Der Herr ist mein Hirte

Verserzählung zum Thema Aufmerksamkeit

von  Isaban

Auf der Parkbank sitzt am Morgen
diese Kleine, die auch gestern schon dort saß
und um halb acht in der Frühe
schlappe Pommes aus der Schmuddeltüte aß.

Heute scheint sie nichts zu essen,
sie trinkt aus der Coladose. Es ist kalt
und regnet bald. Sie hat Flecken
auf der Hose und riecht leicht nach Darminhalt.

Liebes, wo ist deine Mama?
frag ich. Mama schläft schon seit vier Tagen,
sie war krank und schlummert tief,
sagt das Kind und lächelt schief, um dann zu fragen,
ob ich weine. Ich verneine,
trotz der Nässe, die mir aus dem Auge trieft.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 monalisa (10.02.19)
Ein sehr bedrückender Text, liebe Sabine!
Ja, wo ist er denn, der gute Hirte, möchte man fragen angesichts des kleinen, verirrten Schäfchens auf der Parkbank. Wie ist es möglich, dass vier Tage lang niemandem auffällt, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt.
Dramen spielen sich ab, direkt vor unserer Nase und wir sind zu beschäftigt mit uns und dem, was wir für wichtig halten. So einschneidende Erlebnisse, wie das von dir geschilderte, rütteln auf und rücken zurecht, hoffentlich!

Dieses Unbemerkt-Bleiben, wo sich doch jede/r fragen müsste, was ist da los, wenn ein Kind total verwahrlost in aller Frühe Pommes auf der Parkbank futtert, drückst du sehr gekonnt durch die Binnenreime und teilweise nicht ganz reinen Reime aus. Die 'Frühe' bleibt reimlos, hat sich niemand die Mühe gemacht, sich einen Reim drauf zu machen. Auch die Mama ist Solistin, tritt aber in zwei aufeinanderfolgenden Versen, doppelt verloren, vergessen!
Ein Schlag in die Magengrube, ist der vorletzte Vers:
ob ich weine, ich verneine
kurz, prägnant und die Reime fallen Schlag auf Schlag. Das Verneinen hilft aber nicht, macht nichts ungeschehen und die Frage dringlich, wo sind all die Hirten ringsum abgebleiben, wenn sich schon der große Herr Oberhirte aus allem raushält?

Ein packendes Gedicht!
Liebe Grüße
mona

 Isaban meinte dazu am 17.02.19:
Ja, wo ist er denn, wo sind wir denn?

Seien wir ehrlich, wenn wir morgens um halb acht ein Kind auf einer Parkbank Pommes essen sehen, denken wir, dass es vielleicht die Schule schwänzen will oder dass diese modernen Eltern von heute den Kids lieber ein paar Euros in die Hand drücken, als ein paar altmodische Butterbrote zu schmieren, oder dass das Kind ein Schlüsselkind ist und seine Freiheit für einen heimlichen Pommes-Genuss nutzt, weil die Mama so gründlich anthroposophisch drauf ist.

Oder wir denken gar nicht darüber nach, weil wir selbst auf dem Weg zur Arbeit oder sonstwie in Eile sind. Taucht so ein Kind aber mehrmals um diese Uhrzeit im Park auf, wirkt inzwischen ungepflegt oder stinkt regelrecht, dann merken wir, dass wir wohl vorher etwas zu schnell daran vorbeigegangen sind. Glück hat das Kind, wenn es überhaupt jemand merkt. Und wenn dieser Jemand dann auch noch genug Interesse und Zeit aufbringt, um wenigstens mal nachzufragen.

Und wie muss sich jemand fühlen, der da auch schon mal dran vorbeigeschaut hat, und von genau diesem Kind gefragt wird, warum er weint, wenn ihn wirklich mal das Mitleid gepackt hat?

Zu deiner Interpretation und Analyse der Stilmittel: Mehr kann sich ein Autor nicht wünschen! ich freue mich riesig, dass dich der Text packen konnte. Herzlichen Dank für deine Rückmeldung.

Liebe Grüße,
Sabine

 Lluviagata (10.02.19)
Ein typisches Isaban-Gedicht, das ist so, man mag es drehen und wenden so oft man will. Ja, es es kommt nüchtern erzählt daher und trifft doch mitten ins Herz. Oder gerade deswegen. Sehr sehr traurig, beklemmend und unvergesslich.

Liebe Grüße
Llu 💙

 Isaban antwortete darauf am 17.02.19:
Vielen Dank, liebe Llu!
Cora (29)
(13.02.19)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Isaban schrieb daraufhin am 17.02.19:
Hallo Cora,

würdest du ein Kind im Park ansprechen, das dort auf einer Bank sitzt und am frühen Morgen Pommes ist? Ja, echt, ein Kind, das du zum ersten Mal siehst? Wow. Dann bist du ein wirklich seltenes Exemplar der Gattung Mensch.


Ja, Erwachsene haben eine sehr hohe Hemmschwelle, Kinder anzusprechen. Da hast du einen wichtigen Aspekt der Sache aufgeführt. Und es ist ja auch viel sicherer und bequemer, schnell wieder woandershin zu gucken.

Falls du ein Mann wärst, würdest du sofort in üblen Verdacht geraten und wer weiß, vielleicht würde die Kleine schreiend weglaufen, wenn sie schon mal vorm bösen Mann gewarnt wurde.

Und als Frau: Wenn man morgens um halb acht durch den Park läuft, dann hat man ein Ziel, Arbeit, Arzt, sonstiger Termin - so früh geht man eher selten spazieren, da muss man dringend irgendwo hin, da nimmt man bestenfalls aus den Augenwinkeln im Vorbeigehen war, dass da etwas ungewöhnlich war.

Gestern war das Kind auch noch nicht so schmuddelig, stank nicht so, gestern wurde es zum ersten Mal dort gesehen und das kann diverse Gründe haben. Taucht die Kleine aber nochmal auf, sieht deutlich ungepflegter aus und stinkt, dann wittert man, dass da was nicht stimmen kann. Spätestens dann sollte man seine Hemmschwelle überwinden. So scheint das LI es auch gesehen zu haben.

Vielen Dank für deine Rückmeldung.

Liebe Grüße,
Isaban
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram