Das Singen von Weihnachtsliedern

Erzählung zum Thema Weihnachten

von  EkkehartMittelberg

Ich kannte in meiner Kindheit und Jugend noch Familien, in denen nicht nur am Heiligen Abend, sondern auch in der Adventszeit Weihnachtslieder gesungen wurden.
Aber keine andere Familie pflegte diesen Brauch so intensiv wie meine. Wir sangen auch noch nach dem Fest bis Silvester Weihnachtslieder und zündeten dazu jedes Mal die Kerzen unseres Tannenbaums an. Damals hörte man in den Massenmedien kaum neue Weihnachtslieder, und so sangen wir jedes Jahr dasselbe Repertoire durch von „Ihr Kinderlein kommet“ bis „Stille Nacht, heilige Nacht“.
Bis zu meinem zehnten Lebensjahr gefiel mir dieses Singen sehr und steigerte meine Vorfreude auf das Weihnachtsfest. Aber dann änderte sich meine Einstellung zu diesen „Gesangsexerzitien“ zum einen deshalb, weil meine Eltern sie zur Pflicht machten, und zum anderen, weil mir zunehmend auffiel, wie kitschig einige Texte dieser Lieder waren. Zu meinem Missfallen kam hinzu, dass meine Eltern manchmal ältere Bekannte zu diesem Gesang einluden, die die sentimentalen Lieder auch noch falsch sangen.
Am Heiligen Abend besuchte unsere Familie gemeinsam den Weihnachtsgottesdienst, zu dem traditionell zwei Weihnachtslieder gesungen wurden: „O du fröhliche“ und „Stille Nacht, Heilige Nacht“. Wer jetzt denkt, dass ich dabei auch Überdruss empfand, weil wir diese Lieder ja in der Adventszeit schon so oft gesungen hatten, irrt sehr. Ich spürte, dass dieser Gesang für die Gemeinde ein Höhepunkt des Gottesdienstes war, auf den sie sich sehr gefreut hatte. Sie sang mit Inbrunst und auch ich stimmte andächtig in die allgemeine Weihnachtsfreude ein.
Ich bin in einer Stadt mit einem sehr hohen Anteil von Bergarbeitern aufgewachsen. Die wählten in den Fünfziger Jahren noch traditionell die SPD und einige auch die KPD. Soweit ich mich erinnern kann, besuchten die meisten von ihnen am Heiligen Abend die Kirche. Aber an den Weihnachtstagen waren die Kneipen gut frequentiert, und ich kann mich noch an Betrunkene erinnern, die auf den Straßen sangen:

„O Tannenbaum,o Tannenbaum
der Kaiser hat in Sack gehaun.
Er kauft sich einen Henkelmann
und fängt auf Zeche „Radbod“ an.“
oder
„Am Weihnachtsbaume
da hängt 'ne Pflaume.
Wie kommt die Pflaume
in den Baum?
Was soll die Pflaume
am Weihnachtsbaume?“

Den vollständigen Text findet man hier
https://www.golyr.de/wolfgang-petry/songtext-am-weihnachtsbaume-da-haengt-ne-pflaume-650663.html
Nach all der häuslichen Sentimentalität taten mir damals die Parodien gut.

Und wie ist es heute? Meine Frau und ich verbringen Weihnachten in der Familie unserer Tochter. Dort singen wir gemeinsam vor der Bescherung e i n Weihnachtslied und ich bin mir sicher, dass es allen so gefällt, auch meiner 14jährigen Enkelin.

Dezember 2018




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Kommentare zu diesem Text


 Regina (23.12.23, 05:53)
"Leise rieselt der Schnee, s Christkind kommt im VW, hört nur, wie lieblich es kracht, es hat einen Unfall gemacht." Das sang mein Sohn in der Pubertätszeit.
Oder das hier: "Kling, Glöckchen, klingelingeling...
Öffnet mir die Fenster, draußen sind Gespenster, drinnen sind die Geister, schmiern Tapetenkleister!"

Kommentar geändert am 23.12.2023 um 09:56 Uhr

 Regina meinte dazu am 23.12.23 um 10:44:
... und wenn die fünfte Kerze brennt, dann hast du Weihnachten verpennt.

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 23.12.23 um 17:09:
Vielen Dank, Gina,
ich dachte immer, dass ich alle Parodien von Weihnachtsliedern kenne. Die von "Kling, Glöckchen" fehlte mir.
Ich wünsche dir sanften Kerzenschimmer zum Fest.
Liebe Grüße
Ekki

 Lluviagata (23.12.23, 10:59)
Frohe und gesunde Weihnachten wünsche ich Dir, lieber Ekki!

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 23.12.23 um 17:12:
Ich danke dir für deine guten Wünsche, Andrea und erwidere sie herzlich.

 LotharAtzert (23.12.23, 11:04)
Interessant. Bei uns ging es anders zu: Singen war Pflicht und mein Vater hielt während des Singens sein Ohr in die Nähe meines Mundes, der kannte halt seinen Pappenheimer, der nur die Lippen bewegte.
Dann wurde angedroht: Wer nicht singt, kriegt kein Geschenk. Das war wohl der Beginn meiner gesellschaftlichen Ablehnung und ich scheiße seither auf Geschenke und den restlichen Zirkus. Und wenn alle Klingglöckchen klingelingelingen, verdampfe ich alleine ein paar Blütchen und laß mir den Rotwein schmecken.

Frohe Weihnachten, OM MANI PEME HUNG

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 23.12.23 um 17:19:
Ach, Lothar, ganz allein bist du doch nicht. Außer mir denken bestimmt noch ein paar andere nicht nur zu Weihnachten gerne an dich.
Beste Grüße
Ekki

 AZU20 (23.12.23, 11:16)
Frohe und gesunde Weihnachten. Fröhliche Gesänge in der Familie wünscht Armin

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 23.12.23 um 17:23:
Armin, gerne erwidere ich deine guten Wünsche, lieber alter Freund und Weggefährte.
Ekki

 plotzn (23.12.23, 12:02)
Servus Ekki, 

ich wünschte, wir hätten früher zu Hause öfter als nur an Weihnachten gesungen. Vielleicht hätte ich es dann besser gelernt. So aber klafft eine eklatante Lücke zwischen Wunsch und Können, sehr zum Leidwesen meiner Familie.

Dir und Deinen lieben wünsche ich wunderbare Feiertage (quasi ein one hit wonder)!

Stefan

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 23.12.23 um 17:33:
Lieber Stefan, auch dir das Beste zum Weihnachtsfest. Mein alter Musiklehrer sagte immer zu denen, die nicht so gut singen konnten: "Ihr habt aber sympathisch gebrummt."
Ekki

 plotzn meinte dazu am 25.12.23 um 10:17:
:-) Das ist ein guter Ansatz, lieber Ekki. Hat gestern schon eingermaßen geklappt...

 Graeculus (23.12.23, 13:36)
Schon als Kind habe ich mich fremd gefühlt in der christlichen Welt, in der ich aufgewachsen bin, und das galt auch für das gesamte Weihnachtsritual. Damals war ich darum bemüht, mich anzupassen, und wußte auch nicht, warum mir das alles so fremd war.
Heute weiß ich es: ich war ein künftiger Apostat, wie der Kaiser Julian, dem man später diesen Titel verpaßt hat. Ich war - und bin - ein Heide, den man in eine damals noch christliche Welt versetzt hatte.

Das heißt nicht, daß mir religiöse Empfindungen und die menschlichen Bedürfnisse, die damit verbunden sind, völlig fremd wären. Manchmal - selten - habe ich sie auch bei einem christlichen Ritual nachempfunden, etwa beim Erlebnis der Fürbitten in dem orthodoxen Kloster in Sagorsk, damals noch in der atheistischen UdSSR der Breschnew-Ära.

Mit einem Weihnachtslied ist mir das allerdings nur ein einziges Mal widerfahren: bei Mahalia Jacksons Interpretation von "Silent Night, Holy Night". Daraus spricht eine tiefe Sehnsucht nach Erlösung, fern von allem Kitsch.

Kommentar geändert am 23.12.2023 um 13:37 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 23.12.23 um 17:45:
Lieber Graeculus,
etwas hat sich geändert: In meiner Jugend war "Heide" ein schlimmes Schimpfwort. Heute sieht man das in einem viel milderen Licht.
Für mich ist ein Weihnachtsfest ohne "Silent Night, Holy Night" von Mahalia Jackson undenkbar. Ich empfinde die Wirkung dieses Liedes von Mahalia genau so wie du.
Empathische Grüße
Ekki

 AlmaMarieSchneider (23.12.23, 14:11)
Als mein Sohn klein war, musste ich ihm jeden Abend zum Einschlafen ein Lied vorsingen. Irgendwann gingen mir die Lieder aus und so sang ich zu jeder Jahreszeit Weihnachtslieder. Ihn störte es nicht. Der Nachbar fragte mal an, ob man nicht zum Singen das Fenster zu machen könnte. Ich glaube es lag nicht an den Weihnachtsliedern.

Frohe Festtage Dir und Deiner Familie, lieber Ekki

Alma Marie

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 23.12.23 um 17:58:
Liebe Alma Marie,                                        
Weihnachtslieder zum Einschlafen müssen auf eine Kinderseele sehr beruhigend wirken. Manche Menschen wünschen sich geschlossene Fenster, weil sie Harmonie nicht ertragen können. Ich beneide sie nicht.
Für dich habe ich zu diesem Fest einen ganz speziellen Wunsch. Du weißt schon.
Herzliche Grüße
Ekki

Antwort geändert am 23.12.2023 um 18:00 Uhr

Antwort geändert am 23.12.2023 um 18:01 Uhr

 Saira (23.12.23, 18:42)
Lieber Ekki,

deine Erzählung erinnert mich an Weihnachten 1970, als meine Schwester und ich gemeinsam auf Blockflöten Weihnachtslieder spielten. Das ist eine schöne Erinnerung.

Frohe Weihnachten für dich und deine Liebsten!

Herzliche Grüße
Sigi

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 23.12.23 um 19:34:
Grazie, Sigi,

ich vermute, dass alle, die ein Instrument spielen, sich an Weihnachtsliedern versucht haben. Ich habe auf Abenden für Heimatvertriebene Klavier gespielt. Dabei habe ich in mich hinein geschmunzelt; denn die alten Menschen sangen so langsam, dass ich kaum den Takt halten konnte.

Herzliche Grüße
EKKI

 Tula (23.12.23, 21:58)
Lieber Ekki
Die schönste Weihnachtslieder-Zeit ist für mich etwa zwei Jahrzehnte her. Ich sang meiner Tochter auch ohne das Fest regelmäßig was zum Einschlafen vor. Aber in der Vorweihnachtszeit war das noch hundertmal schöner. 

Die Alternative zum Tannenbaum kannte ich anders:
 ...
der Lehrer hat mich blau gehauen.
Nun muss ich in der Ecke stehen
und mir die kahle Wand besehen.
O Tannenbaum ...

LG Tula

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.12.23 um 12:48:
Merci, Tula,
mich wundert nicht, dass dieses populäre Lied unterschiedliche Parodien provoziert hat.

LG
Ekki

 TassoTuwas (24.12.23, 13:39)
Hallo Ekki,
auch wer ab und zu den falschen Ton trifft darf an Weihnachten mitsingen.
Weihnachten verzeiht vieles.
Ein frohes Fest wünscht
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.12.23 um 12:50:
Vielen Dank, Tasso,
das ist gut so.
LG
Ekki

 Teo (27.12.23, 13:42)
Moin Ekki,
jau, wir haben auch gesungen. Und meine Schwester am Klavier. Wir durften trotzdem wohnen bleiben!
Es grüßt
Teo

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.12.23 um 10:18:
Teo, sie haben euch natürlich nicht gesagt, dass sie auf den Genuss nicht verzichten konnten.
LG
Ekki
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