Der ehrliche Narr

Beschreibung zum Thema Charakterisierung/ Charakteristik

von  EkkehartMittelberg

Manchmal fühlt er sich den Königen, Fürsten und Bischöfen überlegen. Er, der gering Geachtete, darf sie ironisieren und sie fühlen sich sogar noch genötigt, über den Kakao zu lachen, durch den er sie zieht.

Sicher, er muss aufpassen, dass er nicht übertreibt, der Wahrheit ihrer Schwächen nicht zu nahe kommt. Aber im Laufe der Jahre hat er ihre Toleranz einzuschätzen gelernt und er weiß, wo sie ihre neuralgischen Schmerzpunkte haben, die er vermeidet.

So lachen sie mit ihm über ihre ungezügelten Leidenschaften, über ihre Oberflächlichkeit und ihre Eitelkeit und fühlen sich großartig, sich freiwillig seiner Ironie zu stellen. Natürlich muss auch er ihre Launen ertragen, wenn sie ihn wie einen Hanswurst behandeln und sich über seine körperlichen Gebrechen lustig machen. Doch die großen Lachsalven des Abends, in die alle lauthals einstimmen, erzielt immer er. Tatsächlich führt er Regie und die einfältigen Mächtigen merken nicht, dass sie nur Komparsen in diesem Spiel sind.

Aber oft überfällt ihn eine tiefe Traurigkeit. Dann gesteht er sich ein, dass die Momente seiner Überlegenheit nur Illusion sind, und er weiß, bei wem die Macht über Leben und Tod liegt.

In solchen Momenten möchte er darauf verzichten, geistreich zu sein und die Herren der Lächerlichkeit preiszugeben.

Er möchte vielmehr so ungeniert seinen Leidenschaften frönen wie diese Lüstlinge und wünscht sich, er könnte die Rollen tauschen. Freilich bleibt ihm ein Trost: Sie könnten ihn nie so elegant verspotten wie er sie.




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Kommentare zu diesem Text


 harzgebirgler (31.10.23, 03:33)
hallo ekki,

ich liebe “rigoletto” weil der narr
dort immerhin meist toll bei stimme war
zumindest wenn ihn tito gobbi sang
mit di stefano und der callas gar
unverwechsel- sowie wunderbar -
ist leider her schon eine weile lang...

lg
henning


https://www.youtube.com/watch?v=Q0fzkkrsf2A

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 31.10.23 um 11:14:
Hallo Henning,
mein besonderer Dank für diese herrliche, hervorragend bebilderte musikalische Aufnahme.
Herzliche Grüße
Ekki

 Mondscheinsonate (31.10.23, 07:23)
Jedoch, solch Könige warten zumeist in der Früh schon in der Schlange zur Tablettenausgabe für ihr Lithium. Gut geschrieben, Ekki.

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 31.10.23 um 11:17:
Grazie, Mondi, sie sind zwar ihren Hofnarren überlegen, bleiben aber hinfällige Kreaturen.
Liebe Grüße
Ekki

 eiskimo (31.10.23, 07:39)
Wer zuletzt lacht.....
Ob Putin sich auch solche Hofnarren hält? Oder abgehalfterte Militärs, die ihn bei Laune halten....
LG
Eiskimo
Taina (39) schrieb daraufhin am 31.10.23 um 07:54:
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 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 31.10.23 um 11:34:
Eine Antwort auf deine Frage, Eiskimo. Ich wäre mir da nicht so sicher, Taina. Gib mal ein: Russischer Humor. Wladimir Putin lacht sich schlapp.

LG
Ekki
Taina (39) ergänzte dazu am 31.10.23 um 11:51:
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 Graeculus meinte dazu am 31.10.23 um 14:09:
Wenn man das auf Putin beziehen möchte, empfehle ich Viktor Jerofejew: Der Große Gopnik. Berlin 2023.
Als einen "Gopnik" bezeichnet man im Russischen einen Petersburger Straßenjungen, der sich in Hinterhofkämpfen nach oben beißen und treten möchte. Jerofejew hält Putin für den Großen Gopnik.
Ja, in Teilen macht er sich auch über ihn lustig - aber seit 2022 aus dem Exil in Deutschland.
Interessant ist der Roman auch durch das Insider-Wissen, denn Jerofejews Eltern gehörten zur Nomenklatura. Solche Details über Molotow habe ich noch nie gelesen.

Weder Stalin noch Putin haben einen Hofnarren zugelassen. Dennoch hat ihre Zeit gute Witze hervorgebracht.

Kann es sein, daß der Hofnarr überhaupt aus der Mode gekommen ist?

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 31.10.23 um 22:11:
Danke für den wertvollen literarischen Tip, Graeculus.
Ich denke, es gibt ihn noch, den Hofnarren, aber man bedient sich seiner seltener und bewusster.
Taina (39)
(31.10.23, 07:55)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 31.10.23 um 13:37:
Stimmt, Taina, sie ist nicht zu verachten, aber nur wenige möchten um dieser Freiheit willen Narr sein.

 AchterZwerg meinte dazu am 31.10.23 um 16:33:
Gute Antwort, Ekki! :devil:

 plotzn (31.10.23, 10:59)
Servus Ekki,

eine sehr stimmige Beschreibung der Gefühlslage von Hofnarren, die ähnlich wie Clowns der Melancholie nahe stehen. Liegt es daran, dass Leute, die andere zum Lachen bringen wollen (im Gegensatz zu denen, die anderen ans Leder wollen) sensibler sind?

Liebe Grüße
Stefan

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 31.10.23 um 13:40:
Merci, das hast du fein erkannt, Stefan. Ohne diese Sensibilität hält sich kein Narr.

Liebe Grüße
Ekki
Teolein (70)
(31.10.23, 11:26)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 31.10.23 um 13:44:
Gracias, Teo,
Das Schichten- und Positionenübergreifende ermöglicht allgemeines Interesse.

Liebe Grüße
Ekki

 AlmaMarieSchneider (31.10.23, 13:10)
Für mich war und ist der Narr seinem König, Fürst usw. und den Hofschranzen immer weit überlegen. Während alle buckeln, sagt er seine Meinung, dazu gehört Größe und Mut. Das Erkennen der Grenzen aber erfordert Intelligenz. Dummheit und Feigheit lacht gern über Intelligenz und Mut.

Wunderbar geschrieben.

Herzlichst
Alma Marie

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 31.10.23 um 13:47:
Vielen Dank, Alma Marie. Der Narr verdient unsere Bewunderung. Dennoch lassen wir uns nicht gern zum Narren halten.

Herzlichst
Ekki

 AchterZwerg (31.10.23, 16:37)
Hallo Ekki,

ich fürchte, auch das Geistreiche fordert seinen Preis.
Bei einem guten Narren liegt der vielleicht darin, dass er selbst keine Miene verziehen darf, indes sich alle anderen vor Lachen auf die Schenkel klopfen ...
Er lächelt allenfalls.

Herzliche Grüße
Piccola

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 31.10.23 um 17:19:
Merci, piccola, so ist es, der ehrliche Narr ist ein ernster Narr,
Herzliche Grüße
Ekki

 GastIltis (31.10.23, 18:24)
Hallo Ekki,
deine Geschichte vom ehrlichen Narren erinnert mich, auch weil der Name in einem Kommentar erwähnt wurde, an einen ehemaligen Arbeitskollegen: Rigoletto. Wie er wirklich hieß, weiß ich nicht. Ich hatte damals, vor über 55 Jahren, in meiner zweiten Arbeitsstelle neu angefangen. Ich kann mich auch an sein Äußeres nicht erinnern. Er war bei uns Tankwart und hatte zu dem „Namen“ Rigoletto noch einen Zusatz: das Blechpferd, weil er ein Blechpferd an einem Mast angebunden hatte, den er neben der Tankstation angebracht hatte. 
Es ist eine Geschichte von maßloser Traurigkeit.
Kurz, eines Tages war Rigoletto verschwunden.
Deswegen werde ich auch nur erzählen, dass er tagelang gesucht und unter unendlich unglücklichen Umständen aufgefunden worden war.
Er war sicher kein Narr, auch kein Hofnarr. Dass man ihm den Namen zuteil werden ließ, lag an seiner körperlichen Erscheinung.
Obwohl ich ihm nie begegnet bin, kommt bei mir die Erinnerung immer wieder mal hoch.
Sei gegrüßt von Gil.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 31.10.23 um 19:21:
Vielen Dank, Gil. Du bringst einen Begriff ins Spiel, der auf manche Clowns und Narren zutrifft: die Traurigkeit, die Narren mit Humor überspielen, wohl wissend, dass ihr Humor die Unzulänglichkeiten nur erträglich macht, aber nicht beseitigt.
Herzlich
Ekki

 Saira (31.10.23, 19:52)
Lieber Ekki,
 
ich denke, der Narr am Hofe musste sein wahres Ich zumeist verstecken, denn er sollte lustig sein und klug genug, um die Herrschaften durch seine Späße auf ihre eigene Vergänglichkeit aufmerksam zu machen, die nur so weit gehen durften, dass darüber gelacht werden konnte. War er dazu nicht mehr in der Lage, konnte er sein Leben verlieren und es wurde nach einem neuen Narren gesucht.
 
Ein Mensch, der immer nur eine Rolle spielen muss und mehr oder weniger in Illusionen lebt, wird sich natürlich nach einem Leben sehnen, in dem er sein Ich leben kann.
 
Eine nachdenklich stimmende Charakterisierung.
 
Liebe Grüße
Sigi

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 31.10.23 um 21:33:
Vielen Dank für diese Interpretation, Sigi, die ganz im Sinne 
meiner Charakteristik ist.

Liebe Grüße
Ekki
Agnete (66)
(31.10.23, 21:42)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 31.10.23 um 22:01:
Merci, Agnete,
wahre Narren wählen ihre Freunde sorgfältig, um sich nicht z
um Narren zu machen.
Grüße von Ekki

 Tula (31.10.23, 21:49)
Hallo Ekki
Ich las mal irgendwann, dass Narren von Kindheit an bewusst im Körperwuchs gewissermaßen verstümmelt wurden, damit sie auch eine 'echte Narrenfigur' bekamen. Denken wir dabei an Bonsai.
Ob das historisch belegt ist, wer weiß. Aber ich halte es für möglich. Narren waren nicht mehr als Leibeigene, die man als Herr bei zu viel Frechheit auch mal ganz aus Spaß erschlagen konnte.
Kein schönes Dasein.

LG
Tula

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 31.10.23 um 22:04:
Vielen Dank, Tula,
Narren sind keine Schönheiten und leben gefährlich. Aber man schätzt sie mehr als ihre Herren.
LG
Ekki

 RainerMScholz (31.10.23, 22:37)
Beschränktheit des Wortes: Auch wenn du in den Büchern auftauchst, in Geschichten, vielleicht in Religionen, bist du dennoch gestorben durch die Gewalt derer ohne Wort.
Und was wissen wir schon von den Myriaden, die vor uns starben oder währenddessen wir noch atmen, die hinweggefegt wurden von der Geschichte, namenlos, wesenlos, und auch von jenen, denen wir unsere Geschichte einhauchen, ohne sie je kennen zu vermögen. Was oder wen kennen wir schon. Ein Narr, wer anderes glaubt, ein unbenannter Clown.
Das Klicken eines Schalters und alles Geschriebene ist hinfort, nicht einmal mehr der Teil einer Geschichte; ein Brand und Bibliotheken gehen in Rauch auf; Wasser begräbt Wissen unter sich; Kulturen entschwinden in Stürmen. Alles währt nur kurz und für den Hauch eines Augenblicks und keiner kann gewiss sein. Vielleicht hilft ein Lachen, ein Blick, ein Seufzen, und dann erst das Nichts. Erst dann.
Es waren nicht die weißen Säulen und Skulpturen - es waren buntfarbige.
Grüße,
R.

Kommentar geändert am 31.10.2023 um 23:22 Uhr

Kommentar geändert am 31.10.2023 um 23:32 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.11.23 um 09:39:
Ein besonders interessanter Beitrag, Rainer, der den Narren sub specie aeternitatis sieht.

LG
Ekki

 AZU20 (02.11.23, 09:59)
Dieser Trost ist entscheidend. LG
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