Was macht einen perfekten Aphorismus aus?

Gedanke zum Thema Literatur

von  Graeculus

Schauen wir uns einmal einen an. Der folgende stammt von dem US-amerikanischen Autor Ambrose Bierce (geb. 1843, verschollen 1913/14), und zwar aus seinem „Wörterbuch des Teufels“:

Köder subst. masc.
Was einen Haken genießbarer macht. Der beste Köder ist Schönheit.


Wir sehen:
Ein Aphorismus ist 1. sehr kurz und bringt das, was er zu sagen hat, ohne jeden sprachlichen Zierrat präzise auf den Punkt. Der Aphorismus ist der Minimalist in der Literatur.

Bei aller Kürze hat er 2. eine witzige Pointe. Hier wird der Köder nicht in der üblichen lexikalischen Weise definiert, sondern als etwas, das einen Haken – etwas Unangenehmes also – „genießbarer“ macht. Nicht ganz so schlimm erscheinend, wie er eigentlich ist, ironisch formuliert.

Und 3. gibt der Aphorismus Stoff zum Nachdenken, er regt an. Nicht so gut wäre es, nähme er dem Leser die eigene Anstrengung ab. Bierce definiert den Köder durch seine Funktion, nämlich für den Haken. Dies zwingt uns, beim zweiten Aspekt, dem mustergültigen Köder, der Schönheit, darüber nachzudenken, worin denn deren Funktion für welchen Haken besteht:
Köder --> Haken
Schönheit --> ?

In Falle eines perfekten Aphorismus kommt noch 4. eine Irritation des Lesers hinzu, welche den anregenden Effekt verstärkt. Nur scheinbar besteht hier sein Thema im Köder; in Wahrheit handelt es sich um eine Aussage über etwas ganz anderes, das überhaupt nicht ausgesprochen wird. Nicht einmal das Wort fällt. Das eigentliche Thema ist ... Wir müssen es uns denken. Worin besteht der Haken, wenn wir der Schönheit begegnen? Und da reden wir nicht von Blümchen und netten Eichhörnchen.

Ein perfekter Aphorismus kann uns Stunden beschäftigen. Schon deshalb sollte er nicht inflationär eingesetzt, sondern in Maßen genossen werden. Seien wir ehrlich: In dieser Qualität gelingt er auch nur selten; und was nicht gelungen ist, muß nicht das Licht der Öffentlichkeit erblicken.



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Kommentare zu diesem Text


 TassoTuwas (08.11.22, 09:10)
Die fünfte wichtige Eigenschaft, weil genretypisch, hast du leider nicht erwähnt.
Obwohl sie am leichtesten zu erkennen ist, und trotzdem im hohen Maße missachtet wird oder nicht bekannt ist.

LG TT
Taina (39) meinte dazu am 08.11.22 um 09:55:
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 TassoTuwas antwortete darauf am 08.11.22 um 10:20:
Dann sag ich, beides.

 Graeculus schrieb daraufhin am 08.11.22 um 16:00:
Unter 5. kann ich mir nur die häufig anzutreffende Neigung zu antithetischen Aussagen vorstellen. Ist das substantiell?
("Alle Götter waren unsterblich." Stanislaw Jerzy Lec)

 AngelWings äußerte darauf am 08.11.22 um 17:29:
Muss dazu schreiben diese Worte bedeutet. 


  •  eb443f);">Laut dem Duden ist ein Aphorismus ein "prägnant-geistreicher, in sich geschlossener Sinnspruch in Prosa, der eine Erkenntnis, Erfahrung, Lebensweisheit vermittelt".

 TassoTuwas ergänzte dazu am 08.11.22 um 18:06:
Graeculus,
die Dudendefinition sagt es, es ist ein Prosatext !

 Graeculus meinte dazu am 08.11.22 um 21:36:
die Dudendefinition sagt es, es ist ein Prosatext !

Ach so. Das habe ich vorausgesetzt, wollte auch keine Definition angeben, sondern Qualitätskriterien.

 TassoTuwas meinte dazu am 09.11.22 um 00:47:
Dass du das weißt hab ich mir gedacht.
Unter dem Genre Aphorismus werden hier aber immer wieder Epigramme gepostet!
(was mich ärgert)

Antwort geändert am 09.11.2022 um 00:48 Uhr
Taina (39) meinte dazu am 09.11.22 um 00:56:
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 Graeculus meinte dazu am 09.11.22 um 14:18:
Diese Gleichgültigkeit gegenüber literarischen Kategorien ist weit verbreitet. Manche spielen sogar damit, indem sie bewußt unpassende Schubladen verwenden. "Nichtmal ignorieren!" (Nestroy)

 TassoTuwas meinte dazu am 09.11.22 um 14:39:
Heftiges Kopfnicken meinerseits!

 Graeculus meinte dazu am 09.11.22 um 15:39:
Die Menschen sind nicht so, wie wir sie uns wünschen. Soll auch so sein ... und wir können uns ja bemühen, besser zu sein.

 Graeculus meinte dazu am 09.11.22 um 15:44:
Lesenwert in diesem Zusammenhang übrigens von TassoTuwas:

https://keinverlag.de/413842.text

 TassoTuwas meinte dazu am 10.11.22 um 00:39:
:) !

 Graeculus meinte dazu am 10.11.22 um 13:10:
Zufallsfund, paßte perfekt.

 LotharAtzert (08.11.22, 09:36)
Daß ausgerechnet ein Fisch über den Haken reflektiert (Anglerlatein), überrascht nicht. 
In Falle eines perfekten Aphorismus kommt noch 4. eine Irritation des Lesers hinzu
- dazu brauch ich mit dem Fische-AC erst gar nicht anfangen.

Kommentar geändert am 08.11.2022 um 09:39 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 08.11.22 um 16:02:
Aber Deine Texte sind oft irritierend, insofern sie gängige Erwartungen enttäuschen. Und Deine Aphorismen sind schon etwas speziell.

 LotharAtzert meinte dazu am 08.11.22 um 17:21:
Soso, aha ...

gerade hab ich die Lauterbachforelle gelöscht.

 Graeculus meinte dazu am 08.11.22 um 21:38:
Fürchte, daß weder das Löschen noch die Mitteilung ein Aphorismus sind. Aber lecker kann's sein.
Taina (39)
(08.11.22, 09:51)
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 LotharAtzert meinte dazu am 08.11.22 um 10:53:
Ohne Salz schmeckt alles fad, aber mit zuviel Salz wird die Speise ungenießbar, odr?
Taina (39) meinte dazu am 08.11.22 um 10:57:
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 Graeculus meinte dazu am 08.11.22 um 16:05:
Es gibt Aphorismen mit mehreren Pointen?

Hm. Man könnte eine Gedichtzeile Gottfried Benns zu einem Aphorismus umformulieren, dann hat man zumindets zwei Pointen: "Die Krone der Schöpfung ist das Schwein, der Mensch."

1. die Enttäuschung, daß auf "die Krone der Schöpfung" nicht "der Mensch" folgt, 2. daß er dann doch folgt, aber in Identifizierung mit "das Schwein".
Taina (39) meinte dazu am 08.11.22 um 16:54:
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 Graeculus meinte dazu am 08.11.22 um 21:39:
Na gut. Aber es gibt tatsächlich raffinierte Aphorismen mit mehr als einer Pointe.
Und Meister dieser Kunst: Lichtenberg, Nietzsche, Lec usw.
Ferdi (70)
(08.11.22, 09:53)
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Taina (39) meinte dazu am 08.11.22 um 11:25:
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 Graeculus meinte dazu am 08.11.22 um 16:07:
Weder Abschaffung noch Verbannung stehen in meiner Absicht; ich empfehle lediglich Zurückhaltung.

Man kann vielleicht verallgemeinernd sagen: Wenn in Deutschland jährlich 100000 neue Bücher erscheinen, dann ist 1 % Lesenswertes schon hoch gegriffen.
Ferdi (70) meinte dazu am 08.11.22 um 16:55:
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Ferdi (70) meinte dazu am 08.11.22 um 17:53:
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 Graeculus meinte dazu am 08.11.22 um 21:42:
Ich meine, daß hier ziemlich viele Aphorismen erscheinen. Hast Du nicht selber heute einen veröffentlicht?

Bierces Verschwinden ist ziemlich berühmt, und tatsächlich weiß man bis heute nicht genau, was mit ihm geschehen ist. Es gibt einige deutliche Hinweise darauf, daß er in irgendeiner Weise den Tod gesucht hat. Es war Zeit für ihn.
Taina (39) meinte dazu am 09.11.22 um 00:10:
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 Graeculus meinte dazu am 09.11.22 um 14:24:
Doch, doch - freiwillig war das! Es gibt Abschiedsbriefe wie diesen:

Good-bye - if you hear of my being stood up against a Mexican stone wall and shot to rags please know that I think that a pretty good way to depart this life. It beats old age, disease, or falling down the cellar stairs. To be a Gringo in Mexico - ah, that is euthanasia!

[Ambrose Bierce, Letter to Lora Bierce, Oct. 1, 1913]

Was es nicht gibt, ist irgendein Beleg dafür, daß er tatsächlich nach Mexico gegangen ist, wo damals ein Bürgerkrieg wütete. Er hat noch einmal die Schlachtfelder des Sezessionskrieges besucht, auf denen er als junger Mann gekämpft hatte; danach verliert sich seine Spur. Ein Biograph sieht Anhaltspunkte dafür, daß die Mexico-Hinweise eine Ablenkung sein sollten und Bierce sich in einem abgelegenen Seitental des Grand Canon erschossen hat. Er selbst hat es jedenfalls so empfunden: Es war Zeit für ihn. Es war ihm "euthanasia".

 Graeculus meinte dazu am 09.11.22 um 14:25:
In Bierce kann ich mich gut hineinversetzen. Er ist einer der Menschen, die mir am nächsten stehen.

 AngelWings meinte dazu am 09.11.22 um 18:17:
Um die Zeit auch Beginn der Mexiko Mafia.

 AngelWings meinte dazu am 09.11.22 um 19:30:
Er sah Tod in Auge, und wusste das er nicht mehr lebtig zurück kommen wird. Es gibt viele in Krieg sind, deswegen diesem Abschiedsbrief. Dreckig Hund hat auch
Soldat an Freund und Familie geschrieben, bevor sie in Krieg gezogen ist.

 Graeculus meinte dazu am 10.11.22 um 13:11:
Du kennst Ambrose Bierce?

 Saira (08.11.22, 10:02)
Für mein Empfinden beschreibst du mit deinem Gedanken den perfekten Aphorismus.

Hut ab!

LG
Sigrun

Kommentar geändert am 08.11.2022 um 10:31 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 08.11.22 um 16:11:
Das freut mich. Ich wäre froh, wenn es mir gelänge, ab und zu auch mal einen zu schreiben.

Gottfried Benn soll gesagt haben, von seinen Gedichten seien nicht mehr als 5 oder 6, die wirklich zählten.
Wenn es wirklich um Unersetzliches in der Literatur geht, dann liegt die Meßlatte hoch.

 AlmaMarieSchneider (08.11.22, 11:08)
Ja, die Schönheit IST der Haken. Ob er immer bekömmlich ist? Letztendlich wohl oft eine Fata Morgana.

Liebe Grüße
Alma Marie
Taina (39) meinte dazu am 08.11.22 um 11:29:
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 Graeculus meinte dazu am 08.11.22 um 16:13:
Schönheit ist ein Köder. (Daß manche Fische/Menschen ihn nicht einmal brauchen, ändert daran m.E. nichts.) Und worin besteht der Haken dahinter? Bierce wußte es, ich weiß es. Wenn ich in meinem Leben auf irgendetwas hereingefallen bin, dann auf Schönheit. Sie ist so verlockend.

 Polarpalme (08.11.22, 13:44)
War nicht der perfekte Aphorismus von je her jener, den zu schreiben man sich verkniff?

 LotharAtzert meinte dazu am 08.11.22 um 14:04:
Ich riet mir sogar vom Kommentieren ab, aber das Fleisch, das schwache Fleich ...

 Graeculus meinte dazu am 08.11.22 um 16:15:
An Polarpalme:

Der perfekte Aphorismus ist der, den man nicht schreibt? Nein, das meine ich nicht - manche sind einfach großartig; es gibt nur zu viele davon.

 Graeculus meinte dazu am 08.11.22 um 16:15:
An LotharAtzert:

Plaudertaschen sind wir - alte Männer, die das Wasser nicht halten können.

 AlmaMarieSchneider meinte dazu am 08.11.22 um 16:27:
Im Sommer wärs halt vorteilhaft. Ich habe einen durstigen Garten

 Graeculus meinte dazu am 08.11.22 um 16:30:
Wie steht's, Lothar, fahren wir im Sommer zu Alma?

 Graeculus meinte dazu am 08.11.22 um 16:31:
Sofern wir dann noch unter den Lebenden weilen. Schließlich sind wir in einem Alter, in dem man schon nicht mehr ohne Bedenken grüne Bananen kaufen kann.

 AlmaMarieSchneider meinte dazu am 08.11.22 um 16:33:
Ja, warum denn nicht. Aber bitte mit Wasser

 LotharAtzert meinte dazu am 08.11.22 um 17:28:
Almas Garten, das klingt schon nach einer Verheißung. Machen wir, Graeculus.

 Graeculus meinte dazu am 08.11.22 um 21:43:
Oh, und dann müssen wir in ihren Garten pinkeln. Wo ich doch so genant bin! Lieber bringe ich einen 10-Liter-Eimer voll Wasser mit.
Taina (39) meinte dazu am 09.11.22 um 00:34:
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 Graeculus meinte dazu am 09.11.22 um 14:27:
Alma ist immer freundlich! Und wir besprechen, wie wir ihrer freundlichen Einladung folgen und ihren Garten befeuchten können.

 LotharAtzert meinte dazu am 09.11.22 um 15:23:
und ich würde auch meinen "Stein der Weisen" mitbringen, einen Urinstein aus dem späten 19. Jh. od. eventuell schon Biedermeier.

 Graeculus meinte dazu am 09.11.22 um 15:38:
Interessant, dieser Stein der Weisen. Und wir träfen einander sozusagen auf neutralem Boden.

 AlmaMarieSchneider meinte dazu am 09.11.22 um 16:29:
Ich hätte da noch ein paar Gallensteine. Auch "Steine der Weisen"? 


 Graeculus meinte dazu am 10.11.22 um 13:12:
Kennt jemand sog. Hühnersteine? Da habe ich einen.

 Tula (08.11.22, 16:52)
Hallo Graeculus

Eine gute Analyse zu einem literarisch diskussionswürdigen Thema, denn nicht alle Aphos sind wirklich 'knackig'. 

Ein Versuch einer kurzen Definition:

Aphorismus = Weisheit + Sprachwitz 

Sprachwitz schließt natürlich sowohl Humor als auch Originalität mit ein. 

LG
Tula

 Graeculus meinte dazu am 08.11.22 um 21:46:
Der Definiton kann ich mich anschließen. Zählt denn zu Sprachwitz auch das, was mich am vorliegenden Aphorismus so begeistert? Daß nämlich Bierce das, was er eigentlich meint, gar nicht ausspricht, sondern es uns überläßt, das herauszufinden. Was ist der Haken, dessen Köder die Schönheit ist? Will sagen: das, was hier nicht gesagt wird, ist wichtiger als das, was gesagt wird.
Kennst Du diese Faszination für Ungesagtes?

 Tula meinte dazu am 08.11.22 um 21:50:
Hallo Graeculus
Von dieser Faszination lebt die Lyrik! Nicht ausschließlich, aber die Kunst etwas poetisch durch die Blume zu sagen kommt ohne das Ungesagte nur schwer aus.

Bei einem guten Witz verhält es sich natürlich ähnlich  ;)

LG
Tula

 Graeculus meinte dazu am 08.11.22 um 22:03:
Das stimmt, die Kunst des Andeutens ist nicht auf den Aphorismus beschränkt.
Da gibt es doch die berühmte Lotos-Predigt des Buddha. Ein Vortrag von ihm über den Weg zur Erlösung wird angekündigt. Buddha setzt sich in Meditationshaltung vor das Auditorium und sagt nichts. Das Publikum wird unruhig, weil es etwas hören will. Nur ein Zuhörer lächelt still. Da erhebt sich Buddha, verneigt sich vor ihm und überreicht ihm eine Lotosblume.
Eine komplette Predigt ohne ein einziges Wort!

Derlei gibt es auch in der taoistischen Tradition. Gerade ich, an Logorrhöe leidend, bin davon fasziniert.
Jarina (33)
(08.11.22, 17:24)
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 Graeculus meinte dazu am 08.11.22 um 21:48:
Kriterien 1 - 3: guter Aphorismus.
Kriterium 4: perfekt. Die Kunst, auf das Gemeinte zu zeigen, ohne es auszusprechen.

Kannst Du damit etwas anfangen?
Jarina (33) meinte dazu am 09.11.22 um 00:20:
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 Graeculus meinte dazu am 09.11.22 um 14:29:
Perfektion werde ich nicht erreichen. Oder allenfalls mit einem oder zwei Sätzen. Du aber gib Dir Mühe. Wer sie nicht anstrebt, wird nicht einmal gut. (Meine Meinung)

 AngelWings (08.11.22, 18:27)
Da kann nur sagen Fleisch luste. Wenn Schönheit an Haken nimmt.

 Graeculus meinte dazu am 08.11.22 um 22:04:
Ich verstehe nicht.

 EkkehartMittelberg (08.11.22, 19:08)
Hallo Graeculus,

ein sog. perfekter Aphorismus wird wahrscheinlich immer jemanden zum Widerspruch reizen, aber ich kann mir vorstellen, dass einige gute Aphorismen keinen Einspruch provozieren.

LG
Ekki

 Graeculus meinte dazu am 08.11.22 um 21:54:
Das mag, lieber Ekkehart, ein Unterschied sein. Mir fallen jedenfalls einige Aphorismen ein, die spontan dermaßen einleuchten (und zugleich witzig sind), daß man keinerlei Neigung zu widersprechen hat. Etwa den jiddischen Spruch: "Gott liebt den Armen, und dem Reichen gibt er."

Die Perfektion aber, die höchste Form also, die ich im vorliegenden Fall sehe, ist die, das Gemeinte gar nicht auszusprechen, den Leser zunächst in die Irre zu führen (als ob es hier um eine Definition des Köders ginge!), ihn dann, wenn er darüber nachdenkt, stutzen und schließlich selbst auf den Gedanken kommen zu lassen. Das ist solch eine raffinierte Form von Kommunikation!

Auch über Gottfried Benns "Gott ist ein ungünstiges Stilprinzip" kann bzw. muß man viel nachdenken.
Taina (39) meinte dazu am 09.11.22 um 00:59:
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 Graeculus meinte dazu am 09.11.22 um 14:37:
Ekkeharts Aphorismen (und überhaupt Texte) sind liebenswert ... und entsprechend beliebt. Kein Zweifel.

Wir sind hier bei kV. In den Sphären der Weltliteratur aber - und es sollte erlaubt sein, darüber zu sprechen - läßt sich fragen, ob da noch andere Kriterien gelten. Sphären, in denen ich oft ein freudig erregter Gast bin, selbstverständlich kein Mitglied.

 Augustus (08.11.22, 20:35)
Seine Existenz auch nach 2000 Jahren.

 Graeculus meinte dazu am 08.11.22 um 21:56:
Nach dem Motto: "Was sich so lange erhält, muß einen Wert haben." Ja, das sehe ich ein.
Etwa das Wort des Sokrates: "Heirate oder laß es bleiben, in zehn Jahren bereust du es auf jeden Fall."

 AngelWings meinte dazu am 08.11.22 um 22:16:
Man muss nicht Heirat! Ich lebe auch schon 10 mit Partner zusammen und  ich bereue nicht, geteilt das Leben ohne Fingerschellen ist viel einfach geworden.

Antwort geändert am 08.11.2022 um 22:18 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 08.11.22 um 22:21:
Das ist jetzt aber kein Aphorismus, oder?

 AngelWings meinte dazu am 08.11.22 um 23:02:
Meister des Aphorismus
„Der längste Atem gehört zum Aphorismus. ...
„Säkularisation: Die Kirche hat einen guten Magen. ...
„Der Parlamentarismus ist die Kasernierung der politischen Prostitution. ...
„Seine Überzeugung ging ihm über alles, sogar über das Leben. ...
„Was sich alles entpuppen kann: ein Schurke und ein Schmetterling.

 Graeculus meinte dazu am 10.11.22 um 13:13:
Bierce?

 Terminator (09.11.22, 05:44)
was nicht gelungen ist, muß nicht das Licht der Öffentlichkeit erblicken.
ist ein Aphorismus. So wäre er ein guter Aphorismus:

Was nicht gelungen ist, muß nicht das Licht der Öffentlichkeit erblicken. Das gilt nicht nur für Literatur.

Lässt sich daraus noch ein perfekter Aphorismus schmieden?

 Graeculus meinte dazu am 09.11.22 um 14:39:
Nach meinem Kriterium wohl etwa so:
"Und jetzt trägt uns Graeculus einen perfekten Aphorismus vor! Bitte, Kollege Graeculus!"
Graeculus: schweigt.

Aber nein, das wäre nicht perfekt; das habe ich von Buddha abgekupfert.

 AngelWings (09.11.22, 11:39)
Haken ist an ein Fischerangle. Nicht bloß Frau auch Mann kann mit Schönheit tausend, und liebste Fang gehen. 
Aphorismus ist nicht Sprüche sondern auch das Leben.

 Graeculus meinte dazu am 09.11.22 um 14:42:
Selbstverständlich gilt Schönheit als Köder auch im Falle von Männern. Bierce hat ja das Geschlecht nicht erwähnt, auch wenn man zu seiner Zeit noch die Frauen "das schöne Geschlecht" (the fair sex) nannte ... woraus Bierce übrigens in einer anderen Bosheit "the unfair sex" gemacht hat. Man nante ihn halt "Bitter Bierce".

 AngelWings meinte dazu am 09.11.22 um 18:26:
1967 wurde eine erweiterte Version The Devil’s Dictionary von Ernest J. Hopkins veröffentlicht, die auch die Wortdefinitionen von Bierce aus den Wochenzeitungen enthielt.
( Lachen Teufel) 


 Graeculus meinte dazu am 10.11.22 um 13:16:
Mit seinem "Wörterbuch des Teufels" hat Bierce ein neues literarisches Genre geschaffen: Das Wörterbuch nicht als nüchterne Informationsquelle, sondern als literarische Form. Das haben ihm seit dem etliche Autoren nachgemacht, meistens - wie bei "Bitter Bierce" - in zynischer Form.

Ein Zyniker ist jemand, der aufgrund eines Augenfehlers die Dinge so sieht, wie sie sind, nicht wie sie sein sollten.

[Bierce]

 FrankReich (22.11.22, 13:50)
Ein danebengelungener Aphorismus eignet sich nicht selten als Stilblüte und in solcher Qualität darf er meinetwegen sehr wohl das Licht der Öffentlichkeit bereichern. 👋😉

Ciao, Frank

 Graeculus meinte dazu am 22.11.22 um 13:57:
So gesehen, ja. Nichts ist zu gar nichts gut, und sei es als abschreckendes oder zum Lachen geeignetes Beispiel.
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