Epochentypische Gedichte:
Interpretation zum Thema Schönheit/ Schönes
von EkkehartMittelberg
Kommentare zu diesem Text
Da ich mich mit Schiller (obwohl ich ihn manchmal lese) und vor allem mit Goethe immer noch etwas schwer tue, ist dein Text hier ein "gefundenes Fressen" für mich! Eine sehr gelungene und aufschlussreiche Hilfestellung beim Verstehen dieser Lyrik-Epoche. Vielen Dank!
Ralf
Ralf
Ich freue mich über die Anerkennung, Ralf.
Puh, das ist natürlich ein Gedicht, dass eine Kenntnis der griechischen Mythologie voraussetzt, die heute wohl allen fremd ist, die sich nicht von Berufswegen damit beschäftigen. Daher - mein Eindruck - kann deine Interpretation auch fast nur an der Oberfläche kratzen(?) und so bleibt in der heutigen Zeit ein großer Abstand zwischen dem Autor und seiner Intention und dem Leser, möchte ich meinen.
Zwei Dinge noch:
Die Benutzung der Mythologie in diesem Gedicht erinnert ein wenig an ein poetisches, jedoch stark formalisiertes, Stilmittel der nordischen Skaldendichtung (Mittelalter), den Kenning (Plural: Kenningar). Dabei werden zumeist, aber nicht ausschließlich, mythische Umschreibungen genutzt um einfache Dinge lyrisch zu umschreiben. Bekanntestes Beispiel ist vielleicht die Umschreibung "Imirs Blut". Imir war der mythische Urriese in der nordischen Kosmogonie, gegen den die Götter kämpften, ihn besiegten und aus seinem Körper die Welt schufen, aus seinem Blut die Meere. Demnach ist "Imirs Blut" also eine Umschreibung für das Meer.
In der Odyssee tritt Achill noch einmal auf. Odysseus trifft ihn in der Unterwelt. Dort sagt der Held zu dem Irrfahrer, wenig "klassisch" und schon gar nicht "romantisch" (sinngemäß): "Lieber als armer Tagelöhner am leben, denn als berühmter Held tot sein". Aber das passte wohl nicht in Schillers Vorstellungen.
Zwei Dinge noch:
Die Benutzung der Mythologie in diesem Gedicht erinnert ein wenig an ein poetisches, jedoch stark formalisiertes, Stilmittel der nordischen Skaldendichtung (Mittelalter), den Kenning (Plural: Kenningar). Dabei werden zumeist, aber nicht ausschließlich, mythische Umschreibungen genutzt um einfache Dinge lyrisch zu umschreiben. Bekanntestes Beispiel ist vielleicht die Umschreibung "Imirs Blut". Imir war der mythische Urriese in der nordischen Kosmogonie, gegen den die Götter kämpften, ihn besiegten und aus seinem Körper die Welt schufen, aus seinem Blut die Meere. Demnach ist "Imirs Blut" also eine Umschreibung für das Meer.
In der Odyssee tritt Achill noch einmal auf. Odysseus trifft ihn in der Unterwelt. Dort sagt der Held zu dem Irrfahrer, wenig "klassisch" und schon gar nicht "romantisch" (sinngemäß): "Lieber als armer Tagelöhner am leben, denn als berühmter Held tot sein". Aber das passte wohl nicht in Schillers Vorstellungen.
Lieber Trekan,
dein Kommentar enthält zwei schwierige Fragen:
Ich denke auch, dass die meisten Autoren unserer Zeit (mich eingeschlossen) die Tiefe der antiken Mythologie nur unzureichend erfassen können, anders als die großen alten Kenner Johann Heinrich Voß oder Gustav Schwab. Aber im Einzelfall, wie für die Interpretation der "Nänie" mögen unsere Kenntnisse ausreichen.
Schiller kannte gewiss die Schrecken des Hades genau, und hätte er das Treffen zwischen Achill und Odysseus thematisiert, dann hätte er Achills Leiden bestimmt nicht idealisiert.
Schiller war ein sehr realistischer Gestalter der menschlichen Psyche. Man denke nur an Franz Moor in den Räubern, an die Gestalten von "Kabale und Liebe" oder an den sog. Gessler-Effekt im "Tell".
Ich danke dir für den Hinweis auf die nordische Skaldendichtung, von der ich leider viel zu wenig weiß.
dein Kommentar enthält zwei schwierige Fragen:
Ich denke auch, dass die meisten Autoren unserer Zeit (mich eingeschlossen) die Tiefe der antiken Mythologie nur unzureichend erfassen können, anders als die großen alten Kenner Johann Heinrich Voß oder Gustav Schwab. Aber im Einzelfall, wie für die Interpretation der "Nänie" mögen unsere Kenntnisse ausreichen.
Schiller kannte gewiss die Schrecken des Hades genau, und hätte er das Treffen zwischen Achill und Odysseus thematisiert, dann hätte er Achills Leiden bestimmt nicht idealisiert.
Schiller war ein sehr realistischer Gestalter der menschlichen Psyche. Man denke nur an Franz Moor in den Räubern, an die Gestalten von "Kabale und Liebe" oder an den sog. Gessler-Effekt im "Tell".
Ich danke dir für den Hinweis auf die nordische Skaldendichtung, von der ich leider viel zu wenig weiß.
Ich bin ja auch kein Experte für die Skladendichtung. Aber da ich mich für die nordische Götterwelt interessiere, die - bei dem, was wir wissen - sehr viel christlicher ist, als es manchen Neuheiden lieb ist, kommt man ja um Snorri Sturlursons "Edda" und die sogenannte "Liederedda" nicht herum, zumindest was die Beschreibung angeht. Interessanterweise hat das Isländische sich seit dem Mittelalter nur wenig verändert, so dass heutige Isländer die beiden Texte heute noch problemlos lesen können.
Patrix (65) äußerte darauf am 13.04.15:
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2005 habe ich die Brahms-Vertonung (Op. 82) von Schillers "Nänie" gesungen. Deine informativen Worte haben mich daran erinnert - gern gelesen
Liebe Grüße,
Judith
(Kommentar korrigiert am 12.04.2015)
Liebe Grüße,
Judith
(Kommentar korrigiert am 12.04.2015)
her mit der vertonten fassung, judith!
Merci, Judith. O ja, falls du die vertonte Fassung mit deiner Stimme noch hast, würde sie auch mich sehr interessieren.
Liebe Grüße
Ekki
Liebe Grüße
Ekki
Ihr Lieben, leider muss ich euch enttäuschen. Das Werk ist ja für Chor und Orchester geschrieben ...
Ich singe a) im Symphonischen Chor in Hildesheim,
b) darum gibt es keine vertonte Fassung und c) man würde meine Stimme sicherlich auch nicht heraushören
Ich danke euch dennoch für euer Interesse und kann euch zumindest versichern, dass unsere Auftritte stets mit Spaß, Aufregung, Feierlichkeit und z.T. auch mit Gänsehaut verbunden sind.
(nächster Auftritt am 18./19.4.: Gustav Mahler,
Symphonie Nr. 2 c-moll „Auferstehungs-Symphonie“
Liebe Grüße,
Judith
Ich singe a) im Symphonischen Chor in Hildesheim
Der Symphonische Chor Hildesheim wurde im Herbst 1997 gegründet. Seitdem sind die engagierten Sängerinnen und Sänger in zahlreichen Sinfoniekonzerten, Sonderkonzerten und Inszenierungen des TfN · Musiktheater zum Einsatz gekommen. Das Repertoire umfasst Kunstlieder, Chorwerke aus Oper, Operette und Musical sowie oratorische Werke.
b) darum gibt es keine vertonte Fassung und c) man würde meine Stimme sicherlich auch nicht heraushören
Ich danke euch dennoch für euer Interesse und kann euch zumindest versichern, dass unsere Auftritte stets mit Spaß, Aufregung, Feierlichkeit und z.T. auch mit Gänsehaut verbunden sind.
(nächster Auftritt am 18./19.4.: Gustav Mahler,
Symphonie Nr. 2 c-moll „Auferstehungs-Symphonie“
Liebe Grüße,
Judith
Sehr schwere Kost, Ekki, nimm es mir nicht übel, wenn ich mich nicht mehr damit beschäftige, wie sie es verdient hätte. - LG Fred
Das ist doch gar kein Problem, Fred. Du regst auf so vielen anderen Gebieten zu spannenden Diskussionen an. Unsere Kräfte sind nun mal begrenzt.
LG
Ekki
LG
Ekki
chichi† (80)
(12.04.15)
(12.04.15)
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Gedicht und Interpretation scheinen dir zu gefallen, Gerda, und das freut mich. Grazie.
Liebe Grüße
Ekki
Liebe Grüße
Ekki
wo versteckt sich die meeresnymphe auf dem bild von füssli?
jetzt verstehe ich die berührungspunkte zwischen goethe und schiller besser; denn ihr schreibstil war höchst verschieden.
goethes vorbehalte gegen die romantik in der dichtung, die zeitlich der von ihm geprägten klassik folgte, kann man psychologisch deuten: er muss die schwärmerei als verspäteten epigonalen rückgriff auf seine lyrische entwicklung empfunden haben.
jetzt verstehe ich die berührungspunkte zwischen goethe und schiller besser; denn ihr schreibstil war höchst verschieden.
goethes vorbehalte gegen die romantik in der dichtung, die zeitlich der von ihm geprägten klassik folgte, kann man psychologisch deuten: er muss die schwärmerei als verspäteten epigonalen rückgriff auf seine lyrische entwicklung empfunden haben.
Lothar, wenn du mit der rechten Maustaste auf das Bild von Füssli gehst und es dann mit einem neuen Link öffnest, erkennst du die Nänie oberhalb des toten Achill, meine ich jedenfalls.
Die Unterschiedlichkeit ihres Schreibstils wurde von Goethe und Schiller akzeptiert und Schiller erläuterte sie ausführlich in "Über naive und sentimentalische Dichtung", dessen Ergebnis etwas vereinfacht lautet: Goethe geht von der unmittelbaren Anschauung aus, Schiller von einer Idee, die er anschaulich zu gestalten versucht.
Deine psychologische Deutung von Goethes Vorbehalten gegnüber der Romantik teiile ich.
Die Unterschiedlichkeit ihres Schreibstils wurde von Goethe und Schiller akzeptiert und Schiller erläuterte sie ausführlich in "Über naive und sentimentalische Dichtung", dessen Ergebnis etwas vereinfacht lautet: Goethe geht von der unmittelbaren Anschauung aus, Schiller von einer Idee, die er anschaulich zu gestalten versucht.
Deine psychologische Deutung von Goethes Vorbehalten gegnüber der Romantik teiile ich.
Wäre epochentypisch wie lit-foren-typisch nicht eher ein Schimpfwort?
Danke der Nachfrage, Tolti.
"Epochentypisch" ist aus meiner Sicht bis hin zur Wiener Moderne auf keinen Fall ein Schimpfwort, weil die Avantgare der Autoren einer Epoche, angefangen beim "Sturm und Drang", versuchte, ein literarisches Programm für ihre Zeit zu entwickeln, dem sie mehr oder weniger nacheiferte. Wenn dieses künstlerische Manifest in einem Werk weitgehend eingelöst wird, spricht man zu Recht von epochentypisch. Der Begriff ist also keineswegs abwertend im Sinne von Gleichmacherei, sondern anerkennend.
Ich denke schon, dass es forentypische Schreibweisen selbst in unserer als Epoche kaum noch fassbaren Zeit gibt. Doch das ist dein Spezialgebiet und ich mag nicht zu viel dilettieren.
"Epochentypisch" ist aus meiner Sicht bis hin zur Wiener Moderne auf keinen Fall ein Schimpfwort, weil die Avantgare der Autoren einer Epoche, angefangen beim "Sturm und Drang", versuchte, ein literarisches Programm für ihre Zeit zu entwickeln, dem sie mehr oder weniger nacheiferte. Wenn dieses künstlerische Manifest in einem Werk weitgehend eingelöst wird, spricht man zu Recht von epochentypisch. Der Begriff ist also keineswegs abwertend im Sinne von Gleichmacherei, sondern anerkennend.
Ich denke schon, dass es forentypische Schreibweisen selbst in unserer als Epoche kaum noch fassbaren Zeit gibt. Doch das ist dein Spezialgebiet und ich mag nicht zu viel dilettieren.
JamesBlond (63)
(30.04.15)
(30.04.15)
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Grazie, James. Ja, das war die treibende Motivation für das Bürgertum. Es versuchte mit Hilfe der Klassik seine gesellschaftliche Position zu festigen. Erstaunlich, dass das so lange gelungen ist, obwohl das Instrument der klassischen Literatur inzwischen verstaubt ist.
LG
Ekki
LG
Ekki
"Sie ist zwar Gedankenlyrik, vermeidet aber dürre Abstraktionen, indem sie, von abstrakten Inhalten ausgehend, diese in anschauliche Bilder und Metaphern umsetzt."
Immer, wenn man mit Pauschalsil wäscht, wählte man ein Bleich- statt eines Waschmittels. Denn Verallgemeinerungen taugen nicht für Germanistik, sonderm im Gegenteil detaillierte Konkretisierungen. Schiller schrieb nicht einzig Gedankenlyrik.
"Laß die Begeisterung die kühnen Flügel schwingen,
Zu dir, zu dir, des hohen Fluges Ziel.
Mich über Sphären, himmelan, gehoben,
Getragen sein vom herrlichen Gefühl,
Den Abend und des Abends Schöpfer loben,
Durchströmt vom paradisischen Gefühl.
Für Könige, für Grosse ists geringe,
Die Niederen besucht es nur –
O GOtt, du gabest mir Natur,
Theil Welten unter sie – nur, Vater, mir Gesänge."
aus: Der Abend, 1776
Schiller schrieb so zwischen seinem 17. und 18. Lebensjahr.
ZB hymnischen Aufschwung, in dem Naturerleben, Wahrnehmung der Schöpfung und zugleich des Schöpfers zusammenkommen.
Ausgerechnet Nänie wurde mir einmal von jemandem zitiert, der sich weder für Lyrik, noch Schiller interessierte. In Anbetracht des Themas dieses Gedichtes möchte ich lieber nicht nachvollziehen, was Germanisten veranlasst, junge Menschen solche Gedichte verinnerlichen zu lassen. Ich mag das Gedicht durchaus. Doch ist es hilfreich für Jugendliche, solche Gedanken in sich zu tragen? Lässt es den Menschen wachsen oder hält es ihn eher klein? Ermutigt es junge Menschen, Klassik zu lesen oder hemmt es sie?
Immer, wenn man mit Pauschalsil wäscht, wählte man ein Bleich- statt eines Waschmittels. Denn Verallgemeinerungen taugen nicht für Germanistik, sonderm im Gegenteil detaillierte Konkretisierungen. Schiller schrieb nicht einzig Gedankenlyrik.
"Laß die Begeisterung die kühnen Flügel schwingen,
Zu dir, zu dir, des hohen Fluges Ziel.
Mich über Sphären, himmelan, gehoben,
Getragen sein vom herrlichen Gefühl,
Den Abend und des Abends Schöpfer loben,
Durchströmt vom paradisischen Gefühl.
Für Könige, für Grosse ists geringe,
Die Niederen besucht es nur –
O GOtt, du gabest mir Natur,
Theil Welten unter sie – nur, Vater, mir Gesänge."
aus: Der Abend, 1776
Schiller schrieb so zwischen seinem 17. und 18. Lebensjahr.
ZB hymnischen Aufschwung, in dem Naturerleben, Wahrnehmung der Schöpfung und zugleich des Schöpfers zusammenkommen.
Ausgerechnet Nänie wurde mir einmal von jemandem zitiert, der sich weder für Lyrik, noch Schiller interessierte. In Anbetracht des Themas dieses Gedichtes möchte ich lieber nicht nachvollziehen, was Germanisten veranlasst, junge Menschen solche Gedichte verinnerlichen zu lassen. Ich mag das Gedicht durchaus. Doch ist es hilfreich für Jugendliche, solche Gedanken in sich zu tragen? Lässt es den Menschen wachsen oder hält es ihn eher klein? Ermutigt es junge Menschen, Klassik zu lesen oder hemmt es sie?