Neulich in der Volkshochschule

Bericht zum Thema Menschenliebe/ Menschenhass

von  Graeculus

Auf der Grundlage eines Traums:

Einen Kurs in der Volkshochschule habe ich gebucht. Hatte ich mich sehr drauf gefreut: Mitgefühl für Anfänger.

 
Und dann sitzt da dieser Assurnasirpal II. neben mir, seines Zeichens gewesener König von Assyrien. Ununterbrochen und mit leuchtendem Blick quatscht er mich zu und erzählt mir, wie er seinerzeit die Menschen in Massen geköpft, gepfählt, gevierteilt, lebendig verbrannt hat, wie er ihnen Augen herausgerissen, Nasen und Ohren abgeschnitten und sie gehäutet hat. Und wie er auf diese Weise aus dem Reich seiner Väter das assyrische Großreich geschaffen hat, das von Meer zu Meer reichte. „Sogar in der Gegenwart habe ich einen Wikipedia-Artikel! Und was hast du?“

 
Ich habe den Kursleiter gebeten, diese Nervensäge woanders hinzusetzen. Doch Herr Siddharta Gautama erwiderte: „Nein, auf keinen Fall. Auch er ist dein Mitmensch. Er sitzt da als deine Aufgabe!“


Es stellte sich dann allerdings heraus, daß ich aus Versehen in den Kurs für Fortgeschrittene geraten war. In „Mitgefühl für Anfänger“ hätte ich nur neben dir gesessen.


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Kommentare zu diesem Text


 tueichler (12.09.23, 17:31)
Na, ob Du da besser gefahren wärest, mer wasesnet … 😂

 Graeculus meinte dazu am 12.09.23 um 23:18:
Das ist keineswegs sicher, da stimmte ich Dir zu. Allerdings brauchst Du Dich mit dem "neben dir" nicht angesprochen zu fühlen.
Taina (39)
(12.09.23, 17:38)
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 Graeculus antwortete darauf am 12.09.23 um 23:20:
Hättest auch Du gewiß. Allerdings ist Otto Normalmitmensch auch nicht so ganz ohne, wie man hier ja täglich feststellen kann. Und auch im Grundkurs "Mitgefühl für Anfänger" darf man sich seine Nachbarn nicht aussuchen.

 Graeculus schrieb daraufhin am 12.09.23 um 23:21:
(Bei meinen Texten kommt es öfters auf den Schlußsatz an.)
Taina (39) äußerte darauf am 13.09.23 um 06:52:
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 Graeculus ergänzte dazu am 13.09.23 um 18:30:
Sofern man sich seine Nachbarn aussuchen kann, wären wir beide im Anfängerkurs sicher ganz gut aufgehoben. In der  mittleren, etwas schwierigeren Stufe müßten wir uns dann über Einwanderung in Deutschland unterhalten. Naja, auch das bekämen wir noch ohne Aufforderungen zu Duell o.ä. hin, oder?
Taina (39) meinte dazu am 13.09.23 um 19:30:
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 Graeculus meinte dazu am 13.09.23 um 19:57:
Das haben wir! Ohne jemals an Mord oder Körperverletzung gedacht zu haben.
lyrikPower (84)
(12.09.23, 19:38)
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 Graeculus meinte dazu am 12.09.23 um 23:22:
Unverschwurbelt? Na, ich hoffe doch! Hauptsache, zum Nachdenken über den letzten Satz anregend.

 Didi.Costaire (12.09.23, 20:45)
Ein unruhiger Traum, aber eine spannende Geschichte.

Beste Grüße,
Dirk

 Graeculus meinte dazu am 12.09.23 um 23:23:
Ein unruhiger Traum, das kann ich Dir sagen. Leider brach er ab, bevor ich feststellen konnte, neben wem genau ich im Grundkurs säße.

 Terminator (13.09.23, 03:29)
Wozu braucht ein in Frieden ruhender Mörder (für den heute als selbstverständlich geltenden Fall, dass es keine unsterbliche Seele gibt), Mitgefühl?

 Graeculus meinte dazu am 13.09.23 um 09:39:
Da kann man sehen, wie unlogisch Träume sind, nicht wahr? Logischer wäre Ramsan Kadyrow gewesen.

Dieser Assurnasirpal II. war der Vater des Salmanassar III., und der war der Schwiegervater der Sammuramat alias Semiramis, und über die lese ich gerade ein Buch. Eine Frau als Herrscherin in diesem Männerstaat, wie er kaum "männlicher" sein könnte! So kam es wohl zu dem Traum.

 AchterZwerg (13.09.23, 07:00)
Hallo Graec,
du hättest einfach ein leises "te absolvo" hauchen sollen und schon wäre dir Assurnasirpals Mitgefühl sicher gewesen. Ein Anfängerfehler halt ... :P
Dein Bericht spricht mich sehr an, scheint er mir so recht aus dem Leben gegriffen zu sein und hat in der "Volkshochschule" den korrekten Austragungsort gefunden.

Superb, feinsinnig und dennoch patsch!

Entzückte Grüße
der8.

 Graeculus meinte dazu am 13.09.23 um 18:28:
Das stelle ich mir jetzt mal so vor, während ich gehäutet werde: "Ego te absolvo."
Hm.
Wie wäre es mit Heinrich Heine? "Gerne will ich meinen Feinden verzeihen - aber nicht, bevor ich sie hängen sehe!"

 TassoTuwas (13.09.23, 11:37)
"Fortgeschrittene", ist das noch zeitgemäß?
Neulich hörte ich jemanden von einem Kurs für "Run aways" sprechen.
Trifft es zwar nicht ganz, klingt aber putzig!

 Graeculus meinte dazu am 13.09.23 um 18:26:
Wie auch im wirklichen Leben bin ich in meinen Träumen sprachlich konservativ. Immer öfter weiß ich gar nicht mehr, wie man das heute sagt. Irgendwas mit "Advanced", oder?
Allerdings betreten nach meinem Eindruck auch die Programme der VHS selten sprachliches Neuland.

 EkkehartMittelberg (13.09.23, 12:09)
Hallo Graeculus,
ich werde aus deinem Text lernen und ab sofort alle Autoren bei KV als meine Mitmenschen und meine Aufgabe betrachten. :)

LG
Ekki

 Graeculus meinte dazu am 13.09.23 um 18:24:
Alle? Dafür bräuchte ich erst einen VHS-Kurs unter Leitung des Herrn Siddharta Gautama. Nein, ehrlich, das fällt mir schwer.

 Dieter Wal (13.09.23, 13:15)
Doch Herr Siddharta Gautama erwiderte: „Nein, auf keinen Fall. Auch er ist dein Mitmensch. Er sitzt da als deine Aufgabe!“
Auch im Taoismus ähnlich denkbar. Mit Assurnasirpal II. hast Du Dir einen wundervollen Psychopathen ausgesucht. Dagegen verblassen kV-eigene.

 Graeculus meinte dazu am 13.09.23 um 18:23:
Es gibt schon exzessive Typen in der Geschichte. Timur Leng, der Mongolenherrscher, ist ein weiteres. Aber nicht von dem habe ich geträumt.
Zum Glück sind die Mitmenschen, denen wir begegnen, kaum von dieser Art. Doch es reicht für den bitteren Spruch von Ambrose Bierce in seinem Wörterbuch des Teufels:

Nächster, subst. masc.
Jemand, den wir lieben sollen wie uns selbst und der alles in seiner Macht Stehende tut, uns ungehorsam zu machen.

 Dieter Wal meinte dazu am 28.11.23 um 08:50:
Träumst Du t a t s ä c h l i c h mit so viel Situationskomik? :)

 Graeculus meinte dazu am 28.11.23 um 23:30:
Nun, gelegentlich. Meistens hat es mit irgendeinem Versagen oder Scheitern zu tun, und das wirkt ja oft komisch. Zumindest auf andere.

 Quoth (13.09.23, 19:46)
Sehr plakativer Traum, Graeculus. Das absolut Böse gibt es doch gar nicht.

 Graeculus meinte dazu am 13.09.23 um 19:56:
Das absolut Böse habe ich nirgends erwähnt; aber der historische (!) Assurnasirpal kommt ihm doch recht nahe - extrem böse, so möchte ich es nennen. Auf der anderen Seite hat er viele Tempel für Götter bauen lassen, sogar babylonische Götter ins Pantheon aufgenommen ... und er hat zur Einweihung der von ihm gegründeten Stadt Kalchu ein Riesenfest organisiert, über das es heißt:

"47074 Bauleute, die an der Errichtung der neuen Stadt mitgewirkt hatten; 5000 höhe Offiziere aus dem Ausland; 16000 Einwohner der neugegründeten Stadt; 1500 Staatsbeamte. Diese 69574 Menschen werden während zehn Tagen vom König verköstigt: 2200 Stück Rindvieh, 16000 Schafe. 500 Hirsche, 500 Gazellen, 4000 Stück Geflügel, 30000 Tauben, 10000 Fische. 20000 Heuschrecken sowie verschiedene Sorten Brot, Wein, Bier und scharfe Getränke."
Abschließend schreibt er darüber auf einer Stele:

Ich habe für die Dauer von 10 Tagen die Leute von Kalchu zusammen mit den glücklichen Völkern aller Länder feiern lassen; ich habe sie mit Wein berauscht, habe sie gewaschen und parfümiert, ich habe sie mit Ehren bedacht, und dann habe ich sie in Frieden und Freude zurück in ihre Länder geschickt.
 

Gut, die Gehäuteten hatten nichts mehr davon, aber immerhin, ein tolles Fest.

Doch jetzt stellt Dir mal vor, solch ein Mensch sitzt neben Dir im VHS-Kurs. Ich vermute, nicht einmal Mutter Teresa hätte den ausgehalten, und Mahatma Gandhi hätte ihm nach drei Sitzungen den Schädel gespalten.

 Verlo (13.09.23, 20:29)
Interessante Geschichte, interessanter Traum.

Aber da es ein König mit dieser Macht nicht nötig hat, sich dermaßen aufzuspielen, wird die eigentliche Aussage eine andere sein.

 Graeculus meinte dazu am 13.09.23 um 22:20:
Aber da es ein König mit dieser Macht nicht nötig hat, sich dermaßen aufzuspielen

Was den König angeht, so irrst du dich. Er hat in der von ihm gegründeten Stadt Kalchu eine Stele (in Keilschrift) hinterlassen, auf der er geradezu exzessiv (qualitativ wie quantitativ) seinen Ruhm, seine Erfolge, seinen engen Draht zu den Göttern preist. Ich möchte sagen, einen derartigen Angeber habe ich noch nicht kennengelernt. Das war sicher der Grund, weshalb er - nach der Lektüre eines Buches - in meinem Traum aufgetaucht ist.

Die eigentliche Aussage des Textes hat dann natürlich mit den Problemen zu tun, die uns unsere sog. Mitmenschen bereiten, bei denen es ja meistens um das eigene Ego geht. Da ist der Assurnasirpal-Typ nur ein extremes Beispiel. Wen ich im Normalfall meine, habe ich ja im letzten Satz deutlich gemacht.

 Verlo meinte dazu am 14.09.23 um 00:11:
Graeculus, ich präzisiere:

Aber da es ein König mit dieser Macht in der von dir beschriebenen Situation – falls er in sie überhaupt kommen sollte – nicht nötig hat und es auch unvorteilhaft wäre, vielleicht sogar nachteilig, sich dermaßen aufzuspielen, wird die eigentliche Aussage eine andere sein.
Ich weiß, Graeculus, es sind immer die anderen, die einem Probleme machen.

Nie ist man es selbst.

Eigenartig ist allerdings, daß meist Menschen, die alles haben, von anderen immer wieder an ihrem Glück gehindert werden. 

Insofern geht es in diesem Kurs nicht um "Mitgefühl für andere", sondern um Mitgefühl für sich selbst.

PS: mich wird man auf so einem Kurs nicht treffen.

Antwort geändert am 14.09.2023 um 00:26 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 14.09.23 um 14:39:
Ich weiß, Graeculus, es sind immer die anderen, die einem Probleme machen.

Falsch. Im Traum bin ich es ja, der in diesem Kurs sitzt. Vgl. die Bemerkung des Herrn Siddharta Gautama (alias der Buddha).

Daß man dich in diesem Kurs nicht treffen wird, hängt das mit mangelnder Lernbereitschaft zusammen?

 Verlo meinte dazu am 14.09.23 um 17:32:
Graeculus, ich lerne jeden Tag auch ohne Kurs.

Ich glaube nicht, daß man deine Fähigkeiten mit meinen vergleichen kann: du bist mir auf deinem Gebiet haushoch überlegen, aber das ist nur ein Gebiet von vielen, und es würde mir beim Meistern meines Lebens nicht helfen.

 Graeculus meinte dazu am 14.09.23 um 23:20:
Mag sein. Jedenfalls war dies

Ich weiß, Graeculus, es sind immer die anderen, die einem Probleme machen.
eine falsche Annahme.

 Verlo meinte dazu am 14.09.23 um 23:42:
Nur aus deiner Sicht, Graeculus.

Von außen betrachtet nicht: wenn man mit einem anderen nicht klarkommt, braucht nicht der andere Mitgefühl, sondern man selbst.

 Graeculus meinte dazu am 14.09.23 um 23:49:
wenn man mit einem anderen nicht klarkommt, braucht nicht der andere Mitgefühl, sondern man selbst.

Das kommt doch stark auf den anderen an, ob das ein Defizit meinerseits ist.

 Verlo meinte dazu am 16.09.23 um 03:20:
Selbstverständlich, Graeculus, weil du bestimmt, was für den anderen gut ist, wie er sich zu verhalten hat.

 Graeculus meinte dazu am 16.09.23 um 10:36:
Da verstehe ich den Zusammenhang deiner Antwort mit meiner Aussage nicht.

 Verlo meinte dazu am 16.09.23 um 16:17:
Graeculus, ich verstehe deinen Text so, daß du dir im Traum die Aufgabe gibst, einen König zu erziehen, weil dich sein Verhalten nervt.

Wie oft ist es dir gelungen, das Verhalten eines dir gleichgestellten Mitmenschen in deinem Interesse zu verändern, ohne daß er es wollte?

 Graeculus meinte dazu am 16.09.23 um 22:45:
Es war zunächst ein Traum, den ich genauso erst deuten muß wie jeder andere.
Ich habe nicht dein Eindruck, daß es darum ging, den Assurnasirpal zu erziehen. Mir nicht und dem Buddha auch nicht. Die Aufgabe, von der er sprach, die habe ich verstanden als die Fähigkeit, ihn als Mitmenschen zu lieben (große Version) oder zumindest zu ertragen (kleine, meine Version).
Viele Menschen erscheinen mir als schwer zu ertragen - vermutlich deshalb habe ich diesen Traum gehabt.

 Verlo meinte dazu am 17.09.23 um 17:00:
Und genau deshalb ist es dein Problem, Graeculus: weil viele Menschen dir schwer zu ertragen erscheinen.

Die Menschen haben kein Problem mit dir, sondern du mit den Menschen.

Zum Glück bist du Rentner und kannst den ganzen Tag zu Hause sein.

 Graeculus meinte dazu am 18.09.23 um 14:44:
Ich habe ein Problem mit anderen Menschen? Verzeihung, aber das muß jetzt sein:

Ob du wohl jemals von deiner Neigung Abstand nehmen wirst, immer auf das Persönliche zu zielen?
(Die Zeichnung stammt von Wilhelm Busch.)

Antwort geändert am 18.09.2023 um 14:45 Uhr

 Bergmann (28.10.23, 22:45)
Wunderbar pointiert komponiert! Ein Prosa-Kleinod!

 Graeculus meinte dazu am 30.10.23 um 13:59:
Oh, das ist hohes Lob!
amalfi00 (70) meinte dazu am 25.11.23 um 15:31:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Bergmann meinte dazu am 25.11.23 um 21:15:
Mir gefällt die Ambivalenz deiner parabelhaften Geschichte, ihre Höhe und ihre Tiefe (im doppelten Sinn): erst historische (amoralische) Größe - dann kafkaeske Anklänge, zuletzt pointierter Schluss mit Herz und Deutungsoffenheit ...

 Graeculus meinte dazu am 27.11.23 um 16:33:
Wenn jemand stolz ist auf seine monströse Grausamkeit, dann ist das eine extreme Form von abweichender Meinung. Deshalb behandelt die Volkshochschule sie auch in einem Forgeschrittenen-Kurs. Kommt zum Glück nicht so häufig vor.
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