sind ohne Frage sehr ausdrucksstark.

Mich würden sie noch ein bisschen mehr ansprechen, wenn sie nicht ganz so kompizierten Satzkompositionen, sondern eher jetztzeitgem Sprachgebrauch entsteigen würden.

Natürlich würde (S1) sich "hüllt sich nebelseiden in kühles Schweigen ein" nicht so gut ins Reimschema fügen, die Inversion bewirkt jedoch, dass das Ganze irgendwie altbacken und verschwurbelt klingt.

Desgleichen bei S2, "Mitgefühl zu zeigen". Ohne das fehlende "um" vor dem Mitgefühl wirkt auch diese Stelle "veraltet".
Es wäre alternativ zu den bestehenden ersten beiden Versen dieser Strophe auch
"Gestern hing der Himmel voller Geigen,
heute muss er sich wohl stumm bescheiden..." möglich, auch dies würde eher dem heutigen Sprachgebrauch entsprechen.

Nun (aus meiner Sicht) zur absoluten Schwachstelle des Textes, V4.

Diese Textstelle könnte mir um Einiges besser gefallen, wenn sich die dichterische Freiheit ( z.B. S4, bänger) nicht so sehr wie ein seit Goethes Zeiten obsoleter und so grade noch in Limericks als kultig gedulteter Kalauer lesen würde. Sprache ist Entwicklung und heute, kurz nach Wilhelm Busch, sagt man eigentlich "banger", wenn man "bang" steigern möchte.

Aber eigentlich reicht das "Entbängern" nicht aus, ich glaube, an diesem Terzett muss in V1 und 2 schon wegen des fehlenden Sinn- und Satzzusammenhanges noch einmal richtig die Feile angesetzt werden.


rabenschwarz ist er, und mir wird bänger,
meine kehle zugeschnürt, noch enger:
gott, hast du mich jetzt erschreckt!


Vieleicht ginge "meine Kehle wird mir eng und enger", aber auch das würde nichts an der buschig-kultig veralteten Steigerungsform von "bange" ändern - auch wenn diese nicht mehr ganz so doll auffallen würde, wenn sie im richigen Satzzusammenhang stünde.


Sei mir nicht gram, wegen meiner Meckerei, wie gesagt, Stimmung und Bilder deiens Sonettes gefallen mir.

Liebe Grüße,

Sabine, ( der heute früh das L aus der Tastatur gefallen ist und die es um’s Verrecken nicht wieder einbauen kann. Sollte euch ein entflohenes über den Weg laufen - haltet es fest, ich brauch’s noch.)

 monalisa meinte dazu am 22.07.16:
Wie schön, dass du Zeit gefunden hast, hier zu meckern, liebe Sabine. Ich hoffe, du denkst jetzt nicht, dass ich deshalb vestimmt bin, weil ich mir mit der Antwort ein wenig Zeit gelassen habe. Es war schlicht diese Woche so viel los, dass ich die Ruhe nicht finden konnte, um angemessen zu antworten.

Zu den von dir angemäkelten Stellen:
Gleich zu Beginn, dieses doppelte Treiben war schon von mir beabsichtigt - finde ich eigentlich immer noch gut - , um diese Treiben der Zweige im Wasser abzzubilden. Sie treiben und treiben und komme doch nicht von der Stelle. Das möchte ich gern beibehalten.

Beim "nebelseiden einhüllen" ist dein Einwand natürlich berechtigt, das kühle Schweigen wird nachgereicht.
"Die Sonne hüllt sich nebelseiden ein.", könnte ja auch einfach so mit Punkt dastehen. Das ist die Beobachtung, die wird dann um die persönliche Intrepretaion, Empfindung erweitert. Jedenfalls wars von mir so gedacht, hat wohl nicht ganz so funktioniert ;) :(

Auch bei ’bänger’ gebe ich dir Recht, allerdings klingt für mich ’banger’ noch viel fremder als bänger. Da sind wir in Ösiland wohl ein wenig hinten nach ;). Ich überlege noch, wie ich diese Stelle entschärfen soll, die Steigerung besser einbaue. Grundsätzlich ist mir der "Buschtonfall" hier gar nicht sooo zuwider, weil ich es schon gern ein wenig augenzwinkernd und mit einem Schuss Selbstironie verstanden wissen wollte. Ist wohl auch nicht so klar geworden, wie?

Grundsätzlich bin ich sehr dankbar für jeden Anstoss und auch immer bereit noch einmal über alles nachzudenken und ’nachzuarbeiten’.

Vielen herzlichen Dank für deinen Besuch und deinen kritischen Blick. Das mit dem ’L’ ist mir gar nicht aufgefallen, ich hab leider keines übrig und auch keins gesehen!

Liebe Grüße
mona
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