Wie der russische Geheimdienst Geständnisse produziert

Bericht zum Thema Politik

von  Graeculus

Die IS-Attentäter von Moskau, da bin ich mir sicher, werden im Zuge ihrer Vernehmung durch den FSB genau das gestehen, was Putin, schon kurz nach dem Attentat, vorgegeben hat: die ukrainische Verbindung.

Alexander Solschenizyn gibt in seinem „Archipel GULag“ nicht weniger als dreißig Foltermethoden des NKWD zu Stalins Zeit an, die ohne physische Folgeschäden funktionieren. Eine davon ist die, einen Menschen in eine völlig unmöblierte Zelle (kein Stuhl, kein Bett) zu stecken, mit einem kahlen Betonboden. Auf diesem Betonboden: 4 cm Eiswasser. Die Folgen sind verheerend: Das Opfer erleidet schon im Stehen unerträgliche Schmerzen; an Sitzen oder Liegen ist nicht zu denken. Und das heißt, daß man nicht schlafen kann.
Der Schlafentzug ist in vielen dieser Methoden enthalten.

Das sind aber nur die Foltern ohne physische Folgen. Zu den anderen gehört die Königsdisziplin: die Prügel. Im Zuge der Säuberung der Roten Armee 1937/38 ist unter anderem Wassilij Blücher verhaftet worden, Marschall der Sowjetunion. Ein Mithäftling beschrieb ihn nach den Vernehmungen: sein Gesicht war dermaßen zu Brei geschlagen, daß seine eigene Mutter ihn nicht wiedererkannt hätte.

Eine weitere Methode ist das Geständnis mittels falscher Versprechungen und Erpressung mit Angehörigen. Hierzu zählt das, was der Autor Lew Rasgon berichtet hat: Er ist verhaftet worden unter dem phantasierten Vorwurf, ein Attentat auf Stalin geplant zu haben. Rasgon wollte nicht den Helden spielen und war zu einem Geständnis bereit. Danach, so dachte er, habe ich es hinter mir und vor mir das Lager oder „neun Gramm ins Genick“. Er hatte es aber nicht hinter sich, denn in Phase 2 sollte er seine „Mittäter“ angeben, d.h. seine Freunde verraten. Da war für Rasgon die Grenze überschritten, dazu war er nicht bereit. Man sagte ihm daraufhin: Du hast doch eine Frau, die Diabetikerin ist. Jetzt gibt es genau zwei Möglichkeiten. 1. Du nennst uns deine Mittäter, dann kommt deine Frau nach Charkow, und dort gibt es Insulin. 2. Du kooperierst nicht, dann kommt sie ins Lager, und dort gibt es kein Insulin.
Rasgon liebte seine Frau und hat ihnen den Willen getan, und er fügte hinzu: Meine Frau ist schon auf dem Weg ins Lager gestorben.

Das waren die Methoden des NKWD (Volkskommissariat für innere Angelegenheiten) zur Zeit Stalins. Aus dem NKWD ist der KGB geworden, der zeitweilig mit der zwangsweisen Verabreichung von Psychopharmaka operierte. Und aus dem KGB wurde der FSB. Aus dem FSB aber ist Putin hervorgegangen. - Die Folterspuren waren den Attentätern (besser: den des Attentats Beschuldigten) gut anzusehen.

Ein für Putin unschönes Detail: Er hatte vorgegeben, die Attentäter hätten versucht, in die Ukraine zu entkommen. Dem hat sein Kumpel Lukaschenko auffallenderweise widersprochen: Sie hätten versucht, nach Belarus zu gelangen. Was nun überhaupt nicht in Putins Konzept paßt.

Nun kann er Lukaschenko selbstverständlich nicht zur Änderung seiner Aussage zwingen, schon gar nicht mit den genannten FSB-Methoden. Andererseits ist bekannt, was er von Leuten hält, die ihm in den Rücken fallen (Verräter). Das wird Lukaschenko eines Tages noch serviert werden. Nach der Erfahrung mit Prigoschin sollte er vorsichtig bei der Benutzung von Flugzeugen sein.


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Kommentare zu diesem Text


 eiskimo (01.04.24, 08:39)
Kein schönes Bild, das Du hier zeichnest. Soll das so beschriebene System die Oberhand behalten?  Unwillkürlich fällt einem auch wieder der Name Nawalny ein. Und jene Tapferen, die sich trauten, sich öffentlich zu seinem Anderen Russland zu bekennen.
Was mir ein Fünkchen Hoffnung lässt: Nicht die Mitläufer und Mittäter veränderen die Welt, sondern die (wenigen) Aufrechten!

 Graeculus meinte dazu am 01.04.24 um 17:22:
Nawalny ist tot, und in Rußland hat Putin jede Opposition ausgeschaltet.
Selbst die Hitler-Attentäter haben seinerzeit nichts bewirkt. Was - vielleicht - hilft, ist der geschlossene Widerstand von außen. Allerdings hatte Nazi-Deutschland drei Weltmächte gegen sich, während heute von drei Weltmächten zwei fest zueinander halten: als Feinde der Demokratie unter dem Banner der "Nichteinmischung in die inneren Angelgenheiten eines anderen Staates".

 AchterZwerg (01.04.24, 09:20)
Das alles ist richtig und schrecklich genug.
Noch grauenvoller aber ist die Tatsache, dass solche Unterdrückungsapparate, - mechanismen und deren Namen austauschbar sind.
Beispielsweise durch den Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (Abkürzung SD), der 1931 als Geheimdienst der NSDAP gegründet wurde.
Oder bis dato durch Foltermethoden unserer Verbündeten in Guantanamo etc. etc.

Oder durch den alltäglichen Terror von Menschen gegen Menschen, der unser ganzes Leben begleitet.

Es gibt keine denkbare Grausamkeit, die gegenüber einem atmenden Mitgeschöpf nicht angewendet wird.

 Beislschmidt antwortete darauf am 01.04.24 um 09:45:
@Graeculus,
Die Dämonisierung von Putinrussland könnte von Strack Zimmermann stammen.
Dass unsere amerikanischen Freunde über 1000 illegale Foltergefängnisse weltweit betreiben, zeigt die Impertinenz, mit der unsere sogenannten Freunde die Menschenrechte aushebeln.
Höchste Zeit sich aus der Nato zu verabschieden.

 die Herrschaft des Rechts gilt nicht nur „gegen die bösen Russen“, sondern auch gegenüber „den guten Amerikanern“. Das ist ja gerade der Sinn des Rechts. Wenn das Recht sich nur gegenüber denen bewährt, wo man es vielleicht durchsetzen kann – wenn ich daran denke, natürlich der Internationale Strafgerichtshof verhandelt über Menschenrechtsverletzungen aus Afrika, aus Ex-Jugoslawien –, Nein, sie muss auch über Menschenrechtsverletzungen gegenüber den USA verhandeln.
.


https://www.deutschlandfunk.de/cia-folterbericht-erschreckend-ist-die-privatisierung-der-100.html

 LotharAtzert schrieb daraufhin am 01.04.24 um 10:32:
Impertinent ist eher das Relativieren: „Es gibt nicht nur einen“ usw.
Putin hat sein Volk systematisch in Duckmäuserei und Folter gezwungen. Die Amerikaner können immerhin frei wählen, welchen senilen Opa sie zum Präsidenten machen. Daß man so etwas gleichsetzt, ist abgründig.
 
Als du, Beißl, gerade geboren wurdest, war ich strikt gegen Nato und Amerika, hab auf einer Demo noch mit u.a. Rudi Dutschke „Ho Ho Ho Tschi Minh“ skandiert, war für die Palästinenser usw. Heute, um einiges reifer hoffe ich doch, kann ich mich nur noch wundern, wie man den derzeitig weltweit größten Gangster hofiert, ja schützend unter die Fittiche nimmt. Nein, das ist nur noch obszön.
 
Und hört’s mir auf mit euern Links. Da findet jeder immer nur das seine.

 AchterZwerg äußerte darauf am 01.04.24 um 10:55:
Na ja, Lothar,

ich nehme Putin ganz gewiss nicht unter meine Zwergenfittiche. Rechne auch den Holocaust nicht gegen die Gräuel im Gazastreifen auf.
Das Schlimme ist doch gerade, dass offenbar unglaublich viele (!) Menschen zu solchen Methoden fähig sind.

Zum Beispiel Leute aus deiner Nachbarschaft, die dich stets freundlich grüßen ....

 Beislschmidt ergänzte dazu am 01.04.24 um 11:20:
Ohne jetzt weiter den whataboutism quälen zu wollen, sage ich: Obama war kein Furz besser als Putin. Der hat sich wenigstens nicht mit Mutti auf die Bühne des Weltkirchentags gefläzt und Süßholz geraspelt.

Antwort geändert am 01.04.2024 um 11:21 Uhr

 LotharAtzert meinte dazu am 01.04.24 um 11:23:
Soweit gebe ich dir ja recht, Achter. Es ist aber dringlicher, zur rechten Zeit das Entsprechende zu tun und da steht der Putin ganz oben auf der Abwehrliste - den Nachbarn grüße ich so lange freundlich weiter, bis er eklatant auffällig wird.

 Redux meinte dazu am 01.04.24 um 11:47:
Es geht hier und heute in diesem Text nicht darum, dass dieses oder jenes Land ebenso brutal und grausam mit seinen Gegnern verfährt. Tatsächlich sind auch in amerikanischen Gefängnissen unmenschliche Bedingungen und Methoden vorhanden.
Der Autor benennt jedoch unmissverständlich den russischen Herrscher, der eins zu eins die Brutalität stalinscher Methoden anwendet, die im Solschenizyns Archipel Gulag minutiös beschrieben wurden.
Es ist befremdlich und entlarvend, wenn prompt ein anderes Land mit an den Pranger gestellt wird, ohne tatsächlich zum Ursprungstext Stellung genommen zu haben.
In diesem Text geht es um Russland und Putin, nicht um Idi Amin, George Bush oder Kaiser Nero.

 Teo meinte dazu am 01.04.24 um 12:17:
Ja Herbert,
wenn es mal um ähnliche Diktatoren wie Ida Amin oder Nero gehen würde. Da wird von einigen ein Bild der Amerikaner gemalt, als wäre sie die blutrünstigsten Massenmörder unseres Planeten. Ich muss da was verpasst haben....

 Graeculus meinte dazu am 01.04.24 um 13:05:
Mal abgesehen von dem Whataboutism und dem Umstand, daß Folter durch die USA nicht das gerade aktuelle Problem ist und daß auch m.W. kein US-Präsident direkt aus der Geheimdienstschule stammte, gibt es einen auffallenden Unterschied in dieser Hinsicht, selbst zur Gestapo: Gestapo, CIA u.a. setz(t)en die Folter ein, um an Informationen über Tatsachen zu kommen, d.h. letztlich geht es um die Wahrheit: Hast Du an diesem Attentat teilgenommen? Wer war noch beteiligt? usw.
In der NKDW-Tradition ist die Wahrheit völlig gleichgültig; vielmehr kommt es darauf an, die politisch gewünschten Aussagen zu produzieren und diese als Geständnisse zu präsentieren, u.U. sogar in Schauprozessen. Du bist gar kein Attentäter? Das interessiert uns nicht. Wir wollen, daß du ein Attentäter bist und das gestehst.
Auf diesen Unterschied haben, beginnend mit Solschenizyn, schon viele Historiker hingewiesen.
Rußland folgt da eher der Tradition der Hexenprozesse, in denen es ja ebenfalls um Geständnisse völlig unabhängig von irgendwelchen Tatsachen ging.

Antwort geändert am 01.04.2024 um 13:06 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 01.04.24 um 13:15:
Um es noch deutlicher zu sagen: Es kann sein, daß diese Leute völlig unschuldig sind, und sie werden dennoch gestehen. Es ist möglich, daß der FSB den Terroranschlag selbst inszeniert hat, wie er es 1999 in Moskau getan hat, um seinem gerade zum Ministerpräsidenten aufgestiegenen Ex-Chef eine Rechtfertigung für den Tschetschenienkrieg zu liefern.
In diesem System ist alles möglich, und glauben kann man nichts - vor allem keine Geständnisse.

 LotharAtzert meinte dazu am 01.04.24 um 14:43:
Jetzt hört's doch um des Grundgütigen willen auf, sonst wird der russische Geheimdienst noch auf uns aufmerksam und dann gnade uns ... ja wer eigentlich noch?

 Beislschmidt meinte dazu am 01.04.24 um 16:59:
Keine Bange  ich kann ein gutes Wort für euch einlegen.
:D :D :D

 Graeculus meinte dazu am 01.04.24 um 17:10:
Danke, Beislschmidt, Du bist so gut zu uns - wie eine Mutter ohne Brust.

Ich weiß nicht, was man in dieser Lage, in dieser Welt hoffen darf. Nur sehr wenige Menschen besitzen die Stabilität, um das durchzustehen. Einer davon war Marschall Wassilij Blücher, der trotzallem nichts gestanden und niemanden denunziert hat. Ehre seinem Andenken.


 Graeculus meinte dazu am 01.04.24 um 17:29:
An AchterZwerg:

Ja, es ist schrecklich, daß wir hinter den Erdmännchen gleich an zweiter Stelle kommen.

Ich weiß nicht, ob es bei den Regime des Schreckens noch Abstufungen gibt. Die deutschen Kommunisten, die erst unter Hitler in den Konzentrationslagern saßen, dann nach dem Hitler-Stalin-Pakt in die UdSSR entlassen und dort sogleich vom NKWD erneut verhaftet worden sind, haben manchmal solche Vergleiche angestellt; sie fallen zu ungunsten des NKWD aus. Vielleicht deshalb, weil sie dort auch ihre Idee verloren haben, den Glauben an den Sozialismus als Alternative.
Die Nazis haben für eine böse Idee gekämpft, die UdSSR hat eine gute Idee ruiniert.

 Graeculus meinte dazu am 01.04.24 um 17:32:
An Lothar, Redux und Teo: uneingeschränkt ja!

Wie Saint-Just sagte: "Man kann nicht herrschen und schuldlos bleiben." Aber es gibt noch Abstufungen in der Skrupellosigkeit.

 lugarex (01.04.24, 11:57)
Wir alle sind halt nur Menschen...

 LotharAtzert meinte dazu am 01.04.24 um 15:07:
Den Witz muß ich mir ins Notitzbuch eintragen.

 Graeculus meinte dazu am 01.04.24 um 17:12:
Wenn nichts mehr hilft, hilft nur noch ein Kalenderspruch.

 TrekanBelluvitsh (01.04.24, 12:26)
Der Fachbegriff dafür lautet "Faschismus".

 Graeculus meinte dazu am 01.04.24 um 17:16:
Ach. Du erinnerst Dich gewiß an den Historikerstreit um die These von Joachim Fest, der Nationalsozialismus habe viel von dem ja etwas älteren bolschewistischen System gelernt, gerade im Umgang mit Gegnern und "Gegnern".
Auch Solschenizyn hat festgestellt,

daß es auf dem ganzen Planeten und in der ganzen Geschichte kein bösartigeres, blutrünstigeres und gleichzeitig raffinierteres Regime gibt als das bolschewistische, welches sich selbst „sowjetisch“ nennt; daß ihm weder an Vernichtungseifer noch an Beharrungsvermögen, noch an radikaler Zielsetzung, noch an durch und durch „unifizierter Totalitarität“ irgendein anderes irdisches Regime gleichkommt, nicht einmal das schülermäßige Hitlerregime, welches damals dem gesamten Westen den Blick trübte.

(Der Archipel GULag, Bd. 3, S. 28)

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 01.04.24 um 23:29:
Zunächst einmal finde ich, dass man Joachim Fest nicht sorglos zitieren sollte. Denn - Achtung! Persönliche Meinung: - er persönlich hat die Erforschung des Nationalsozialismus durch seinen Klüngel mit Speer großen Schaden zugefügt und sie womöglich um 10 Jahre zurückgeworfen.

Der Nationalsozialismus war auch eine besonders extreme Spielart des Faschismus (Gegenüber dem italienischen Faschismus hat der sowjetische Bolschewismus z.B. gar keinen besonderen Vorsprung). Ich würde stark in Zweifel stellen, dass er von der sowjetischen Vorgehensweise etwas lernen musste. Gewalterfahrungen gab es in Deutschland genug und auch faschisitoide Vordenker wie Heinrich Claß, die schon im Kaiserreich aktiv und bekannt waren. Es ist eben kein Zufall das viele spätere nationalsozialistische Führungspersonen bzw. welche aus dem ihnen nahestehenden völkischen Bewegung und national-konservativen Kreisen gegen Ende des Kaiserreichs sozialisiert wurden.

Ich würde auch Solschenizyn widersprechen bzw. seine hier von dir zitierte Aussage erweitern wollen. Das bolschewistische Herrschaftssystem konnte durchaus auf Erfahrungen mit einem Lagersystem zurückgreifen. Das Reich der Zaren war nicht viel besser. Diverse Feliks Dzierżyńskis gab es auch schon vor 1917.

Der Unterschied zum Zarenreich und er Sowjetunion war in meinen Augen eher die Erwartungshaltung. Die Revolution versprach das Gewaltregime der Zaren zu beenden. Stattdessen ersetzte es einen Unterdrückungsapparat durch einen anderen. So blieb den Revolutionären wie allen Menschen in der SU nur drei Möglichkeiten: a.) Sich anpassen, b.) Der Verfolgung anheim fallen, c.) verzweifeln.

 Graeculus meinte dazu am 01.04.24 um 23:49:
Konkret fallen mir als (mögliche) Übernahmen ein: die Übertragung von Kontrollfunktionen über politische Häftlinge (erweitert um die Juden) an kriminelle Häftlinge; die kollektive Haftung der gesamten Baracke für "Verfehlungen" einzelner; die Zwangsarbeit (d.h. die Wiedereinführung der Sklaverei) - all das ist im GULag-System entwickelt worde.

Die Angleichung an die Zarenzeit kann ich nicht nachvollziehen. Die Häftlingsaussagen, die ich dazu kenne, sagen etwas anderes.
Der italienische Faschismus war natürlich schon vorher da, und ich bestreite nicht, daß der Nationalsozialismus auch davon "gelernt" hat; aber in den hier anstehenden Hinsichten war er nicht so schlimm.

Interessant ist die Frage, was der deutsche Geheimdienst (Gestapo, RSHA) von der UdSSR übernommen hat.

Der Vergleich des sowjetischen Terrorsystems mit dem deutschen findet sich in der russischen Häftlingsliteratur gar nicht selten ("Die Kolyma ist wie Auschwitz, nur ohne Gas."), und meist fällt er zuungunsten des sowjetischen Systems aus - wobei das besonders eindrucksvoll bei denjenigen Häftlingen ist, die beide Systeme kennengelernt haben, also den deutschen Kommunisten. "Ich habe vor nichts in meinem Leben eine derartige Angst gehabt", sagte eine deutsche Kommunistin, "wie vor dem NKWD."

Antwort geändert am 02.04.2024 um 01:02 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 01.04.24 um 23:51:
Morgen, also gleich, folgt übrigens ein weiterer historischer Text über die UdSSR, bei dem ich auf Dein Urteil gespannt bin.

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 02.04.24 um 01:35:
Ich würde bestimmte Verhör- und Foltermethoden und --taktiken nicht als Indiz dafür heranziehen, dass das eine System etwas vom anderen gelernt hat Denn die Menschen, die diese erdacht oder kopiert haben, sind in der Regel ja nicht diejenigen, die über das Lagersystem an sich entschieden haben, schon gar nicht, ob ein Staat darauf zurückgreift oder nicht. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass man bestimmte Foltermethoden auch schon in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Handschriften und Pamphleten findet. Darum ist der Herzog von Dingsbums, der so etwas anordnete kein Vorbild für Faschismus oder Bolschewistisch gewesen.

Man könnte z.B, auch umgekehrt behaupten, die Sowjets hätten von den Deutschen gelernt, nämlich von den deutschen Konzentrationslagern im heutigen Namibia vor dem Ersten Weltkrieg.

Das wirkliche Problem ist, dass eine solche Annahme wie von Fest, die Besonderheit des Nationalsozialismus relativiert. Und es gibt ganz klare Besonderheiten. Ich möchte nur zwei Beispiele nennen:

1.) Im Zweiten Weltkrieg (bis Ende 1944) wurden - je nach Schätzung - zwischen 13 - 15 Millionen Fremd- und Zwangsarbeiter nach Deutschland verbracht, in den allermeisten Fällen gezwungenermaßen. Dies Zahl kommt noch auf die KZ-Häftlinge drauf. Das führte z.B. dazu, dass im Jahre 1944 49% der in der Landwirtschaft Beschäftigten in Deutschland Fremd- und Zwangsarbeiter waren. Richtig "in Schwung" kamen diese Verbrechen erst nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion. Der Großteil der Menschen, die ihm zum Opfer fielen, wurde also in gut 3 1/2 Jahren verschleppt. Zum Vergleich: 13- 15 Millionen Menschen ist die Zahl, die von Historikern heute geschätzt wird, wenn es um den von Europäern und ansässigen Führungsschichten betriebenen Sklavenhandel zwischen Afrika und Amerika geht. Und dies geschah in Jahrhunderten(!).

2.) Die Sicht auf Shoa und die Konzentrationslager an sich werden heute von zwei Orten/Namen dominiert: Auschwitz und Dachau. Das "Problem" dabei ist, dass beides auch Arbeitslager waren. Hier starben Millionen. Da gibt es nichts zu relativieren. Zwangsarbeiter gab es in jenen Lagern aber auch, zusammen mit den entsprechenden Produktionsplätzen. Man schätzt z.B. das ca. 50% der Arbeitsleistung im deutschen Panzerbau während des Krieges von Zwangs- und Fremdarbeitern erbracht wurde (wenn auch weniger in der der Endfertigung). Es gab also Überlebende, die berichten konnten.

Will man jedoch die Besonderheit des von Deutschen begangenen Genozides verstehen, sollte man sich vier andere Namen ins Gedächtnis rufen: Belzec, Sobibor, Treblinka und mit ihnen die "Aktion Reinhard". Diese Lager in Polen, errichtet im Rahmen der "Aktion Reinhard", waren reine Vernichtungslager. Hierhin wurden ALLE Menschen gebracht, um ermordet zu werden. Es gab keine Selektion. Und im Gegensatz zu Auschwitz und Dachau waren sie auch nie als Dauereinrichtungen gedacht (Die Existenzvon Auschwitz und Dachau wurde ja nur der Kriegsverlauf beendete.) Sobibor, Treblinka und Belzec wurden 1942 aufgebaut und 1943 geschlossen und alles, was an sie erinnerte, wurde dem Erdboden gleich gemacht. In unserer Erinnerungskultur kommen diese Orte nicht vor, denn a) da ist nichts mehr und b) es gab keine Menschen, die davon erzählen konnten (Lagerinsassen) oder wollten (Lagerpersonal).


Ich könnte noch mehr Beispiele anführen. Aber ich hoffe, es ist klar, was ich sagen will: Bei aller mörderischer Wirklichkeit des Sowjetsystems, fehlte ihm und den mit diesen Verfolgungen beauftragten Institutionen der absolute Wille zur Vernichtung. Der Holdomor nahm die Vernichtung von Menschen in Kauf zugunsten der Industrialisierung der SU. Das bedeutet nicht, dass er nicht mörderisch war, oder das den Menschen, die die entsprechenden Anweisungen gaben, das Leid von Millionen gleichgültig war, oder sie ihre seltsamen Visionen rücksichtslos verfolgten. Auf breiter Basis sucht man jedoch einen solchen systemimmanenten, exterminatorischen Willen in der SU wie in vielen Unrechtsstaaten vergebens - mit Ausnahme von Deutschland in den Jahren 1933 - 1945.

 Graeculus meinte dazu am 02.04.24 um 20:32:
Es liegt mir nichts daran, die Verbrechen des Nationalsozialismus zu verharmlosen. Und ich möchte auch nicht auf der Übernahme-These bestehen; wie gesagt, das "schülermäßig" stammt von Solschenizyn.
Aber es gibt einen wesentlichen Unterschied, der zu ungunsten Rußlands ausfällt: Während die nationalsozialistischen Verbrechen historisch aufgearbeitet und zum Teil auch bestraft worden sind, gibt es in Rußland eine ungebrochene Tradition. Da kommen diese Verbrechen nicht in den Schulbüchern vor, und m.W. ist da auch nie jemand vor Gericht gestellt worden. Die Methoden werden, nur wenig gemildert, weiterhin praktiziert. Kurz gesagt: der ganze Stalinismus ist noch aktuell.

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 03.04.24 um 13:09:
Ich wollte dir überhaupt nicht unterstellen, dass du die NS-Zeit relativieren willst. Dafür a) kenne ich dich zu gut und b) sind weder du noch ich nicht dumm genug.

Was die Aufarbeitung angeht, stimme ich dir zu. Als Deutscher kennt man die Unzulänglichkeiten bei der Aufarbeitung der NS-Zeit in unserem Land (BRD und DDR) nur zu gut. Und dennoch ist gerade jene Aufarbeitung im internationalen Vergleich vorbildlich. So hat man z.B. in den USA nach dem Bürgerkrieg die Schwarzen fast 100 Jahre lang aus der Geschichte "entfernt", oder in Japan weigern sich weite Teile der Gesellschaft bis heute anzuerkennen, dass Massaker von Nanking 1937 überhaupt stattfand.

In der SU gab es das nie. Das ist auch nicht erstaunlich, weil es die Institution - NKWD bzw. KGB - immer noch gab.

[Kleine Anmerkung: Bis heute wird der KGB zuweilen immer noch "Geheimdienst" genannt. Das ist falsch. Der KGB war eine politische Polizei, die sich eine nachrichtendienstliche Abteilung unterhielt.]

Zum anderen arbeitete der NKWD/KGB ja nicht im luftleeren Raum. Die politische Struktur über ihm existierte ja unverändert. Ein auch nur ein wenig offener Diskurs hätte die Machteliten in der SU gefährdet, weil ihre Verantwortung offen gelegt. Darum hieß die Entstalinisierung ja auch Entstalinisierung. Es war alles Stalins Schuld. Und der war schon tot. Da hatte die KPdSU noch mal Glück gehabt.


Noch ein Wort, das mir wichtig ist:

Du verweist ja völlig zurecht auf das heutige Russland und willst aufzeigen, dass seine faschistischen Strukturen auch historisch bedingt sind, bzw. eine Folge mangelnder historischer Aufarbeitung sind. Dem stimme ich zu.

Es ist mir jedoch wichtig auf etwas hinzuweisen: Es ist NICHT Putins Russland. Es ist Russland. Ein politisches System kann sich nicht halten, wenn es nicht die Zustimmung weiter Teile der Gesellschaft findet und andere Teile sich mit ihm arrangiert haben Es ist auch nicht so, dass alle Russen*innen Angst vor einer Zeit ohne Putin haben. (Obwohl das ein Faktor ist.) Viele Russen profitieren von dem aktuellen System und sind darum seine Unterstützer. Sie haben gar kein Interesse daran, am politischen System etwas zu ändern. Diejenigen, die das wollen, sind in der Minderheit.

Ironischerweise sind es gerade Kritiker*innen aus dem Westen am modernen Russland, die das alte Bild von Russland/der Sowjetunion (zumeist ungewollt) ab und zu wieder hervorholen: Der Riese auf tönernen Füßen. Zerschlägt man diese Füße, fällt der Riese. Ich bin der Überzeugung, dass dies nicht passieren wird. Putins Herrschaftssystem ist fest in der Gesellschaft verankert. Es würde auch eine Niederlage in der Ukraine überstehen. (Was nicht heißt, dass diese innenpolitisch folgenlos bleiben würde. Vor allem für jene, die Putin als "Feinde der Heimat" darstellt.) Es ist halt nicht so, wie viele nach der Wende annahmen, dass die Demokratie sich ob ihrer Vorteile automatisch durchsetzt. Und "Wandel durch Handel" ist eine noch größere Schimäre gewesen. Das war schon immer nur das argumentatorische Feigenblatt, um mit jedem noch so korrupten und unterdrückerischen Staat Geschäfte machen zu können.

 Graeculus meinte dazu am 03.04.24 um 16:36:
Und der FSB residiert sogar in der Lubjanka.

Ein Geheimdienst im Sinne von Spionage ist weder er, noch war es der KGB. Aber viele seiner Operationen sind geheim.

Und ja, alles auf Putin zu fokussieren, ist eine unangemessene Personalisierung. Da steht eine Gesellschaft hinter, und Entstalinisierung war bei weitem nicht das Gleiche wie die Aufarbeitung der Nazi-Ära in Deutschland.
Ein Aspekt der Kontinuität wird oft betont: die 'Schulung' durch die Erfahrung des GULag, z.B. die Dominanz der "Diebe im Gesetz", also daß Kriminelle die Macht haben, der man sich nur unterwerfen kann. Im Gegensatz dazu haben die Kapos in den deutschen Zwangsarbeitlagern nich unser Bewußtsein, unsere Haltugn geprägt.

Danke übrigens noch für den Hinweis auf den Unterschied zwischen Vernichtungs- und Zwangsarbeitslagern im III. Reich. Auschwitz, das beides war, stiftet da einige Verwirrung.
Ich habe allerdings den Eindruck, daß viele sowjetische bzw. russische Häftlinge der Meinung sind, daß auch die Kolyma beides war - eben "Auschwitz, nur ohne Gas."
Wir fragen, ob auch dort die Vernichtung der Häftlinge im Plan lag. Die Vernichtung durch Hunger und Kälte.

 FrankReich (01.04.24, 12:57)
Da es bei Nawalny ja nicht um ein Geständnis ging, passierte dann folgendes:

https://www.tagesspiegel.de/internationales/kaum-luft-in-der-zelle-ausgang-bei-minus-30-grad-anwalt-berichtet-von-nawalnys-haftbedingungen-11364064.html

Die Quintessenz ist klar: Legt Euch nicht mit Putin an, was aber nicht bedeutet, dass eine Unterlassung keine Konsequenzen hätte. 🤔

 Graeculus meinte dazu am 01.04.24 um 17:34:
Eine klare Quintessenz.

Fast hat es mich gewundert, daß Nawalny nicht vor laufender Kamera seine Schuld eingestanden und bereut hat. War wohl eine harte Nuß. Wie der von mir erwähnte Wassilij Blücher, der trotz allem zu keinem Geständnis bereit war.

 Regina (01.04.24, 13:14)
Drei Viertel deines Textes über die Gräueltaten Stalins, die ja bekannt sind. 

Folterungen sind grausam und verstoßen auch dann gegen die Menschenrechte, wenn die Opfer selber dagegen verstoßen haben. 

Meiner Meinung nach ist die Absicht der Folterungen, weitere Terroristen abzuhalten, sich in Moskau zu betätigen. Verbindungen zur Ukraine sind anscheinend nicht nachzuweisen, aber spielt derzeit nicht jeder Angriff auf Russland der Ukraine in die Karten?
Frage: Was wollten die Terroristen erreichen, die eine Konzerthalle hochgehen lassen?

Und dann machst du dir über Lukaschenko Sorgen, weil er es wagt, eine eigene Meinung auszudrücken. Anscheinend meinst du, Luk. täte besser daran, auf Kurs zu bleiben, oder was?

Stalin war grausam, Putin ist ein grausamer Diktator und ungerechter Angriffskrieger. Erfahren wir aus deinem Text irgendwas Neues?

Ostergrüße
Gina

 Graeculus meinte dazu am 01.04.24 um 13:23:
Erfahren wir aus deinem Text irgendwas Neues?

Da kommt es stark darauf an, was Du unter "wir" verstehst. Die Erfahrung hat mich gelehrt, Kenntnisse über historische Hintergründe besser nicht vorauszusetzen. Dafür nimmt das Fach Geschichte im deutschen Schulunterricht einen zu geringen Stellenwert ein und ist auch schwerpunktmäßig stark auf den Nationalsozialismus fixiert.

P.S.: Mit "Stalin war grausam und Putin ist grausam" ist der Text nicht richtig zusammengefaßt. Es geht um die schrankenlose Manipulation von Wahrheit.

 Graeculus meinte dazu am 01.04.24 um 13:51:
Noch zu den Ostergrüßen:

In einer normalen Diktatur geht es bei Vernehmungen unter Folter darum, ob du nun der Osterhase bist oder nicht. In Rußland heißt es dagegen: Ob du der Osterhase bist oder nicht, das bestimmen wir! Und am Ende gestehst du, der Osterhase zu sein.

Schönen Gruß
Graeculus

 Regina meinte dazu am 01.04.24 um 14:14:
Da gibt es also noch Abstufungen: "normale Diktatur" und "russische Diktatur".

 FrankReich meinte dazu am 01.04.24 um 14:32:
Keine Diktatur ist normal, also würde ich es umformulieren in "andere". 👋😂

 Graeculus meinte dazu am 01.04.24 um 17:41:
Ja, ich glaube, es gibt Abstufungen. Wenn man in Nazi-Deutschland kein Sozialist, Homosexueller oder Jude war, dann konnte man dort - zumindest bis Kriegsbeginn - einigermaßen sicher leben. In der UdSSR unter Stalin war niemand sicher, sondern jedem drohte jederzeit die Verhaftung. Selbst glühenden Stalin-Anhängern. Es war der Terror, der bei jedem Angst erzeugen und so jedes eigene Denken schon im Keim ersticken sollte.
Und Putins Rußland nähert sich Schritt für Schritt dem Stalinismus an, wobei die Erinnerung an Stalin immer mehr aufgewertet wird.

Wie soll man diesen Unterschied nennen? Selbst unter den Diktaturen gibt es schlimme und extrem schlimme.

 Augustus (01.04.24, 13:28)
Schaut man sich das mal genauer an, den Krieg und die folgen danach, und was der Krieg gebiert und was der Vorkrieg mit den Menschen macht, dann wird aus dem zerstreuten Willen vieler der Wille zum Sieg konzentriert, während dann nach dem Sieg der Wille zum Sieg eben nicht mehr zerstreut wird, sondern bestehen bleibt. Der Wille zum Sieg als etablierter Zustand grassiert durch die Nation und verschlingt alles und jeden. 
Dieser Wille zum Sieg ist aktuell in Russland etabliert, in China wird er gerade konzentriert. Anzeichen für diesen Willen zum Sieg in China ist beispielsweise, wenn die Athleten sich als Zweitplatzierte gegenüber der Nation weinend im Fernsehen entschuldigen, dass sie nicht gewonnen haben. Dass ist eine gefährliche Tendenz. 
Die Amerikaner mit ihren Sportarten leben diesen Wettbewerb als Willen zum Sieg, sodass der Wille zum Sieg tagtäglich präsent ist. 
Dieser Wille zum Sieg bedarf aber stets eines Verlierers. Der Wille zum Sieg bedient sich nunmehr aller Mittel zum Sieg, sodass gräueltaten und Folter als Instrumente des Willens zum Sieg erklärbar sind. 

Im Grunde dürfte es für eine gerechte und friedliche Welt keinen Wettbewerb mehr zwischen Menschen geben, in keinerlei Hinsicht. Verstößt dies aber gegen das Gesetz der menschlichen Natur, also der ins uns programmierten Natur, ohne Möglichkeit zur Änderung der Programmierung, so müssen wir damit leben lernen, dass greultaten und Folter ewiglich aufgrund des Willens zum Sieg existieren wird.

 Graeculus meinte dazu am 01.04.24 um 18:31:
1. Ist es das, was Nietzsche den "Willen zur Macht" nannte?
2. Ist das ein evolutionär unverzichtbares Element der Natur?
Dann gnade uns Gott (oder wer auch immer) in einem Zeitalter, in dem dieser Wille sich nicht nur im Sport, sondern auch in Machtzentralen etabliert, in denen sich ein roter Knopf für Atomwaffen befindet!

Wir brauchen eine Alternative. Aber gibt es eine Alternative zur Naturordnung?

 LotharAtzert (01.04.24, 13:55)
Jetzt verstehe ich das erst mit den Erdmännchen. Der Putin sieht tatsächlich schon so aus. Und Mütterchen Russland, die Matruschka, ist das verdeckte Erdmännchenmatriarchat.
"Erdmännchen" - ist schon eine tolle Metapher.

Fazit: es geht ums frühzeitige Totbeißen, um zu überleben.

Kommentar geändert am 01.04.2024 um 14:27 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 01.04.24 um 17:45:
"Erdmännchen" - ist schon eine tolle Metapher.

Ja, aber der wahre Schrecken sind die Erdmännchenweibchen. Putin sieht nur wie ein Erdmännchenmännchen aus.

(Und der Papst, das muß ich bei dieser Gelegenheit einmal loswerden, wie eine rundlichere Variante von Stan Laurel.)

Die Welt ist ein Haifischbecken. Wobei ich nicht weiß, ob man den Haien damit Unrecht tut.

 harzgebirgler (01.04.24, 16:00)
des grausen monsters kurze lügenbeine
blieben voll auf der streckbank dauernd keine. :D

 Beislschmidt meinte dazu am 01.04.24 um 16:57:
Hehe  :D

 Graeculus meinte dazu am 01.04.24 um 18:27:
Soll man Putin etwas Böses wünschen, z.B. daß er mal seine Methoden am eigenen Leibe erfährt (wie es Jagoda, Jeschow und Berija ergangen ist)?

Eigentlich wünsche ich ihm nichts Schlimmeres als das, was in dem jüdischen Witz aus dem III. Reich zum Ausdruck kommt:

Nach dem Krieg sitzen zwei Juden auf einer Bank im Berliner Tiergarten, als ein scheues und geducktes Individuum an ihnen vorüberschleicht. "Nebbich", sagt der eine Jude zum anderen, "das ist doch der Hitler!"
Geist von etwas (999)
(01.04.24, 17:37)
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 Graeculus meinte dazu am 01.04.24 um 17:42:
Das hat die Züge einer Realsatire, ja. Aber Putin versteht keinen Spaß.

 Quoth (01.04.24, 21:49)
Wer von uns wäre nicht zu äußerster Grausamkeit imstande, wenn er/sie nur dadurch Karriere machen, sich retten und seine Familie über Wasser halten könnte? Schlummert ins uns allen nicht eine sadistische Ader, die beim Foltern Spaß empfindet, solange wir nur auf der richtigen, nämlich der aktiv quälenden Seite stehen und uns ideologisch im Recht fühlen? Vierzig Jahre früher geboren, hätte auch aus mir ein Hans Frank ("Schlächter von Polen") werden können  - einschließlich Oper, Schach und Freundschaft mit Gerhart Hauptmann.

 Graeculus meinte dazu am 01.04.24 um 23:35:
Es wird wohl so sein, daß in uns allen manches Dunkle schlummert - Kriminologen bestätigen es. Aber ich denke bzw. hoffe doch, daß wenigstens einige Menschen dabei nicht unter ein bestimmtes Niveau zu sinken bereit sind. Zum Glück gibt es auch dafür einige Beispiele. Das Motto des Sokrates war ja: "Es ist besser, Unrecht zu erleiden, als Unrecht zu tun." Und soweit ich sehe, hat er das auch im Angesicht des Todes durchgehalten.
Auch Lew Rasgon war nicht völlig skrupellos. In der Ära Jelzin war er übrigens Mitglied im Rat für Menschenrechtsfragen beim Präsidenten der Russischen Föderation ... bis Putin diesen Rat aufgelöst hat. Für Menschenrechtsfragen ist der jetzt selbst zuständig.

 Quoth meinte dazu am 02.04.24 um 10:50:
Unter Texten wie Deinem versammeln sich gern diejenigen, für die die Grausamkeit mancher Menschen und Systeme unfassbar ist. Leider sind die "Unmenschen", die sie zufügen, auch Menschen, oder anders herum: In jedem von uns steckt auch ein Stück Unmenschentum, es muss nur von Aussichten auf Gewinn, Macht und Selbstrettung genügend gefüttert werden. Viele derer, die sich absolut gut dünken, sind nur noch nicht genügend in Versuchung geführt worden - z.B. durch mitreißende und erbauliche Identitätsverlockungen ...

 Graeculus meinte dazu am 03.04.24 um 16:26:
Das ist richtig. Oder wie einmal ein, glaube ich, tschechischer Kommunist sagte: "Genossen, auch in uns steckt der ganze Imperialismus." Das war klug bzw. weise gesagt.

Bei Terenz heißt es: "Homo sum himani nil a me alienum puto. - Ich bin ein Mensch und weißt, daß nichts Menschliches mir fremd ist."
Meine Hoffnung besteht nur darin - und es ist nicht mehr als eine Hoffnung -, daß es selbst in der Grausamkeit und Rücksichtslosigkeit noch gewisse Abstufungen gibt ... oder Grenzen, die so mancher Mensch dann eben doch nicht zu überschreiten bereit ist.

Im Falle des tschechischen Slánský-Schauprozesses, in dem man dem Angeklagten alle möglichen, auch moralischen Vorwürfe machte, sagte dieser: "Genossen, diese Hände haben so manchen Weiberarsch gehalten, aber Blut klebt nicht an ihnen!" Das konnten seine Ankläger nicht von sich behaupten.

Es gibt so kleine Zeichen dafür, daß meine Hoffnung nicht völlig unbegründet ist. Meinst Du, daß zwischen Dir und Berija kein charakterlicher Unterschied besteht, auch wenn Du manchmal Mordlust in Dir verspürst?

 Quoth meinte dazu am 03.04.24 um 18:22:
Es fehlt mir an Machtwillen, der alles, auch Böses als Mittel zum Zweck verharmlost und gutredet. Ein Machtmensch war auch Kohl, und in seinem viel missdeuteten Wort von der "Gnade der späten Geburt" steckt ein wahrer Kern. Viele derer, die sich gegen das Nazitum ihrer Eltern auflehnten, wären selbst, eine Generation früher geboren, gute Nazis geworden - und einige von ihnen haben erkannt, dass ihre Entscheidung für den Terrorismus sie ihren Eltern immer ähnlicher machte.

 Quoth meinte dazu am 03.04.24 um 18:22:
doppelt

Antwort geändert am 03.04.2024 um 18:23 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 03.04.24 um 23:27:
Es fehlt mir an Machtwillen, der alles, auch Böses als Mittel zum Zweck verharmlost und gutredet.

Dem stimme ich schonmal zu, auch für meine Person. Und das disqualifiziert uns als gute Nazis. Ob wir Widerstandskämpfer, Emigranten oder stille Mitläufer (die's Maul gehalten hätten) geworden wären, das steht dahin.

Kann Bildung imprägnieren? Nun, es hat erschreckend viele gebildete Faschisten gegeben.

 Quoth meinte dazu am 04.04.24 um 18:29:
Das Wort Faschismus mit seinem Ursprung in klassisch-römischen Ritualen lädt ja Humanisten geradezu dazu ein, ihn toll zu finden, und tatsächlich sind sie in Scharen oder sogar vollzählig in den Nationalsozialistischen Lehrerbund und Dozentenbund eingetreten. Der Indologe Hermann Weller hat mit "Y", der "Königin der Elegien", ein bemerkenswertes antirassistisches Werk geliefert, aber zugleich auch Mussolini als neuem Augustus gehuldigt ...

Antwort geändert am 04.04.2024 um 18:30 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 04.04.24 um 22:29:
Das stimmt, und nicht nur Mussolini, sondern auch Hitler haben sich gerne auf die Antike bezogen.
Merkwürdigerweise waren sie bemüht, dem an sich sinnvollen Ratschlag, aus der Geschichte zu lernen, zu folgen ... und haben das auf befremdliche Weise getan.

Den genannten Indologen kannte ich nicht oder habe ich einmal gekannt und wieder vergessen (was im Alter häufiger vorkommt). Danke jedenfalls für den Hinweis.

 Graeculus meinte dazu am 04.04.24 um 22:32:
Jetzt fällt es mir wie Schuppen vom Kopf! Du selbst hast den einmal im Antikenforum vorgestellt. Und so lange ist das gar nicht her. Oh, mein Gedächtnis!

 Quoth meinte dazu am 05.04.24 um 08:10:
Aus der Antike kann man eben nicht nur Gutes lernen, sondern auch zynische Machtpolitik, z.B. divide et impera .

 Graeculus meinte dazu am 07.04.24 um 15:19:
Oja, das kann man. Nimmt man noch die Renaissance hinzu, vor allem Macchiavelli, dann ist man schon gut informiert. Von diesem hat Stalin übrigens den Grundsatz übernommen, daß es für einen Herrscher besser ist, gefürchtet als geliebt zu werden.

 Clementine (02.04.24, 11:11)
Hallo Graeculus! Wenn die Angeklagten wirklich IS-Mitglieder sein sollten, werden sie sich von Folter vermutlich nicht zu einer Falschaussage bewegen lassen. Das sind Menschen mit einem religiösen Wahn. Clementine

 Graeculus meinte dazu am 03.04.24 um 16:16:
Der russischen Geheimdienst ist Spezialist in solchen Vernehmungen, welche die gewünschten Ergebnisse produzieren. Ob die IS-Mitglieder - so sie denn solche sind - dem standhalten werden?
Falls ja, so meine Vermutung, wird man behaupten, sie hätten die und jenes gestanden, und sie anschließend verschwinden lassen; falls nein, wird man sie im Fernsehen vorführen.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 03.04.24 um 16:49:
Zu viel Konsalik gelesen, Graec. Aber nur eine Spur. 
Im Ernst, mich irritiert dein "Aufstampfen" so extrem: Das ist so! 
Ja. Aber, wir wissen es nicht genau. Dieser Satz fehlt mir bei dir.

 Graeculus meinte dazu am 03.04.24 um 16:59:
Konsalik habe ich überhaupt nicht gelesen - ich lese auch keine Spionage-Romane und sehe keine Spionage-Filme; die Fiktion interessiert mich in dieser Hinsicht nicht. Meine Quelle ist die Geschichte Rußlands seit 1917.
Außerdem steht da "Vermutung", d.h. wie es ausgehen wird, weiß ich nicht. Und ich weiß auch nicht, ob nicht der FSB selbst hinter dem Anschlag steht. Geschrieben habe ich nur, daß es dergleichen gegeben hat: 1999 zur Vorbereitung/Legitimierung von Putins Tschetschenien-Krieg. Das steht oben als Antwort zu Teo.

Irgendwo habe ich hier auch geschrieben: Man kann bei FSB-Operationen nichts glaubern, vor allem keine Geständnisse. Darum geht es mir hier, und nur insoweit behaupte ich, Recht zu haben. Glaubt nichts, was Ihr in offiziellen russischen Quellen lest bzw. seht! Da wird die Lüge zum Prinzip, wenn sie nur dem System nützt.

 Graeculus meinte dazu am 03.04.24 um 17:07:
Bei dem Thema bin ich leidenschaftlich, das ist richtig und meinst Du vermutlich auch. Lüge, systematische Manipulation der Wahrheit ist etwas, das mich sehr beunruhigt. 
Ich glaube, darin bin ich mir mit Kant einig, der stets, wenn er das Böse schlechthin charakterisieren will, auf die Lüge zu sprechen kommt. Sie untergräbt etwas Elementares: das Vertrauen unter Menschen. Lüge macht uns einsam: wir können niemandem mehr trauen.

Chruschtschow berichtet in seiner Autobiographie, er habe einmal gehört, wie Stalin vor sich hin gesagt habe: "Ich bin am Ende. Ich kann niemandem mehr trauen, nicht einmal mir selbst." Das ist dann tatsächlich das soziale Ende.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 03.04.24 um 17:53:
Schön und gut, wie geschrieben, alles richtig, siehe erst kürzlich Passiertes, dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass wir - die Couchagenten - nicht doch zu viel reininterpretieren. 
Übrigens: Auch Konsalik gehört zur Allgemeinbildung, Simmel sowieso.

 Graeculus meinte dazu am 03.04.24 um 23:15:
Als Couchagent bin ich mir sicher, noch viel lernen zu können bei einem Blick hinter die Kulissen von Politik und vor allem Geheimdiensten. Aber nicht dies, daß dort nicht systematisch gelogen wird, sondern daß es noch viel raffiniertere Formen der Lüge gibt, als ich es in meinen schwärzesten Träumen ahne.

***

Aus der Konsalik-Simmel-Ecke habe ich mal einen Roman von Willi Heinrich gelesen, der seinerzeit mit 4 Millionen verkauften Büchern in dieser Liga spielte, aber für mich zusätzlich interessant war, weil er in Dobel gelebt hat und auch dort gestorben ist. Dieses Motiv ist objektiv wohl nicht plausibel, aber bestimmt hast auch Du schonmal ein Buch gelesen, weil der Autor ein Wiener war.
(Wie tief bin ich gesunken, daß ich Dobel mit Wien vergleiche?)

 Mondscheinsonate meinte dazu am 03.04.24 um 23:34:
Auch ich habe Schopenhauer gelesen, mein Freund Graec, Kunstgriff 19, Ablenkung: Es bleibt eine Bildungslücke, kein Konsalik, kein Simmel, ist auch kein Heinrich. *grins*

 Graeculus meinte dazu am 03.04.24 um 23:42:
Ich kann halt zu Konsalik und Simmel nichts sagen, habe nie was von ihnen gelesen. Wenn das wirklich eine Bildungslücke ist, muß ich dieses Geständnis ablegen.
Es gibt schier unendlich viele Bücher - und ich bin überzeugt: auch faszinierende -, die wir nicht kennen.
Derzeit habe ich ein Buch fast durch und überlege, was ich mir als nächstes vornehme; aber Konsalik habe ich nicht einmal in meinen Beständen.

Übrigens werden Leser dieses Kommentarstranges nicht verstehen, wie wir hier auf Konsalik kommen.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 03.04.24 um 23:49:
Doch, weil jeder Liebesnächte in der Taiga gelesen hat. Im Ernst, es geht um Fiktion und Wahrheit in deinen Ausführungen und Fazit: Wir werden es NIE erfahren. Jedoch bekommt man das Gefühl, du weißt es sicher. 

 Graeculus meinte dazu am 04.04.24 um 00:00:
Auch "Liebesnächte in der Taiga" habe ich nicht gelesen und empfinde den Titel, offen gesagt, als wenig ansprechend: das klingt nach dem Unterleib der 50er Jahre.
Simmels Titel zumindest fand ich ansprechender.

Was wirklich in Moskau passiert ist, werden wir nie erfahren - darin stimmte ich Dir zu. Aber als Untersuchungsergebnis verkündet werden wird das, was Putin will. Dafür muß man auch kein Hellseher sein - so funktioniert ein totalitäres System. Stelle Dir einmal russische Richter vor, die sagen: "Putin hat unrecht."

 Mondscheinsonate meinte dazu am 04.04.24 um 00:15:
Und nicht mehr viele glauben das, besonders nicht nach den letzten Ereignissen. Aber, angenommen, es war die IS, dann ist es doch ein perfider Plan. Wie man es dreht. Ich glaub nicht, dass es die IS war. Nur so ein Gefühl.

P.S. Lies es, der Titel ist grottig, aber das Buch gut. Millionen Leser irren hier nicht. Bei Fifty Shades of ... schon.

Antwort geändert am 04.04.2024 um 00:16 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 04.04.24 um 00:35:
Du meinst, das kann mit "Doktor Schiwago" mithalten? Das immerhin habe ich gelesen ... und natürlich auch als Film gesehen.

 Mondscheinsonate meinte dazu am 04.04.24 um 00:54:
Aber geh! Nichts kann mit dem Doc mithalten. Gar nichts..
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