12 - Zwei Fragen

Erzählung zum Thema Aufwachen

von  TassoTuwas

Dieser Text ist Teil der Serie  Ferne Lichter so nah.
Dorothee nahm die Ausfahrt von der Ringstraße mit singenden Reifen. Von hier bis nach Hause waren es nur wenige hundert Meter und es gab kaum Verkehr. Die Schranke zur Garageneinfahrt war, wie fast immer um diese Zeit, noch geöffnet und so gelangte sie ohne Verzögerung zu ihren Stellplatz, direkt neben Roberts Limousine. Die Tatsache dass Roberts Wagen am gewohnten Platz parkte, er aber telefonisch nicht zu erreichen gewesen war, als sie versuchte, ihn von der Tierklinik anzurufen, verwirrte sie, denn in der Firma hatte man ihr versichert, Robert hätte etwas früher sein Büro verlassen, aber hinterlassen, in dringenden Fällen wäre er zu Hause erreichbar.
Mit Pascha auf dem Arm eilte Doro zum Lift. Die Fahrt hinauf schien eine Ewigkeit zu dauern, eine Zeit in der ihr die absonderlichsten Gedanken, was sie denn wohl gleich vorfinden würde, durch den Kopf rasten, aber nicht einer ergab einen Sinn. Als sich endlich die Fahrstuhltür aufschob, spürte sie einen leichten Luftzug, Die Türen zur Diele standen offen und in allen Räumen brannte das Licht. Sie setzte Pascha unsanft ab, hastete durch die Diele zum Wohnzimmer, sah das zerborstene Grammphon auf dem Boden, hetzte über die Trümmer, vorbei an dem auf dem Tisch liegenden Blumenstrauß und einer leeren Whiskyflasche zur Terrassentür. Da sah sie Robert.
Robert stand auf der Mauer, das Glas war ihn aus der Hand geglitten und er sah ihm ungläubig nach, wie es in die Finsternis fiel, tiefer und tiefer, kleiner wurde bis er es nicht mehr erkennen konnte. Er beugte sich vor, starrte in die Tiefe, schwankte, ging in die Knie, um am Mauerrand Halt zu suchen, griff ins Leere, ruderte mit den Armen, das Gleichgewicht zu finden und verlor es.
Durch den Nebel sah er eine Hand auf sich zu kommen. Sie griff nach ihm umklammerte sein Handgelenk, riss ihn mit aller Kraft zurück, er stürzte.
Wie vor dem "Four Seasons", als sie ihn damals im letzten Augenblick in den gepanzerten Wagen gezerrt hatten, rollte es ihm, vergleichbar einem altem Schwarzweißfilm durch den Kopf, und er war sich sicher, wieder in Beirut zu sein.

Doro hatte nicht einmal Zeit zum Schreien gefunden. Sie kniete neben ihm.
"Hast du Schmerzen?"
Er sah sie aus glasigen Augen an, dann nickte er,
"Ja, große!"
"Rühr dich nicht...", sagt Doro, "...ich rufe einen Krankenwagen".
Robert tastete nach ihrem Arm, hielt sie fest.
"Ich hatte eine wunderbare Rede vorbereitet...", er gab sich große Mühe verständlich zu sprechen, "...aber ich hab sie vergessen, total vergessen, ... das tut weh!"
Doro strich ihm über die Wangen.
"Gleich wirst du schlafen, und wenn du morgen aufwachst, wirst du dich erinnern".
Robert lächelte, zog Doro an sich und flüstert, "Zwei Fragen hätte ich noch".
"Vielleicht kann ich sie dir beantworten", sagte Dorothee sanft.
"Du kannst...", Robert lächelte, das Lächeln, das Dorothee so sehr an ihm liebte, "...wie kommst du nur so schnell nach Beirut, und zweitens, willst du mich heiraten, mitten im Bürgerkrieg?"

                                                                      E N D E

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Kommentare zu diesem Text


 LottaManguetti (01.10.20)
Hab alles gelesen, nur zu wenig Zeit zum Kommentieren ...
Verzeihste mir?

:*
Lotta

 TassoTuwas meinte dazu am 01.10.20:
Sei ehrlich, es kam dir bekannt vor!

LG ♥
TT

 EkkehartMittelberg (01.10.20)
hallo Tasso,
es gibt Autoren, die ein happy end wie die Pest meiden, weil sie es für kitschverdächtig halten. Du bist der optimistischen Grundhaltung deiner Erzählung treu geblieben. Wenn der Bürgerkrieg nicht zu verhindern ist, soll wenigstens die Liebe siegen.
Herzliche Grüße
Ekki

 AZU20 antwortete darauf am 01.10.20:
Das sehe ich auch so. LG

 TassoTuwas schrieb daraufhin am 01.10.20:
Ekki, du kennst mich als unerschrockenen, knallharten, kompromisslosen Draufgänger!
Ehrlich gesagt, das hält man auf Dauer nicht durch, also gestatte ich mir regelmäßig ein paar Weicheitage
Nicht weitersagen!
Herzliche Grüße
TT

 TassoTuwas äußerte darauf am 01.10.20:
AZU, du hast den Durchblick
LG TT

 regenfeechen (01.10.20)
Von Anfang bis Ende gelesen, spannend, so wie das Leben Geschichten schreibt.
Dinge, die man nie vergessen kann, und dann einen Menschen an der Seite haben, der da ist und versteht.
Und die Liebe siegt....
was gibt es Schöneres.
Danke dafür
und ich wünsche dir eine gute Zeit
das Regenfeechen

 TassoTuwas ergänzte dazu am 01.10.20:
Hallo Regenfeechen,
anderen eine Freude zu machen, ist auch Grund sich selbst zu freuen!
Herzlichen Dank für deinen Kommentar.
Er ist schon etwas Besonderes, denn du wirfst, wie ich glaube, nicht für alles und jedes mit Sternchen um dich.
Sei herzlich gegrüßt
TT

 regenfeechen meinte dazu am 02.10.20:
Hallo Tasso,
dein Text hat mir sehr gefallen und hat ja Sternchen verdient, und ja, die bekommt nicht jeder.
Ich wünsche dir heute viele Sonnenstrahlen
Regenfeechen

 TassoTuwas meinte dazu am 02.10.20:
Wünsch ich dir fürs ganze Wochenende

 regenfeechen meinte dazu am 06.10.20:
D A N K E

 Moja (01.10.20)
Und ich habe Dich noch zur Eile angetrieben in meiner Neugier - was für ein schlechtes Benehmen - gut, dass Doro so raste und eine patente Frau ist, die im richtigen Moment weiß, was sie zu tun hat - Ende gut, fast alles gut... Mit leichter Hand geschrieben!

Leichtfüßige Grüße,
Moja

 TassoTuwas meinte dazu am 01.10.20:
Ja Moja, du hast kräftig die Peitsche geschwungen!
Aber nun haben wir die Zwei also gemeinsam da hin gebracht, wo sie ja schon längst hingehörten.
Liebe Grüße aus frohem ♥
TT
Al-Badri_Sigrun (61)
(01.10.20)
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 TassoTuwas meinte dazu am 02.10.20:
Hallo Sigrun,

ich werde die drei auch in Zukunft im Auge behalten!
Vielleicht kann ich dann von vieren oder mehreren berichten
Schaumerma!

Liebe Grüße
TT

 TrekanBelluvitsh (02.10.20)
Es heißt ja, Hunde halten die Menschen für Götter, weil sie ihnen Nahrung geben und Katzen halten sich selbst für Götter, weil sie von den Menschen Nahrung bekommen. Und wie die antiken Götter hat dieser Pascha ein böses Spiel mit seinen Menschen getrieben.Bestimmt auch nur zu seinem Spaß und mit voller Absicht. Aber als Tierfreund wolltest du das so natürlich nicht schreiben.

Es ist schon erstaunlich, wie bei einem Mangel an Informationen die Intuition ins Spiel kommt - und wie schnell sie daneben liegen kann. Denn unsere Ängste und Befürchtungen beherrschen uns stärker, als wir zugeben wollen.

So ist es kein Wunder, das dieses Thema - Mangel an Informationen und was der Mensch daraus macht - immer wieder von Autoren aufgegriffen wird. So wie du es gemacht hast. Dabei hast du dich einer Mischung aus ernstem und leichtem Tonfall bedient, ohne das Ernste melodramatisch werden zu lassen und das Leichte hat die Figuren nicht der Lächerlichkeit preis gegeben. Gute Geschichte, gut geschrieben.

 TassoTuwas meinte dazu am 02.10.20:
Danke für deine erklärende Sichtweise auf diese eigentlich kurze Erzählung, deren Geschehen sich ja nur über einem Zeitraum von wenigen Stunden erstreckt. Aber, die durch eine verletzte, beidseitige Sturheit und falschen Stolz, gewachsenen Ängste, lassen ganze Filme der Erinnerung ablaufen!
Kurz, wie mein Oma schon sagte, das größte Elend des Menschen, ist das, welches er sich selbst antut.
Ein "Happyend" war also unvermeidlich
TT

 Didi.Costaire (02.10.20)
Hallo Tasso,

ich habe ja bereits beim zweiten Teil zwei Fragen gestellt und die richtige Lösung zur zweiten Frage, denke ich, auch genannt.

Nun ist es vorbei und jeder weiß Bescheid.

Beifall!

Good-bye,
Dirk

 TassoTuwas meinte dazu am 03.10.20:
Hallo Dirk.
ich gebe zu diese Geschichte aus niederen Beweggründen geschrieben zu haben.
Es war Absicht bereits in zweiten Kapitel die Kernfrage zu beantworten, um dann den Leser zehn weitere Kapitel im Unklaren zu lassen, ob es denn so kommt, wie vermutet!
Reine Schikane und jeder wusste Bescheid!
Herzlichen Dank fürs Mitmachen
TT

 plotzn (03.10.20)
Hallo Tasso,

eigentlich lese ich ja keine Katzengeschichten, aber diese hat es mir angetan. Und dann auch noch ein Happy End - alter Romantiker!

Schade, dass es jetzt schon zuende ist, aber Du hast Dir ja eine fortsetzung offen gehalten...

Liebe Grüße,
Stefan

 TassoTuwas meinte dazu am 03.10.20:
Mein lieber Stefan,
ich weiß, wie sehr du bis hier her gelitten hast!
Ich danke dir, dass du mir trotzdem bis zum Ende gefolgt bist.
Jetzt lass ich das junge Glück allein und denk mir was Böses aus
Herzliche Grüße
TT
Fisch (55)
(03.10.20)
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 TassoTuwas meinte dazu am 03.10.20:
Verehrter Fisch, gut dass ich jetzt weiß, was du auf keinen Fall in einem Text vorfinden möchtest. In meinem nächstes Machwerk werde ich zusätzlich auf Pommes-Buden, Eierhandgranaten, Zimtgebäck, Dixi Klos und Schwiegermütter, die ich wiederum nicht leiden kann, verzichten.
Die Meinungsäußerung eines Lesers ist mir prinzipiell niemals nicht egal, doch in deinem Fall breche ich diese Regel und zwar gern!
Dein seltenes Geblubber ist mir stets willkommen
LG TT

 harzgebirgler (06.11.20)
auf krieg kann welt verzichten
auf lieb' jedoch mitnichten.

gekonnt geschrieben, gern gelesen!

lg
harzgebirgler

 TassoTuwas meinte dazu am 07.11.20:
So einfach wär das Leben auf der Welt
wie kommt´s dass keiner sich dran hält?

Dank und Gruß
TT

 AvaLiam (13.11.20)
Mein lieber Tasso,

nachdem ich mich vom Schrecken erholt habe und wirklich sehr froh bin, dass du der Geschichte nicht mehr Spannung als nötig und kein überladenes Happy End zugeschrieben hast, möchte ich mich bedanken für diesen Ausflug in den Libanon, in den Frieden und in die Liebe.

Ich hoffe, Pascha hat sich schnell erholt, wie auch Robert.

Mir gefällt der Erzählstil sehr gut. An keiner Stelle fand ich zu viel Aktion - oder zu wenig.
Kein Satz war zu lang. Oder zu kurz.

Ich würde gern eine Fortsetzung lesen.
Vielleicht über den Wandel von Pascha zum Vegetarier, eine Hochzeit von Doro und Robert mit Pleiten, Pech und Pannen und trotzdem ganz viel Charme und Schmetterlingen.

Und vor allem vom Frieden....und dem Heilen der Wunden in den Erinnerungen.


Danke für diese Geschichte.
Herzlichst - Ava

 TassoTuwas meinte dazu am 14.11.20:
So liebe Ava,
da haben wir nun zu dritt das "Happyend" geschafft!
Unterstützt wurde ich dabei von einem Kater und einer Flasche Whisky
Wärst du in der Nähe, würde ich mit dir mit einem Gläschen auf das Paar anstoßen und ihnen eine lange gemeinsame Zukunft wünschen!
Herzliche Grüße
TT

 harzgebirgler (03.09.21)
beim libanon, der scheint's vorm kollaps steht,
ist fraglich wohin noch die reise geht.

lg
harzgebirgler

 TassoTuwas meinte dazu am 03.09.21:
Und auch das Reiseziel Afghanistan
bietet sich seit kurzem nicht mehr an!

Gruß und Dank
TT
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